Rowling, Joanne K. – Ein plötzlicher Todesfall

Die Messlatte hing hoch: Mit ihrer siebenbändigen „Harry-Potter“-Reihe hat die britische Schriftstellerin Joanne K. Rowling eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass sie wunderbare Geschichten schreiben, sympathische und interessante Charaktere zeichnen und ein riesiges Millionenpublikum über Jahre hinweg an ihre Romanhelden fesseln kann. „Ein plötzlicher Todesfall“ ist nun ihr erstes Buch, das sich explizit an Erwachsene richtet. Ob sie die hohen Erwartungen erfüllen kann?

_Ein Platz wird frei_

Völlig überraschend stirbt im kleinen Städtchen Pagford Barry Fairbrother – ein geachtetes Mitglied im Gemeinderat. Während Freunde, Familie und Bekannte noch um Barry trauern und seine Frau darauf hoffen muss, dass die Lebensversicherung ihres verstorbenen Mannes ausgezahlt wird, machen sich die ersten bereits Gedanken darüber, wer Barrys Platz im Gemeinderat einnehmen könnte. Schnell sind zwei Kandidaten gefunden, die völlig unterschiedliche Positionen vertreten. Einer, der vermutlich Barrys Anliegen weitertragen könnte, aber dann auch ein Verwandter eines anderen Mitgliedes im Gemeinderat. Mit harten Bandagen wird um den freien Platz gekämpft, fair sind die Mittel, die dabei zum Einsatz kommen, nicht immer.

Im Wahlkampf treten all die Probleme, die in Pagford dicht unter der Oberfläche brodeln, offen zutage. Insbesondere geht es darum, ob der Gemeinderat weiterhin das Methadonprogramm von Bellchapel unterstützen soll. Davon betroffen ist eine drogenabhängige Mutter, deren jüngster Sohn ihr bereits weggenommen worden ist, der aber derzeit wieder bei ihr zuhause wohnen darf, weil sie im dritten Anlauf das Programm durchzuziehen scheint – bis ihr alter Drogendealer wieder mit dubiosem Ansinnen vor der Tür steht. Ihre 16 Jahre alte Tochter Krystal ist verzweifelt und heckt einen ganz besonderen Plan aus, wie sie sich und ihren jüngeren Bruder retten kann …

Aber natürlich sind das nicht die einzigen Problemfelder, die J. K. Rowling offen und schonungslos anspricht: Da gibt es Eifersüchteleien, Liebeswirrwarr, eine Mutter mittleren Alters, die plötzlich mit einem 16-Jährigen herumknutscht, einen Mann, der sich in die Witwe verliebt, obwohl er bereits eine andere Freundin hat und insbesondere allerlei Problemchen, mit denen die Teenager des Städtchens kämpfen.

_Ist hier auch jemand normal?_

Der Klappentext des Buches verspricht es bereits: Es herrscht Krieg in Pagford. In diesem kleinen Städtchen, wo jeder jeden kennt, liegt jeder mit dem anderen im Clinch. Auch bestehende Freundschaften dienen oft einem Zweck und sind daher ziemlich zerbrechlich. Es werden Affären aufgedeckt, Sex dient immer wieder als Druckmittel und Schüler schwänzen ständig die Schule, um ihren eigenen Plänen nachzugehen. Eine normale Familie, in der Kinder mit ihren Eltern in Frieden zusammen leben, sucht man hier vergebens. Eine glückliche Ehe oder Beziehung sowieso. Hier wird gelogen und betrogen, intrigiert und offen gegeneinander gekämpft. Und das alles „nur“, weil plötzlich ein Platz im Gemeinderat frei geworden ist …

J. K. Rowling zeichnet das Bild einer völlig zerrütteten Stadt mit lauter Einwohnern, die nicht auf Frieden und Harmonie aus sind, sondern dem anderen schaden und ihre eigenen Vorteile durchsetzen wollen. Da fragt man sich wirklich: Ist das eigentlich normal? Dass es mal Kleinkriege zwischen Nachbarn gibt, pubertierenden Zickenkrieg oder auch Ehestreitigkeiten – klar. Aber was im normalen Leben hoffentlich eher die Ausnahme ist, steht hier auf der Tagesordnung. Zudem verliert man schnell die Übersicht, wer eigentlich mit wem im Clinch liegt und aus welchem Grund.

Auf den ersten hundert Seiten treten immer neue Charaktere auf, die J. K. Rowling ausführlich präsentiert. Doch sind es dermaßen viele handelnde Personen, die oftmals auch noch Spitznamen haben, dass man in einem Wirrwarr aus Namen und Charakteren unterzugehen droht. Hier wäre ein Personenverzeichnis mehr als hilfreich, ja vielmehr absolut notwendig, gewesen, um dem Geschehen wenigstens einigermaßen folgen zu können.

Hinzu kommt, dass die Geschichte auf 575 Seiten vor sich hinplätschert und keinerlei Fahrt aufnimmt. Der versprochene Krieg bricht aus in Pagford, aber die Hintergründe sind mehr als fraglich und man kann sich – weil hier jede Figur dermaßen intrigant und unsympathisch ist – kaum in jemanden hineinversetzen. Eine 16-jährige Schülerin, die bei ihrer drogensüchtigen Mutter lebt und wie eine Löwin dafür kämpft, dass ihr kleiner Bruder Robbie in der Familie bleiben darf, und die dafür am Ende zu eher fragwürdigen Mitteln greift und zur tragischen Figur wird, ist hier noch die sympathischste Figur im ganzen Buch.

_Gepflegte Langeweile_

Was hatte ich mir von diesem ersten Buch für Erwachsene von Joanne K. Rowling nicht alles versprochen – spannende Handlung, interessante Charaktere und eine packende Geschichte. Doch was habe ich geboten bekommen? Nichts davon. Vielmehr präsentiert sich in „Ein plötzlicher Todesfall“ ein Mix aus Charakteren, die zwar schräg, aber dabei vollkommen unwitzig sind, gepaart mit einer Geschichte, die dermaßen an den Haaren herbeigezogen und vollkommen unspannend erzählt wird, dass man sich durch die langen 575 Seiten förmlich hindurch quälen muss. Liebe Frau Rowling, das können Sie wahrlich besser. Ich hoffe sehr, dass sich die britische Erfolgsautorin künftig wieder auf Jugendfantasy konzentriert und den Erwachsenensektor möglichst nicht mehr betritt.

|Hardcover, 576 Seiten
Originaltitel: The Casual Vacancy
ISBN-13: 978-3-551-58888-3|
http://www.carlsen.de

_Joanne K. Rowling bei |Buchwurm.info|:_
[„Harry Potter und der Stein der Weisen“ 139
[„Harry Potter und die Kammer des Schreckens“ 140
[„Harry Potter und der Orden des Phönix“ 141
[„Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ 797
[„Harry Potter and the Half-Blood Prince“ 1505
[„Harry Potter und der Halbblutprinz“ 1932
[„Harry Potter and the Deathly Hallows“ 3973

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