_Ein Wirtshaus irgendwo_ in einem Hinterwäldlerdorf in der Provinz. Die Stammgäste sitzen beisammen, essen Eintopf, trinken Bier, erzählen Geschichten. Der Wirt, rothaarig und grünäugig, lächelt, bedient und wischt die Theke sauber. Da platzt ein Dorfbewohner in den Raum, übersät mit blutenden Schnitten, und in einer Decke bei sich ein seltsames, schwarzes Geschöpf ohne Augen, dafür mit Beinen wie Messerklingen, acht an der Zahl, als wäre es eine Art Spinne.
Der Wirt kann die erschreckten und verwirrten Männer beruhigen. Doch er weiß mehr als sie, und kaum ist er mit seinem Gehilfen allein, stellt sich heraus, dass er auch mehr ist als ein gewöhnlicher Wirt. Wer genau er ist, das erfährt der Leser erst, als ein weiterer Mann auftaucht. Ein Mann, der überall als der Chronist bekannt ist. Der Chronist sucht nach einer Geschichte. Einer wahren Geschichte …
_“Der Name des Windes“_ erzählt die Geschichte von Kvothe. Kvothe gilt als mächtigster Zauberer seiner Zeit. Unzählige Legenden werden über ihn erzählt, und nicht alle sind sehr schmeichelhaft. Kvothes tatsächliche Persönlichkeit ist schwer zu beschreiben, wahrscheinlich deshalb, weil selbst am Ende des Buches noch eine ganze Menge fehlt.
Der ältere Kvothe, der die Geschichte erzählt, wirkt müde, regelrecht erschöpft, als trüge er so viele düstere Erinnerungen mit sich herum, dass er fast darunter zusammenbricht. Deshalb erinnert er sich nur sehr widerwillig. Tatsächlich jedoch scheint das Erzählen ihm gut zu tun, er blüht regelrecht auf dabei – nur um in den Pausen sofort in sein düsteres Brüten zurückzufallen. Dabei ist bis zum Ende des Buches noch gar nichts so Schreckliches geschehen, dass es eine solche Schwermut erklären könnte.
Der junge Kvothe ist vor allem eines: stolz. Schon als Kind sehen viele Menschen auf ihn herab, weil er zum fahrenden Volk gehört, und schon damals stört ihn das. Als er nach dem Verlust seiner Eltern als Gassenjunge in der Hauptstadt landet, lernt er zu überleben. Doch seine eigentliche Persönlichkeit liegt in dieser Zeit brach, begraben unter Schock und der Notwendigkeit, ständig auf der Hut zu sein. Als es ihm schließlich gelingt, an der Universität aufgenommen zu werden, wird ihm aus dieser Zeit vor allem eins nachhängen: das dringende Bedürfnis, aus seiner Armut herauszukommen. Abgesehen davon ist Kvothe überdurchschnittlich intelligent, er lernt extrem leicht und schnell, was schon an der Uni für Neid unter seinen Komilitonen sorgt. Außerdem ist er ein begnadeter Musiker. Diese letzten beiden Aspekte sorgen regelmäßig dafür, dass der Leser vollkommen vergisst, dass Kvothe noch nicht erwachsen ist. Lediglich im Zusammenhang mit Denna wird der Leser wieder daran erinnert.
Denna ist eine junge Frau, die völlig allein lebt, ohne Familie, ohne Freunde. Sie ist wie ein Blatt im Wind, taucht auf, verschwindet wieder und scheint nirgendwo zu Hause zu sein. Über ihre Vergangenheit spricht sie nicht, und auch sonst gibt sie sich ziemlich geheimnisvoll. Sie ist schön, eigenwillig, faszinierend und besitzt eine außergewöhnlich schöne Singstimme. Kvothe gerät vollkommen in ihren Bann.
Da sich die Geschichte so stark auf Kvothe konzentriert, bleiben sämtliche übrigen Personen nur Nebenfiguren, von seinem Gehilfen Bast über seine Freunde Simmon und Wilem bis hin zu seinem persönlichen Gegner Ambrose. Störend wirkt das nicht, denn Kvothe und Denna füllen die Geschichte völlig aus. Die Tatsache, dass beide sich nicht gänzlich offenbaren – Denna hat ein Geheimnis, und Kvothe kommt im ersten Band schlicht nicht über den Teenager hinaus, sodass das Bild einfach unvollständig ist -, erhält beide interessant und den Leser neugierig.
Und eine weitere Auswirkung hat diese starke Gewichtung Kvothes: Der eigentliche Antagonist taucht so gut wie gar nicht auf. Kvothe erzählt seine Geschichte von einem sehr frühen Zeitpunkt an, als er zehn Jahre alt war. Am Ende des Buches ist der Junge knapp sechzehn. Nicht unbedingt das Alter, in dem man es mit einem Gegner wie den Chandrian aufnimmt – auch wenn Kvothe sich das als langfristiges Ziel gesetzt hat, denn die Chandrian haben seine Eltern umgebracht, weil diese die falschen Lieder sangen.
Diese Worte lassen Kvothe nicht mehr los. Und kaum an der Universität angelangt, will er in die Bibliothek, um nach Texten über die Chandrian zu suchen. Er will alles über sie in Erfahrung bringen, was es nur zu wissen gibt. Doch im Commonwealth gelten die Chandrian als Legende, niemand glaubt daran, dass es sie wirklich gibt. Alles, was Kvothe im Laufe des Buches über sie herausfinden kann, ist, dass sie irgendetwas vor den Menschen verbergen wollen und deshalb alle gnadenlos töten, die auch nur einen Zipfel dieses Etwas zu fassen bekommen. Nur – was wollen sie geheimhalten? Und warum?
Die Chandrian sind das absolute Geheimnis des Buches, das seinen Ursprung in der fernen Vergangenheit hat. Und da Kvothe in diesem ersten Band noch größtenteils mit Überleben beschäftigt ist und damit, sich gegen Ambroses Hinterlist zu verteidigen und seinen Geldmangel in den Griff zu bekommen, führen die Chandrian ein geradezu stiefmütterliches Schattendasein. Selbst das Abenteuer mit der feuerspeienden Echse nimmt mehr Raum ein als sie.
Eingebettet ist die Lebensgeschichte des Zauberers in eine Rahmenhandlung, die ich stellenweise ein wenig verwirrend fand. Das gilt vor allem für den Anfang von fast hundert Seiten, ehe Kvothe die eigentliche Geschichte zu erzählen beginnt. Abgesehen von dem aufsehenerregenden Auftritt des zerschundenen Dörflers wird der Chronist unterwegs überfallen, und Kvothe erlegt mitten in der Nacht noch ein paar mehr der seltsamen scherenbeinigen Spinnen. Aber das alles scheint zunächst in keinerlei Zusammenhang zu stehen. Die Gespräche zwischen Kvothe und Bast drehen sich zwar unter anderem auch um diese Ereignisse, bestehen allerdings fast nur aus Andeutungen.
Auch die Erzählung Kvothes wird gelegentlich von der Rahmenhandlung unterbrochen, und vor allem bei der letzten, größeren Unterbrechung fragte ich mich nach dem Bezug. Die Dinge scheinen aus heiterem Himmel zu geschehen, ganz ohne Grund. Zumindest ohne einen ersichtlichen Grund.
Klar ist nur eines: In der Rahmenhandlung außerhalb von Kvothes Lebensgeschichte tut sich etwas. Nirgendwo findet sich aber ein echter Hinweis darauf, was sich da tut, allein, die Ursachen müssen in seiner Vergangenheit liegen, einem Zeitpunkt seiner Vergangenheit, zu dem er mit seiner Erzählung noch nicht vorgedrungen ist.
_Mit anderen Worten_, der Leser wird am Ende des ersten Bandes mit einer solchen Flut an Fragen und einem solchen Mangel an Antworten zurückgelassen, dass es schon fast unbefriedigend ist und man sich fragt, womit der Autor eigentlich achthundert Buchseiten gefüllt hat. Zumal der junge Kvothe am Ende noch nicht einmal ansatzweise fertig ausgebildet ist. Er hat so gut wie nichts über die Chandrian erfahren und dasselbe gilt für die Namenskunde, die er doch so dringend erlernen wollte. Gleichzeitig endet die Erzählung vorerst mit der Aussicht darauf, dass Kvothe von der Universität fliegt, sodass der Leser sich wundert, wie in aller Welt dann ein so mächtiger Zauberer aus ihm geworden sein kann.
Nicht, dass es mir beim Lesen tatsächlich langweilig gewesen wäre. Die Figuren sind interessant, lebendig und größtenteils klischeefrei – vielleicht mit Ausnahme von Ambrose -, und die Geschichte selbst nicht nur durch die unterschiedlichen Zeitebenen, sondern auch durch die bisher nur angerissene Thematik der Magie und der Chandrian samt ihrer Vergangenheit ausgesprochen vielversprechend.
Ein klein wenig war ich am Ende aber doch enttäuscht, dass der Autor sich so ausgiebig und ausführlich der Jugend seines Protagonisten gewidmet, ihn aber gleichzeitig daran gehindert hat, auch nur ein klein wenig von dem in Erfahrung zu bringen, was er so dringend wissen will. Nach so vielen Seiten hätte Kvothe es schon verdient, wenigstens auf einen vergilbten Band zu stoßen, in dem man wenigstens einen einzigen Satz hätte lesen können. Oder so ähnlich. So ganz ohne Antworten zu bleiben, hat dem Einstieg in diesen Zyklus einen Hauch von Langatmigkeit verliehen, was sich allerdings erst auswirkt, wenn man das Buch zu Ende gelesen hat. Insofern kann man Patrick Rothfuss‘ Debüt getrost als sehr gelungen bezeichnen.
_Patrick Rothfuss_ stammt aus Wisconsin. Lange Zeit unsicher, was er mit seinem Leben anfangen sollte, studierte er zahllose Fächer, bis die Universität ihn zwang, endlich irgendwo einen Abschluss zu machen. Inzwischen ist er an derselben Universität als Lehrkraft tätig, und die langen Winter in Wisconsin, die er früher mit Lesen verbrachte, verbringt er nun mit Schreiben. „Der Name des Windes“ ist sein erster Roman. Der zweite Band des Zyklus „The Wise Man’s Fear“ erscheint im April nächsten Jahres auf Englisch.
|Originaltitel: The Name of the Wind. Kingkiller Chronicle Vol. 1
Aus dem Englischen von Jochen Schwarzer
863 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Vorsatzkarte & Lesebändchen
ISBN-13: 978-3-608-93815-9|
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