Robards, Karen – Und niemand hört ihr Rufen

Kindesentführungen gehören zu den Themen, die in der Medienwelt immer mehr als eine Schlagzeile wert sind. Man denke nur an den Fall der in Portugal gekidnappten Maddie, deren Eltern mit einer beispiellosen Kampagne weltweit für Aufsehen sorgten. Die Ängste, welche die Eltern dabei ausstehen, kann jemand, der nicht davon betroffen ist, kaum nachvollziehen. Karen Robards versucht es dennoch mit ihrem Roman „Und niemand hört ihr Rufen“.

Sarah Mason ist Staatsanwältin und dafür bekannt, von morgens bis abends zu arbeiten. Mit dieser Arbeitswut versucht sie, ein schmerzhaftes Ereignis aus ihrer Vergangenheit zu verdrängen: Vor sieben Jahren verschwand ihre Tochter Lexie, damals fünf, und bis heute gibt es keinen Hinweis auf ihren Verbleib. Sarah glaubt nach wie vor daran, dass Lexie lebt.

Eines Nachts bekommt sie einen seltsamen Anruf. Lexie ist am Apparat, was natürlich eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit ist. Kurz zuvor waren Lexies Spielsachen durch das ganze Haus verstreut gewesen, ohne dass es einen erkennbaren Grund dafür gegeben hätte. Sarah und Jake, ein erfolgreicher Privatdetektiv und Sarahs bester Kumpel, glauben, dass jemand versucht, Sarah Angst einzujagen. Nur wer? Sarah hat dank ihrer Fälle mehr als eine Handvoll potenzieller Feinde, doch als schließlich ein neunjähriges Mädchen verschwindet, glaubt sie nicht mehr an Jakes Theorie, sondern daran, dass sich das Drama von vor sieben Jahren wiederholt …

Die Erwartungen an „Und niemand hört ihr Rufen“ waren nicht besonders hoch. Die Inhaltsangabe klang stark nach einem dieser Bücher, bei denen eine verletzte Mutter im Mittelpunkt steht und um das Leben ihres Kindes kämpft, ohne Hilfe von anderen zu erhalten.

In diesem Punkt überrascht Karen Robards auf ganzer Linie. Ihr Roman trägt zwar Züge eines solchen klischeehaften Romans, kann aber auch immer wieder herausragen. Zum einen ist die Geschichte wirklich spannend, dreht sich aber gleichzeitig nicht stur um den Kriminalfall, sondern wirkt geradezu literarisch. Die Kapitelenden sind stets so gesetzt, dass man weiterlesen möchte, und der Fall wird anschaulich und authentisch dargestellt. Er reißt mit, ohne zu sehr auf die Tränendrüse zu drücken, und kann manchmal mit überraschendem Humor punkten. Das Ende der Geschichte ist leider ein wenig zu sehr auf Happy-End getrimmt, doch ansonsten kann man Robards in dieser Hinsicht nichts vorwerfen.

Die Charaktere des Buches, allen voran Sarah und Jake, sind originell ausgearbeitet und entfalten ein Eigenleben zwischen den Buchdeckeln. Ihr Auftreten, ihre Vergangenheit wirken stets authentisch, und die eine oder andere Leserin kann sich sicherlich mit Sarah identifizieren. Angenehm ist, dass Jake ein erfolgreicher Privatdetektiv ist. Häufig werden diese Ermittler als charmante Loser, die sich gerade so über Wasser halten können, dargestellt, so dass es lobenswert ist, dass Robards dieses Klischee außen vor lässt.

Der Schreibstil wirkt auf den ersten Blick sehr konventionell. Der Fokus liegt auf Sarahs und Jakes Gedanken und Gefühlen, so dass eine sehr emotionale Atmosphäre entsteht. Robards hält sich nicht mit kleinteiligen Details auf, sondern erzählt flüssig und mitreißend. Überraschend häufig wird es dabei humorvoll. Gerade Sarah und Jake neigen zu bissigen Dialogen, was dem Buch einen unerwarteten Frischekick verpasst.

Dementsprechend ist „Und niemand hört ihr Rufen“ weit mehr, als man auf den ersten Blick erwartet. Die Geschichte ist spannend, die Charaktere sind lebensnah und der Schreibstil überrascht durch seine Witzigkeit. Karen Robards hat ein Buch geschrieben, das man gerne liest und von dem man sich nur schwer wieder losreißen kann.

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