Rucka, Greg / Lieber, Steve – Whiteout

Das Leben in der Antarktis ist nicht leicht. U.S. Marshal Carrie Stetko kann davon ein Lied singen. Allein in so gut wie rein männlicher Gesellschaft, Witterungsbedingungen, welche die Antarktis zum vermutlich lebensfeindlichsten Ort des Planeten machen – und dann geschieht auch noch ein Mord.

Es liegt an Carrie, den Fall aufzuklären und den Täter in der antarktischen Eiswüste dingfest zu machen. Doch Carrie hat wenig Zeit. Der Winter steht unmittelbar bevor, die meisten Menschen werden in ihre Heimat ausgeflogen, und wenn Carrie den Täter nicht vorher findet, brechen sechs Monate Dunkelheit über sie herein – in der Ungewissheit, dass der Täter sich noch irgendwo da draußen befindet, während sie für sechs Monate von der Außenwelt abgeschnitten ist.

Carries Ermittlungen werden durch die ungünstigen Witterungsbedingungen erschwert und zudem machen ihre Vorgesetzten auch noch Druck: Löst sie den Fall nicht bis zum Einbruch des Winters, ist sie ihren Job los. Doch Carrie bekommt die unerwartete Unterstützung einer britischen Kollegin namens Lily Sharpe. Gemeinsam machen die beiden sich auf die Suche nach dem Täter und stolpern dabei über weitere Leichen. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt …

Was Greg Rucka und Steve Lieber mit „Whiteout“ aufs Papier gezaubert haben, ist ein Krimi in ebenso eindrucksvoller wie ungewöhnlicher Kulisse. Die Antarktis ist als Handlungsort mit das unverbrauchteste Terrain, das man sich vorstellen kann, und das macht zu einem nicht unerheblichen Teil den Reiz der Geschichte aus. Genaugenommen ist es dabei das Zusammenspiel von Ort und Zeit.

Die Antarktis ist kurz vor Wintereinbruch ein Ort in Aufbruchstimmung. Die meisten Menschen werden in ihre Heimat ausgeflogen, bevor die restlichen Verbliebenen für sechs Monate in der Dunkelheit des antarktischen Winters eingeschlossen sind. Carrie muss den Mörder unbedingt rechtzeitig finden – zum einen, um zu verhindern, dass er vorher in Richtung Heimat verschwindet, zum anderen (falls er zur Winterbesatzung gehört), um nicht für die nächsten sechs Monate mit ihm zusammen an einem Ort festzustecken, der von der Außenwelt abgeschnitten ist.

Auch die Britin Lily Sharpe weiß um dieses Problem. Die Antarktis teilt sich in verschiedene Zuständigkeitsbereiche auf, je nachdem, unter wessen organisatorischer Leitung die jeweiligen Antarktis-Stationen stehen. Ein einzelner U.S. Marshal allein kommt da nicht weit. Die entmutigende Frauenquote von etwa zweihundert zu eins macht den beiden ermittelnden Damen die Sache nicht unbedingt leichter. Aber Stetko und Sharpe schieben nicht umsonst Dienst in der Antarktis. Sie sind aus hartem Holz geschnitzt und meistern sowohl die widrigen Witterungsbedingungen als auch die männliche Übermacht.

Der Fall an sich nimmt einen durchaus spannenden, aber auch etwas vorhersehbaren Verlauf. Der aufmerksame Leser bekommt schon recht früh einen sehr entscheidenden Hinweis zur Lösung des Falls präsentiert. Es ist der Wettlauf gegen die Zeit, der die Sache spannend macht, und mit zunehmender Seitenzahl ist es auch die Befürchtung, dass die beiden Heldinnen drauf und dran sind, in eine Falle zu tappen, weil sie Zusammenhänge, die der Leser schon erkannt hat, selbst noch nicht erfasst haben.

Eine wichtige Rolle spielt natürlich auch der Handlungsort selbst. Die spannendste Szene der Geschichte spielt sich folglich mitten in einem verheerenden antarktischen Sturm ab. Daher hat die Geschichte auch ihren Titel, denn die Stürme der Antarktis mit Minusgraden bis in den dreistelligen Bereich und Sichtweiten, die im dichten Treiben von Schnee und Eiskristallen teilweise nur bei fünfzehn Zentimetern liegen, nennt man |Whiteout|. In so einen Whiteout geraten auch Carrie und Lily. Ihr Leben hängt an einem Leitseil, das die einzige Möglichkeit darstellt, sich innerhalb der Basis fortzubewegen, ohne völlig orientierungslos im Sturm zu erfrieren. Das verspricht Spannungsmomente allererster Güte und dürfte auch in der in diesem Jahr in den Kinos anlaufenden [Verfilmung]http://www.imdb.com/title/tt0365929/ des Stoffs – mit Kate Beckinsale in der Rolle der Carrie Stetko, Regier führt Dominic Sena („Passwort: Swordfish“) – ein echter Leckerbissen werden.

Besonders stimmig wirkt die Geschichte aufgrund der Zeichnungen von Steve Lieber. Er fängt die beklemmende Atmosphäre der antarktischen Kälte wunderbar ein. Man möchte meinen, dass Schwarz-Weiß-Zeichnungen bei einem Handlungsort wie der Antarktis schnell etwas öde werden, aber Lieber beweist das Gegenteil. Er arbeitet viel mit diffusen Grauschattierungen, kehrt aber auch immer wieder harte Kontraste heraus. Und so erweckt er die Geschichte wunderbar zum Leben.

Bleibt unterm Strich ein positiver Eindruck zurück. Greg Rucka und Steve Lieber haben mit „Whiteout“ eine Geschichte abgeliefert, die als Krimi sehr solide ist, aber durch ihren ungewöhnlichen Handlungsort und die damit einhergehenden besonderen äußeren Umstände ein absolut besonderes und ungewöhnliches Lesevergnügen ist. Und so kann man „Whiteout“ Krimi-Freunden und Graphic-Novel-Liebhabern gleichermaßen sehr ans Herz legen.

http://www.cross-cult.de

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