Rubin, Szilard – Kurze Geschichte der ewigen Liebe

_Liebe! Liebe. Liebe? – Liebe_

Attila wird zur Zeit des Zweiten Weltkriegs als Waise von seiner Großmutter erzogen. Diese betreibt auch nach dem Krieg noch einen regen Tauschhandel und hält sich und den Enkel damit mehr schlecht als recht über Wasser. Der sieht sich als geistigen Uran des „Taugenichts“, welcher das Herz der großbürgerlich erzogenen Orsolya gewinnt. Doch bereits in der Anfangsphase ihrer von jugendlichem Überschwang gekennzeichneten Beziehung fühlen sie sich gleichermaßen zueinander hingezogen wie von einander abgestoßen.

Orsolya entstammt einer Apothekerfamilie, deren Stammbaum bis in die Kolonialzeit zurückzuverfolgen ist. Die Familie trifft sich in Sommerhäusern und pflegt Erinnerungen an adriatische Yachtclubs sowie Sommeraufenthalte in Dalmatien. Man spricht Fremdsprachen; das Lebensgefühl ist europäisch geprägt. Doch bereits innerhalb einer Generation stirbt mit Tante Anna die Erinnerung an diese Zeit. So liest sich der erste Teil von Szilard Rubins „Kurze Geschichte von der ewigen Liebe“ als melancholischer Abgesang auf eine weltmännische Zeit, als man noch englische Autoren in den Auslagen der ungarischen Buchläden finden konnte. Die Auslöschung der bürgerlichen Kultur durch die Umgestaltungen des Sozialismus wird beschrieben als der Untergang jeglicher Kultur. Die privaten Herrenhäuser, in denen klassische Musik und bildende Kunst gepflegt und gefördert wird, verschwinden. Kleidungsstücke wie beispielsweise ein Muff wirken bereits kurz nach dem Krieg als Relikt aus einer fernen Vergangenheit.

Plötzlich ist Orsolya diejenige, welche aufgrund ihrer großbürgerlichen Herkunft scheinbar wenige Zukunftsaussichten hat, während Attila als hoffnungsvoller junger Schriftsteller aus dem einfachen Volk einer gesicherten Zukunft im Nachkriegsungarn entgegensieht. Doch bereits im nächsten Kapitel ist Attila nicht mehr so zuversichtlich, was seine Zukunft betrifft. Er ist nahe daran, sein Stipendium an der Universität zu verlieren, weil er nicht so schreiben kann, wie es von ihm verlangt wird. Das Leben im neuen Staat wird mit dem Spiel „Chicken Run“ verglichen, bei dem man so lange wie möglich vor einem herannahenden Zug auf den Gleisen verharren muss. Am erfolgreichsten spielen diejenigen, die sich aus den „Trümmern des Großbürgertums in die gehobenen Kreise der Volksdemokraten emporarbeiten“. So macht die arme Hedi Racz über ihre Freunde Karriere und arbeitet sich zu einem Verehrer mit Sportwagen hoch. Attilas sämtliche Freunde versuchen, sich mit dem System zu arrangieren und sich eine angenehme kleinbürgerliche Existenz aufzubauen. Sie erkennen schnell, dass Attilas Talent nicht für große Literatur oder einen Erfolg in diesem System ausreicht und sein Traum vom künftigen Leben als angesehener Schriftsteller wie auch seine vermeintliche Liebe zu Orsolya Selbstbetrug ist.

Die überschwängliche Anziehung der Jugendjahre ist einer Obsession gewichen, die bis zu Attilas völligen Selbsterniedrigung gebracht wird, als Orsolya den Heiratsantrag eines Militäringenieurs annimmt und damit die Ehefrau eines Kommunisten wird. Der künftige Ehemann ist es dann auch, der für die beiden einen Schlussstrich zieht, indem er den verzweifelten Attila vor die Tür setzt. Dieser sieht Orsolya nur noch einmal von Ferne wieder, als sie bereits Gattin des zum Militärattaches von Ulan Bator aufgestiegen Ingenieurs ist.

Damit endet die kurze Geschichte von der ewigen Liebe, bei der man sich zeitweise nicht einmal sicher sein kann, ob es gerechtfertigt ist, überhaupt von Liebe zu sprechen. Jede Situation wird von Szilard Rubin auf den Prüfstand gestellt – und sei es auch Jahre später. So erscheint die Liebe in Jugendzeiten als Provokation von Orsolyas Eltern, die diese Verbindung nicht gern gesehen haben. Eine kurzzeitige Ehe der beiden wird entlarvt als notwendige Reaktion auf eine Kompromittierung. Ob Attila Orsolya tatsächlich liebt oder nur besitzen will, weil er sonst niemanden auf der Welt hat, ist ebenfalls nicht klar.

Rubin macht es seinen Lesern bei der Lektüre nicht leicht. Die Protagonisten begehen scheinbar unmotivierte und nicht voraussehbare Handlungen. Rubin legt ihr Seelenleben mit schlichten ehrlichen Worten so weit offen, dass man ihnen ein Laken reichen möchte, so erschütternd banal und zugleich so unfassbar kompliziert ist ihre Nacktheit. Man kann sich mit ihnen nicht identifizieren. Gelingt es noch, sich vorzustellen, dass die Figuren nach Sicherheit und Bequemlichkeit im Leben streben und sich für den Verrat an den Idealen ihrer Jugend schämen, kann man Attilas Obsession bis zur Selbstaufgabe, seine im wahrsten Sinne jämmerliche Existenz nur schwer nachvollziehen und erst recht nicht sympathisch finden. Daher resultiert vermutlich auch die geringe Beachtung, welche der Erzählung bei ihrem ersten Erscheinen im sozialistischen Ungarn des Jahres 1963 entgegengebracht wurde. So gar nichts spricht bei Rubin vom Ideal des werktätigen Helden, der aktiv den Sozialismus aufbaut. Dafür wird überdeutlich, dass die politischen Veränderungen das Leben der Menschen nur dahingehend beeinflusst, dass man versucht, die alten Strukturen von Macht und Besitz auf einer anderen Ebene wieder herzustellen und das jeder Mensch wie zu allen Zeiten bestrebt ist, sich ein Stück vom Kuchen abzuschneiden. Es ist eine Zeit, in der sich Menschen bis zur Unkenntlichkeit verbiegen und mit dem Erreichten am Ende um diesen hohen Preis doch nicht zufrieden sein können.

Rubins Erzählstil wechselt zwischen minutiös genauen Beschreibungen und großen Zeitsprüngen, welche der Leser mit Handlungsbruchstücken, Vermutungen und Rückschlüssen aus den Worten Dritter selbst füllen muss. Träume und Gedankenfetzen bremsen dabei den Lesefluss und jeder Satz muss auf seine Bedeutung hin abgeklopft werden. So wirkt bereits der Titel nicht nur altersweise, sondern auch ironisch. Das Oxymoron verdeutlicht die Absurdität der Liebe: für Orsolya ist die Liebe nicht ewig, auch wenn sie noch so lange daran festzuhalten versucht. Für Attila ist die Ewigkeit nicht kurz; wie ein Echo klingt die Liebe aus der Vergangenheit herauf, wenn er sich im letzten Teil des Romans des Erlebten erinnert. Und von der Wortanzahl her kurz ist die Geschichte auch nur, weil der Autor sich zu beschränken weiß. Was hier auf 220 Seiten passt, hätte bei einem anderen als dem klaren, schnörkellosen Erzählstil Rubins leicht episches Format einnehmen können, ohne dass mehr gesagt worden wäre. Die Literaturwissenschaft hält das Werk des 1927 geborenen Budapesters für einen der wichtigsten Romane der ungarischen Gegenwartsliteratur. Dank des |Rowohlt|-Verlags ist es nun möglich, sich auch als deutscher Leser eine Meinung darüber zu bilden.

|Originaltitel: Csirkejáték
Übersetzung: Andrea Ikker
220 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3871346316|
http://www.rowohlt.de

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