Remin, Nicolas – Masken von San Marco, Die

Elisabeth, die Kaiserin von Österreich, war beileibe nicht die verklärt romantische Figur, wie sie in den bekannten Sissi-Filmen präsentiert wird. Und Nicolas Remin traut sich in seinem neuesten Roman „Die Masken von San Marco“ wieder einmal, Elisabeth als diejenige Person hinzustellen, die sie (vermutlich) wirklich gewesen ist, nämlich als die Ehefrau, der die ehelichen Pflichten zuwider waren und die ihren Göttergatten Franz Joseph längst nicht so angehimmelt hat wie er sie. Elisabeth war eine eigensinnige Frau, welcher der höfische Pomp lästig war, die nicht gerne in der Menschenmasse stand und die sich tagtäglich an ihren Turngeräten in der Hofburg gequält hat, um ihre göttlich schlanke Taille zu bewahren. Und genau in dieser Rolle treffen sie nun wieder.

_Tod dem Kaiser_

Die österreichische Monarchie ist den Einwohnern Venedigs ein Dorn im Auge, das Ansehen des österreichischen Kaisers ist schlecht und es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sich Franz Joseph aus Venedig zurückziehen muss. Doch Franz Joseph hat bereits einen Plan, um sein Ansehen wieder zu steigern: So plant er einen Venedig-Aufenthalt, zu dem ihn auch Ehefrau Elisabeth begleiten soll. Während einer Ansprache auf dem Markusplatz schließlich soll ein vermeintlicher Attentäter mit Platzpatronen auf Franz Joseph schießen, der als Einziger die Ruhe bewahren wird – da er ja weiß, dass es kein echter Anschlag ist – und dessen Ansehen dadurch rapide steigen wird.

So beauftragt er Oberst Hölzl und Graf Crenneville damit, alles Erforderliche in die Wege zu leiten. Die beiden haben jedoch schon Informationen darüber, dass ein echtes Attentat geplant ist. Sie wissen aber auch, mit welchem Zug der Attentäter nach Venedig einreisen wird und wie er verkleidet ist, damit seine Auftraggeber ihn erkennen. Also beschließen sie, einen eigenen Mann einzuschleusen, der den Attentäter ersetzt und die Strippenzieher rechtzeitig ans Messer liefert.

Von all dem ahnt Commissario Tron noch nichts, als er vom Polizeipräsidenten von Spaur erfährt, dass die venezianische Polizei nicht zum Schutz des Kaisers und der Kaiserin beitragen soll. Das soll das Militär übernehmen. So erfährt Tron auch nichts von den genauen Reiseplänen des Kaiserpaars. Als jedoch eine Leiche aus dem Ponte dei Mendicanti gezogen wird, sind Tron und sein Kollege Bossi gefordert. Die Obduktion ergibt schließlich, dass ein Profikiller am Werke gewesen ist, der seinen Widersacher mit einem gezielten Genickbruch in den Tod befördert und ihn aus dem Zug ins Wasser geworfen hat. Schnell erfahren Tron und Bossi, dass der Killer den Ermordeten ersetzt hat. Dieser war mit einem Zinksarg nach Venedig eingereist, dem Tron und Bossi derweil nachforschen. Eine Exhumierung fördert dann zutage, was der unbekannte Tote tatsächlich nach Venedig befördert hat, nämlich lediglich einen Sandsack und einen Haufen Sprengpulver, von dem noch einige Reste im Sarg verblieben sind. Plant tatsächlich jemand ein Attentat auf das Kaiserpaar?

Eberhard von Königsegg, der sich bereits im Palazzo Reale befindet und auf die Ankunft des Kaisers wartet, plagen derweil ganz andere Sorgen, nämlich seine horrenden Spielschulden. Doch hat Königsegg sich eine Lösung parat gelegt; er weiß von einer kostbaren Goldkette, die der Kaiser als Geschenk für seine geliebte Elisabeth im Tresor des Palazzo aufbewahrt. Da der Geburtstag des Kaisers der Schlüssel zum Tresor ist, entwendet Königsegg kurzerhand das kostbare Geschmeide und begibt sich damit zu einem dubiosen |professore|, der das teure Schmuckstück mithilfe von Quecksilber verdoppeln will. Anhand eines Rings hat er Königsegg bereits bewiesen, dass seine Apparatur hervorragend funktioniert, sodass Königsegg hier die Lösung für seine Spielschulden sieht. Als der |professore| das Schmuckstück allerdings in seine Apparatur getan hat, öffnet sich die Tür zum Labor und zwei bewaffnete Polizisten stürmen das Zimmer, welche die beiden Herren kurzerhand festnehmen.

Königsegg ist verzweifelt; wie soll er erklären, wer er ist und wie er in den Besitz des kaiserlichen Geschmeides gekommen ist? Als sich ihm dann die Gelegenheit zur Flucht eröffnet, nutzt er diese, auch wenn er das Schmuckstück zurücklassen muss. Darum will er sich später kümmern. Also wendet er sich kurz darauf an Commissario Tron, der allerdings zu berichten weiß, dass es in der fraglichen Nacht gar keinen Polizeieinsatz gegeben hat. Königsegg wurde reingelegt und steht nun mit Schulden, aber ohne Kette da. Was nun?

Zeitgleich schleust der Profikiller sich in die Gruppe Männer ein, die das Sprengpulver nach Venedig geschmuggelt hat. Der kaiserliche Besuch rückt näher, aber Tron ist den Attentätern immer noch nicht auf die Spur gekommen; die Zeit drängt …

_Schauplatz Venedig_

In Commissario Trons vierten Fall überschlagen sich erneut die Ereignisse: Der österreichische Kaiser Franz Joseph plant zur Aufpolierung seines eigenen Ansehens ein gestelltes Attentat auf sich und die Kaiserin, aber es scheint auch irgendeine Gruppe zu geben, die tatsächlich Sprengpulver nach Venedig schmuggelt, um dort den Kaiser anzugreifen. Doch das sind nicht die einzigen Probleme, die Tron quälen, denn die Renovierungsarbeiten im Palazzo Tron gehen langsam voran, was die Laune seiner geliebten Mutter trübt und sie stets alte Brötchen kaufen lässt, aber auch seine Verlobte hat Sorgen, denn ihr Pressglas verkauft sich so hervorragend ins Ausland, dass Österreich plant, Einfuhrsteuern zu erheben, die das gesamte Geschäft kaputtmachen würden. So bittet die Principessa Tron, das Attentat auf den Kaiser zu verhindern, um sich Elisabeths Gunst zu sichern und sie zu überreden, die Einfuhrsteuer abzuwenden. Kein einfacher Plan, da die venezianische Polizei eigentlich von den Ermittlungen ausgeschlossen ist und auch die Zeit arg knapp wird, um die Attentäter noch rechtzeitig aufzuspüren.

Die Handlung spielt sich an verschiedenen Schauplätzen ab. So treffen wir Franz Joseph, der frohen Mutes ist, weil er sich in Sicherheit wähnt und seine Reaktion auf das vermeintliche Attentat probt. Elisabeth dagegen plant ihren Venedig-Aufenthalt etwas anders; sie packt unauffällige Kleider ein, um erneut in Person der Gräfin Hohenembs die Stadt auf eigene Faust zu erkunden. Ein weiterer Handlungsstrang dreht sich um Eberhard von Königsegg, dessen Sorgen immer größer werden, denn nun hat er nicht nur Spielschulden, sondern muss auch noch das Verschwinden der teuren Kette erklären. Doch wie der Zufall es will, hat er die Schulden bei einem guten Freund Trons gemacht.

Und natürlich hängen die einzelnen Handlungsstränge zusammen, denn Trons Ermittlungen in Sachen Königsegg führen ihn in ein gewisses Casino, in welchem auch einer der nun Toten gearbeitet hat, dessen Ableben Tron aufklären will. Die Ermittlungen nehmen schließlich richtig Fahrt auf, als sich zumindest dem Leser die wahren Zusammenhänge erschließen, denn wir haben den Vorteil, dass wir nicht nur die Drahtzieher des geplanten Attentats kennen, sondern auch den Profikiller, der auf dem Weg nach Venedig einen Mitreisenden mit gebrochenem Genick aus dem Zug befördert hat. So sind wir Tron immer mindestens einen Schritt voraus, sodass wir nur hoffen können, dass er rechtzeitig die richtigen Schlussfolgerungen ziehen wird, um am Ende alle Fälle erfolgreich aufklären zu können.

_Italienische Beschaulichkeit_

Nicolas Remins Kriminalromane rund um Commissario Tron strahlen eine gewisse Ruhe aus, daher ist Ehrgeiz etwas, das Tron völlig zu fehlen scheint. Lieber liest er auf der Arbeit in seinem geliebten Blatt |Emporio della Poesia|, das er selbst herausgibt. Auch schickt er immer wieder Bossi los, um die unangenehmen Nachforschungen zu erledigen. Als es schließlich an die Exhumierung geht, ist Tron es, der die Laterne hält, während Bossi sich mit der Schaufel abplagt und dann auch den Sarg öffnen darf. Doch natürlich ist das Schicksal auf Trons Seite, denn immer wieder fügt sich für ihn alles geschickt zusammen, sodass er als der strahlende Held dasteht.

In diesem vierten Fall des Commissario Tron haben wir diesen und seine Kollegen bereits bestens kennengelernt. Tron ist ein Genießer, der zum Frühstück gerne ein halbes Dutzend süße Teilchen nascht anstelle der alten Brötchen, die ihm seine Mutter immer wieder vorsetzt – natürlich nur aus Geiz, denn Geld hat sie eigentlich genügend, seit die Pressglasproduktion so gut läuft. Für die Geschäfte und das Finanzielle hat Tron seine Verlobte, die ihn aber auch gerne immer wieder darauf hinweist, wie teuer die Speise ist, die Tron gerade unüberlegt verdrückt. Doch ihn lässt das recht kalt, er bleibt gelassen, lächelt und genießt. Das macht Tron immer wieder überaus sympathisch, auch wenn er ohne Hilfe seiner Principessa kein so gediegenes Leben führen könnte.

Auch die anderen Figuren gefallen ausgesprochen gut, beispielsweise Eberhard von Königsegg, mit dem wir eigentlich nur Mitleid haben können, da er vom Pech verfolgt ist. Denn kaum hat er endlich einen Ausweg aus der Schuldenfalle gefunden, lässt er sich von einer fingierten Polizeikontrolle hereinlegen und verliert nun auch noch die kostbare Kette. So ein Pech! Doch gibt er nicht auf und stellt dann seine eigenen Nachforschungen an, aber ohne Trons Hilfe wäre er vermutlich nicht weit gekommen.

_Atmosphärisch und sympathisch_

Nicolas Remin verzaubert uns regelrecht mit seiner Lektüre, versetzt uns ins 19. Jahrhundert und nimmt uns in diesem Buch mit nach Wien an die Hofburg und auch wieder mit ins alte Venedig, wo die berühmten Demel-Pralinen allerdings nicht weniger beliebt sind als in Wien. Er beschreibt in wunderbaren Worten die bezaubernden Schauplätze und seine Figuren, sodass man direkt in die Situationen hineinversetzt wird. Natürlich leidet darunter ein wenig der Spannungsbogen, da das gesamte Buch vermutlich dank Tron eine gewisse Beschaulichkeit ausstrahlt, die einen packenden Spannungsbogen irgendwie verhindert. Doch stört dies hier gar nicht, ganz im Gegenteil, Nicolas Remins Kriminalromane sind sympathisch und einfach angenehm geschrieben. In wunderbaren Worten findet hier jedes Detail Erwähnung, wie zum Beispiel die Fliege, die sich in Trons Frühstücksmarmelade verirrt hat, oder die zu feste Konsistenz des Brötchens:

|Nach dem Frühstück – denn das musste er noch hinter sich bringen. Und so wie es aussah, war das nicht ganz einfach. Das Brötchen, in das er biss, nachdem es ihm gelungen war, das Tier aus der Konfitüre zu entfernen, war uralt. So alt, dass seine Zähne nicht einmal einen Fingerbreit eindrangen. Er drehte es um und probierte sein Glück auf der anderen Seite – ohne Erfolg. Tron ließ entnervt das Brötchen sinken und stellte fest, dass ihn die Contesa bereits stirnrunzelnd beobachtete. […] „Weißt du, was dir völlig abgeht, Alvise?“ Nein, das wusste er nicht. Biberzähne für die Brötchen? Geschmack an toten Fliegen?|

Insgesamt gefiel mir das vorliegende Buch ausgesprochen gut. Natürlich muss man in punkto Spannung ein paar Abstriche machen, dafür zaubert Nicolas Remin dem Leser mit seinem herrlichen Schreibstil immer wieder ein Lächeln ins Gesicht, zumal er wunderbar sympathische Figuren zeichnet. Der zu lösende Kriminalfall ist sicherlich nicht der ausgefeilteste, aber die Idee fand ich sehr unterhaltsam, da sie doch die Intrigen, die am kaiserlichen Hof geschmiedet wurden, wunderbar auf die Schippe nimmt. „Die Masken von San Marco“ ist ein Krimi für Liebhaber exotischer, netter und beschaulicher Literatur, eigentlich genau die richtige Lektüre für einen lauen Frühlingsabend.

http://www.kindler-verlag.de/

_Nicolas Remin auf |Buchwurm.info|:_
[„Schnee in Venedig“ 1987
[„Venezianische Verlobung“ 2326

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