Remin, Nicolas – Venezianische Verlobung

Nicolas Remin schaffte mit seinem Debütroman [„Schnee in Venedig“ 1987 auf Anhieb den Weg auf die deutschen Bestsellerlisten. Seine Erfolgsfaktoren waren sicherlich einmal sein sympathischer und verarmter Krimiheld Commissario Tron, aber auch Remins netter Schreibstil und die wunderbar romantische Szenerie haben sicherlich sehr zum Erfolg des Buches beigetragen. So verwundert es nicht weiter, dass Nicolas Remin in der „Venezianischen Verlobung“ auch wieder auf diese verkaufsträchtigen Komponenten zurückgreift, um seine Leser erneut gut zu unterhalten und mit seinem Roman in das Venedig des 19. Jahrhunderts zu entführen.

In Remins zweitem Roman dreht sich alles um die venezianische Verlobung zwischen Commissario Tron und seiner Angebeteten, der Principessa di Montalcino. Die beiden sind zwar offiziell ein Paar, doch wird die Hochzeit immer weiter aufgeschoben, sodass Trons Mutter es langsam mit der Angst zu tun kriegt. Der Palazzo Tron befindet sich in seiner Auflösung, es kann nicht mehr richtig geheizt werden und es regnet durch das undichte Dach hinein, sodass Trons Mutter keine andere Möglichkeit sieht, als Nutzen aus der geplanten Hochzeit zu ziehen und sich dadurch einen Kredit bei der Bank zu besorgen. Doch die Principessa plagen auch Geldnöte, wie sie ihrem Verlobten bald anvertraut. Helfen kann ihr wiederum der gute Name der Trons mitsamt der jahrhundertealten Tradition der Familie Tron.

Doch dies ist nur das schmückende Beiwerk, das die eigentliche Kriminalhandlung abrundet und das Buch noch unterhaltsamer macht. Im Zentrum der Geschichte steht der Mord an Anna Slataper, der politischen Hintergrund zu haben scheint, da Anna die Geliebte des Erzherzogs Maximilian war, also des Bruders des Kaisers von Österreich, der nun selbst Kaiser von Mexiko werden soll. Der Fall wirkt sonnenklar, denn Maximilian scheint sich seiner Geliebten entledigt zu haben, als sein eigener politischer Aufstieg bevorstand. Doch so geradlinig ist Remins Romanhandlung nicht, denn er fügt seiner Geschichte weitere Komponenten hinzu:

Wir lernen das arme Waisenmädchen Angelina Zolli kennen, das Commissario Tron zunächst bestiehlt, ihm dann aber aus Mitleid seine Geldbörse zurückgibt, weil Angelina merkt, dass er selbst nicht viel Geld besitzt. Angelina wird Zeugin des Mordes an Anna Slataper, erkennt von dem Mörder zunächst aber nur sein Hinken. Erst später kann sie sich an weitere Details erinnern und versucht auf eigene Faust, den Täter zu stellen. Im Laufe der Romanhandlung treffen wir auf zwielichtige Gestalten, die alle scheinbar etwas zu verbergen haben, auch Erpressung ist im Spiel, denn Anna Slataper hat zusammen mit einem berüchtigten Fotografen zusammen kompromittierende Fotos erstellen lassen, die nun zu Geld gemacht werden sollen. Aber was wirklich hinter dem Mord an Anna Slataper steckt, das erfahren wir erst ganz am Ende, wenn Nicolas Remin seine einzelnen Handlungsfäden für uns entwirrt.

In ähnlicher Manier wie auch schon in „Schnee in Venedig“ beweist Nicolas Remin erneut, dass er nicht nur über eine wunderbare Beobachtungsgabe verfügt, sondern auch über ein beachtliches Erzähltalent. Seine Dialoge wirken herzerfrischend und stecken voller Wortwitz, sodass wir beim Lesen nicht selten ein Lächeln auf den Lippen haben, weil wir uns die beschriebenen Situationen bildlich vorstellen und dabei einfach amüsiert sein müssen. Bis ins kleinste Detail entwickelt Remin seine Figuren und Szenerien, er erzählt uns von Commissario Tron, der die Zeitschrift mehrfach abonniert hat, die er selbst herausgibt, nur um den Verkaufserfolg voranzutreiben. Doch dann fällt seinem Vorgesetzten Spaur ein, dass er mit „selbst geschriebenen“ (also vielmehr abgeschriebenen) Gedichten seine Geliebte beeindrucken kann. So kommt es schließlich, dass Tron in seiner geliebten Zeitschrift, dem Emporio della Poesia, neben Gedichten von Baudelaire auch die zusammengestückelten Verse seines Chefs abdrucken muss. Zeitgleich muss Tron sich mit seiner Mutter herumquälen, die seine bevorstehende Hochzeit schamlos für ihren finanziellen Vorteil ausnutzen will und Tron damit in eine peinliche Situation zu bringen droht. Die gesamte Rahmenhandlung wirkt insgesamt sehr durchdacht und ausgefeilt; Nicolas Remin zeigt uns, dass ein Kriminalroman mehr ist als nur ein brutaler Mord mit einer anschließenden Hetzjagd.

Besonders Remins Charaktere gefallen äußerst gut. Die meisten von ihnen haben wir bereits in „Schnee in Vendig“ kennen gelernt, doch nun erfahren wir neue Facetten dieser Personen, außerdem kommen neue Figuren hinzu, die ebenfalls ihren Raum in der Geschichte erhalten. Remin füllt seine Figuren aus, haucht ihnen Leben ein und macht sie uns dadurch unglaublich sympathisch. Obwohl das gesamte Geschehen im 19. Jahrhundert spielt, ist Commissario Tron jemand, mit dem man gerne einen Kaffee trinken gehen würde, weil er einfach nett und freundlich auftritt.

Leider kann die eigentliche Krimihandlung nicht ganz mit der Rahmengeschichte mithalten. Während die Geschichte zunächst geradlinig beginnt und klar zu sein scheint, welche Motive und welcher Täter hinter dem Mord an Anna Slataper stecken, so kommen nach und nach immer neue Verdächtige ins Spiel, sodass sich die Spekulationen irgendwann ziemlich im Kreise drehen. Die Verdächtigungen werden wie ein Ball hin- und hergeworfen; hier kommt man gedanklich kaum hinterher, zumal man Remins Gedankengänge nicht immer nachvollziehen kann. Zum Ende hin scheint Nicolas Remin sich in einem unübersichtlichen Wust von gegenseitigen Verdächtigungen zu verlieren, der kaum entwirrbar scheint. Das Romanende wirkt daher alles andere als überzeugend, die Motive werden uns nicht ganz klar, sodass das befriedigende Aha-Erlebnis am Ende leider ausbleibt.

Dennoch kann Nicolas Remin auch mit seinem Folgeroman überzeugen, da er erneut beweist, dass er herrliche Charaktere und Dialoge voller Wortwitz und Situationskomik entwerfen kann. Das Lesen eines Remin macht einfach Spaß, sodass man dem Autor wieder einmal kleine logische Ausrutscher in der eigentlichen Krimihandlung verzeiht.

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