Riebe, Brigitte – Straße der Sterne

Regensburg, 1245: Die 17-jährige Kaufmannstochter Pilar Weltenburger ist blind, lebt aber wohlbehütet im Hause ihres Vaters Heinrich, der seine Tochter über alles liebt. Die Mutter Rena hatte die Familie zehn Jahre zuvor ohne Erklärungen verlassen – ein Verlust, den sowohl Pilar als auch der Kaufmann nie verkraftet hatten.

Als aufgrund von Intrigen das Familiengrundstück in Flammen aufgeht und Heinrich stirbt, beschließt Pilar, der „Straße der Sterne“ zu folgen – der Straße, die den Pilgern den Weg zum Grab des heiligen Jakobus weist. Zusammen mit ihrem maurischen Diener Tariq, den ihre Mutter aus dem fernen Frankreich mitgebracht hatte, verlässt Pilar Regensburg, um im spanischen Santiago de Compostela den Heiligen zu bitten, ihr das Augenlicht wiederzugeben.

Tariq selbst trägt seit jenem Morgen, an dem seine Herrin die Stadt verließ, Renas Aufzeichnungen mit sich. Die Bitte, ihr Vermächtnis der Tochter zu geben, sobald diese alt genug sein würde, konnte er nicht mehr erfüllen, da Pilars Krankheit ihm zuvor gekommen war. Selbst unfähig, die Erinnerungen zu ertragen, die ihn dann überrollen würden, brachte er es nicht über sich, dem Mädchen die Seiten vorzulesen.

Der Weg der Pilger war seit jeher gefährlich, aber eine blinde junge Frau in Begleitung eines Nicht-Christen stellt eine allzu leichte Beute dar und so beschließen die beiden, die Hauptstraßen zu meiden. Trotzdem treffen sie nach und nach auf andere Pilger, die alle eins gemeinsam haben: dunkle Geheimnisse, die niemand außer dem heiligen Jakobus erfahren soll. Der Tempelritter Camoni, der seiner großen Liebe nachtrauert und Pilar zu kennen scheint; die Reisende Moira, die nie über ihre Familie redet und sich in Camoni verliebt; der Mönch Armando, der den Heiligen Gral sucht und an seiner Berufung zu zweifeln beginnt; und schließlich das Mädchen Estrella, das Tarot-Karten legt, um an Geld zu kommen, und als Einzige dem Heiligen uninteressiert gegenübersteht. Eine mächtigere Hand als der Zufall hat diese Menschen zusammengeführt und ihr Schicksal liegt sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Auf dem Weg nach Spanien erfüllt es sich unbarmherzig Stück für Stück.

Brigitte Riebe ist hier ein etwas anderer historischer Roman gelungen, der nichts von dem allseits beliebten „Gut-und-Böse-Schema“ beinhaltet. Die Geschichte lebt von den großartig ausgearbeiteten Charakteren, die ganz natürlich aus ihrem Leben erzählen und den Leser in ihre persönlichen Tragödien einblicken lassen. Hier gibt es keine Superhelden-Action, die den Leser am Wahrheitsgehalt der Geschichte zweifeln lassen, es handelt sich vielmehr um einen faszinierenden Reisebericht.

Jeder Charakter ist nachvollziehbar, verletzlich und ergreifend geschildert, und der Leser wartet ungeduldig auf die Auflösung all dieser Rätsel. Sieben Menschen ergeben sieben einzelne und eine gemeinsame große Geschichte – Brigitte Riebe versteht es, einen vielschichtigen Plot zu entwickeln und diesen dann großartig umzusetzen! Abwechselnd gerät der Leser in die Wirren der Pilgerreise und in die Wirren der Vergangenheit, die die Autorin geschickt Stück für Stück – dem Weg der Reisenden angepasst – aufdeckt. Und auch wenn dem aufmerksamen Leser die Lösungen der kleinen und großen Rätsel schnell klar werden, klingt der Roman nicht langweilig aus. Das Ende passt sich, einer logischen Konsequenz folgend, dem Rhythmus der vorangegangenen Seiten an und lässt im Leser das Gefühl nachhallen, das er von Beginn an hatte: ein ruhiges, aber ergreifendes Buch!

Im Anhang findet der Leser historische Daten über die „Straße der Sterne“ und Pilger, aber auch Anmerkungen zu dem damaligen Stand der Papierherstellung. Sehr interessant!

Brigitte Riebe, vollständig Dr. Brigitte Leierseder-Riebe, wurde 1953 in München geboren, wo sie auch heute noch als freie Schriftstellerin lebt. Sie ist promovierte Historikerin, war zunächst als Museumspädagogin tätig und hat später lange Jahre als Verlagslektorin gearbeitet, bevor sie selbst begann, Romane zu schreiben. Unter ihrem Pseudonym Lara Stern veröffentliche sie u. a. die Sina-Teufel-Romane, mit denen sie auch bekannt wurde. Seit März 2005 ist der Roman [„Die Hüterin der Quelle“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=2190 im Handel erhältlich.

Homepage der Autorin: http://www.brigitteriebe.de