Rudy Rucker – Software (WARE-Zyklus 1)

Der Ware-Zyklus:

1) „Software“ (1982)
2) „Wetware (1988)
3) „Freeware“ (1997, nicht auf Deutsch)
4) „Realware“ (2000, nicht auf Deutsch)

Bekiffte Robot-Satire

Cobb Anderson hat die ersten Roboter gebaut, die über ein eigenes Bewusstsein verfügten. Doch sie rebellierten und errichteten eine eigene Gesellschaft auf dem Mond. Dafür wurde ihr Schöpfer verurteilt: ewiges Exil im Rentnerparadies. Nun wollen sich die dankbaren Blechkumpel revanchieren und versprechen ihm Unsterblichkeit. Das klingt gut, doch sie verschweigen, was sie darunter verstehen. Für sie zählt nur die Software eines Menschen …

Der Autor

Rudy Rucker, geboren 1948, heißt bürgerlich eigentlich Rudolf von Bitter-Rucker und ist seines Zeichens Urururenkel des Philosophen G. W. F. Hegel sowie SF-schreibender Dozent für Philosophie der Mathematik und Computerprogrammierer (1986-2004). Von 1978 bis 1980 war Rucker Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung und lebte mit seiner Familie in Heidelberg. Dort lehrte er an der Ruprecht-Karls-Universität Mathematik und schrieb während dieser Zeit unter anderem den Roman „Software“ (s.u.).

Rucker ist für seine Gewandtheit in Sachen theoretische Mathematik und Physik bekannt bzw. berüchtigt. Er hat sie unter anderem in seinem Roman „Weißes Licht“ unter Beweis gestellt, der hohe Anforderungen an den Leser stellt. In „Hohlwelt“ griff er eine phantastische Theorie aus dem 19. Jahrhundert auf.

Sowohl „Software“ als auch „Wetware“ wurden mit dem „Philip K. Dick Award“ ausgezeichnet.

Handlung

Cobb Anderson ist ein 70-jähriger Hippie-Anarchist, der es sich im Renterparadies Florida gutgehen lässt. Doch der Schein trügt. Cobb ist nicht freiwillig hier, sondern wurde von der Weltregierung in dieses Seniorenghetto verbannt. Es ist die Strafe für seine Schöpfung von Robotern, die ein eigenes Bewusstsein erlangten, rebellierten und anno 2001 auf dem Mond unter der Führung von Ralph Numbers eine eigene Gesellschaft errichteten. Die Regierung betrachtete Cobbs Rolle als Hochverrat. Inzwischen hat er eine Herztransplantation hinter sich und seine Frau Verena verlassen. Er fragt sich, wieviele Jahre er noch hat. Er könnte sie mit Annie, der flotten Sechzigjährigen von nebenan, verbringen.

Im Abendsonnenschein hat er es sich gerade mit einer Flasche Sherry gemütlich gemacht, als ein Fremder auftaucht. Verdammt, denkt er, der Typ sieht genauso aus wie ich, wenn ich dreißig Jahre jünger wäre: muskulös, proper, aufrecht. Tatsächlich erweist sich der Fremde als exakte Kopie, allerdings schlägt in seinem Innern kein fleischliches Herz, sondern ein supragekühltes aus Metall. Er möchte, dass Cobb zum Mond zu den Robotern fliegt. Er halte solange hier die Stellung. Als Dank der Blechler an ihren Schöpfer macht er Cobb ein Angebot: Unsterblichkeit. Cobb findet dies in der Tat verlockend. Aber das Geld für das Ticket vergräbt er erst einmal unter einem Baum.

Seltsamerweise soll ein junger, ständig zugedröhnter und geiler Polizistensohn namens Sta-Hi Mooney jr. den alten Hippie begleiten. Alles ist arrangiert, und nach ein paar Startschwierigkeiten fertigt eine nette Dame das ungleiche Paar am Raumhafen ab. Sta-Hi 2.0 steht auch schon bereit, um das Original abzulösen. Auf seine Warnung achtet Cobb kaum: Auf dem Mond habe die Blechlerfraktion der Schaufler eine Revolte gegen den Anführer Ralph Numbers angezettelt und wolle verhindern, dass Cobb Unsterblichkeit erlange. In letzter Sekunde schaffen Anderson und Mooney den Start.

Auf Luna

Die in den Erzminen rackernden Roboter, genannt „die Schaufler“, haben tatsächlich eine Revolte gegen Ralph Numbers unternommen. Wenigstens haben sie Ralph eine faire Vorwarnzeit gegeben, bevor sie ihn aus dem Hinterhalt erschossen. Sein drei Meter langer, tonnenschwerer Körper war bewegungsunfähig der Sonne ausgesetzt, so dass die Kühlung seiner Schaltkreise versagte. Glücklicherweise – und ebenso selbstverständlich – hat Ralph Numbers zuvor bei seinem Freund Vulcan eine Sicherheitskopie seiner Software angefertigt. Nun ist er wieder ganz der Alte. Denkt er. Denn die 37. Kopie von Ralph hat natürlich keine Ahnung von der Schaufler-Revolte und dem hinterhältigen „Mord“.

Cobb und Sta-Hi checken wie befohlen im Luna Hilton ein, doch als sie sich draußen umsehen (angetan mit Raumanzügen) umsehen, geraten sie mitten in eine Art Gewerkschaftsrevolte von Streikenden gegen einen der Megaroboter (GAX). Sie schlagen sich zum durch Museum durch, das ebenfalls einen Megaroboter darstellt: MEX. Hier treffen sie endlich Ralph Numbers, der Cobb endlich sein Angebot erläutert.

Die Unsterblichkeit betrifft nur Cobbs Geist, sozusagen seine Software. Allerdings wird seine Hardware, also sein Körper, nicht mehr gebraucht. Denn darf man wohl getrost entsorgen. Cobb sieht das ein und willigt ein, woraufhin ein „Schwesterchen“ den Betäubten einscannt und die „Hardware“ auseinandernimmt. Sta-Hi, der sich inzwischen von Cobb getrennt hat, bekommt diesen Anblick und sehen und schwört sich, niemals der Trennung von seinem Körper zuzustimmen. In einem Organcontainer lässt er sich zur Erde verfrachten. Cobb hingegen wird einfach hinuntergebeamt.

Daytona Beach

Das Erwachen in einem anderen Körper ist für Cobb etwas beschwerlich. Und es ist auch nicht sein eigener, sondern ein Ersatz. Sein geist ist in einem Eiswagen gespeichert, der sich „Mister Frosti“ nennt (supragekühlt, versteht sich). Und Mister Frosti ist der hiesige Superblechler. Leider steckt er gerade in Schwierigkeiten. Er setzt nämlich ein Programm um, Menschenseelen einzusammeln. Der Zweck scheint ein hehrer zu sein, der alle Mittel rechtfertigt: Er will Menschenseelen und Blechlerkörper so verschmelzen, dass ein Superorganismus entsteht. Ist das nicht toll?

Gar nicht toll, findet Cobb. Er will seinen altgewohnten eigenen Körper zurück. Zusammen mit Mister Frosti begibt er sich auf eine Odyssee, die ihn zu einem verhängnisvollen Wiedersehen mit Sta-Hi Mooney führen soll …

Mein Eindruck

Obwohl es um Roboter geht, ist dies weder ein Asimov-Verschnitt noch ein Cyberpunk-Roman. Die Cyberpunks à la William Gibson („Neuromancer“, 1984) benutzten den Cyberspace als eine Art Spielewelt, um eine Thrillerstory im Lowlife-Milieu aufzusetzen. Das kennt man ja aus unzähligen heutigen Games. Rucker hingegen nimmt den Cyberspace als Techniker wahr – und als Mathematiker spielt er damit.

Natürlich wird Asimov als „humano-chauvinistischer“ Erfinder der drei Robotergesetze erwähnt. Tatsächlich ist er der große Feind, weil er alle Roboter den Menschen untertänig gemacht hat. Bis Cobb Anderson kam und die Robotergesetze aus den Programmen entfernte. Das war die erste Befreiung der Blechler, erfahren wir, doch die zweite folgte auf dem Fuße.

Die nunmehr entfesselten Roboter hatten keinerlei Vorgaben, was ihre Entwicklungsrichtung anbelangt. Anderson wusste auch nicht, was für die Roboter gut war. Also, so wird es im Luna-Museum dargestellt, führte er einen rasanten Evolutionsmechanismus ein. Was die Blechler mittlerweile für eine Art mystischen Gottesdienst halten, indem sie eine Vereinigung mit dem EINEN erleben, ist eine simple Löschung ihres Gedächtnisspeichers sowie eine Störung ihrer Programmierung. Und da dieses Akt für jeden Blechler alle zehn Tage verpflichtend ist, kann man sich leicht ausmalen, welche mitunter verheerenden Auswirkungen dieser künstliche Mutationsvorgang hat.

Soweit die philosophische Seite des Roboterkonzepts, das praktisch einen Gegenentwurf zu dem klassischen bildet, das Asimov anno dunnemals (genauer: Ende der 30er Jahre) aufstellte. Inzwischen kommt uns Ruckers Konzept der Robotevolution ein wenig angestaubt vor. Allerdings ist zu bemerken, dass es immer noch nicht umgesetzt worden ist, also weiterhin in der Zukunft liegt. Der Grund ist sehr menschlich: Ein Roboter muss immer kontrollierbar sein. Wehe, wenn nicht! In dieser Richtung liegen Hollywoods Albträume.

Ein zweites Thema ist das Geschenk, das die Robots ihrem Befreier machen: die Trennung von Körper (Hardware) und Seele (Software). Auch dies ist bis heute noch nicht gelungen, rückt aber täglich in Griffweite. Natürlich fragt Anderson, was die Roboter denn mit seiner Software wollen, also seinen extrahierten Gedanken und Erinnerungen. Die Begründung ist interessant, denn sie ist relativ statt absolut: Noch verfügt der menschliche Verstand über die komplexesten Gedankenverbindungen, die ein Blechler kennt. Menschliche Software in einem unzerstörbaren Körper, das ist das Blechler-Nirvana.

Als Computerprogrammierer kennt Rucker allerdings die Tücken der Informationstechnik. So ist zwar die Software durch eine Sicherungskopie und Wiederherstellungs (Backup & Disaster Recovery) entsprechend geschützt, nicht aber der Gastkörper, in den deren Download erfolgt. In diesem Punkt zeigt sich Rucker bereits Vorläufer von Richard Morgans Klonkrimi „Das Unsterblichkeitsprogramm“ (siehe meinen Bericht). Körper können ebenso gestohlen und verkauft werden wie „Seelen“, also Human-Software. Dass sich Morgan auf Robert Sheckley beruft, ist kein Zufall: Ruckers WARE-Romane lesen sich genauso einfallsreich, bissig und humorvoll wie Sheckleys beste Storys und Romane. Bei Rucker reichen sich Sheckley und Philip K. Dick die Hand.

Humor, Sex, Chaos

All dies wäre natürlich für den durchschnittlichen amerikanischen SF-Leser, also einen zwölfjährigen Teenie, völlig unerträglich. Die Philosophie ist hochgestochen, und nicht jedem ist der Name „Isaac Asimov“ ein Begriff. Deshalb spielen Humor, Rausch und Sex eine wichtige Rolle. Auftritt Sta-Hi Mooney jr.

„Sta-Hi“ steht für „stay high“, also high bleiben, und „Mooney“ spricht für sich selbst. Da Sta-Hi der frustrierte Sohn eines gesetzestreuen Polizisten ist, kommt ohne den Rausch nicht aus, sei es mit „Gras“ (also Marihuana), Alkohol oder anderen Drogen. Das kann man gut verstehen. Darin liegt er mit Anderson auf einer Linie. Außerdem ist er dauergeil und ständig auf Frauensuche.

Als wäre das Dope noch nicht heikel genug, bringt ihn „cherchez la femme“ regelmäßig in die ulkigsten und gefährlichsten Situationen. So wollen ihm die „Kleinen Witzbolde“, die für Mister Frosti arbeiten, das Hirn raussäbeln. Man kommt sich vor wie zu Gast bei Hannibal Lecter. Doch es kommt zum Glück nicht zum Äußersten.

Eine weitere interessante Erfahrung für Sta-Hi ist seine Cyberspace-mäßige Verbindung mit einem Spezialmantel, den er sich im Mond-Museum umlegt. Der Mantel verfügt über ein eigenes Programm und bohrt dem jungen Mann seine Mikroelektroden in die Nervenbahnen. Auf einmal erhält Sta-Hi Bewusstseinsfunktionen eines Roboters. Er versteht Robotersprache, kann sich verständigen und sogar die Gedanken von Menschen lesen.

Die Telepathie ist wohl die gewagteste Extrapolation, die sich der Autor leistet, denn sie überwindet die Barriere zwischen Hardware, Software und Gedanken. Auch Anderson ist mit dieser Gabe gesegnet, doch er nutzt sie ganz anders: Er gründet eine Kirche. Sie nennt sich personetics, was eine unverhüllte Anspielung auf Dianetics darstellt. Die Dianetik, die vom SF-Autor L. Ron Hubbard gegründet wurde, firmiert heute unter dem Tarnnamen Scientology und nennt sich Sekte. Hier kritisiert der Autor ganz offen die Irrläufer unter den SF-Utopien als menschenfeindlich (obwohl die Robots keinen Deut besser sind). Anderson 2.0 nimmt denn auch das unrühmliche Ende, das er verdient. Darüber darf aber nichts verraten werden.

Die Übersetzung

Das Original wurde 1982, in den Anfängen der Reagan-Ära, veröffentlicht und erst sechs Jahre später zusammen mit „Wetware“ bei Heyne veröffentlicht. Daher unterscheiden sich nicht die zwei Bücher, sondern uns kommt das Jahr 1982 mittlerweile wie die EDV-technische Steinzeit vor. Kaum eine IT-Funktion ist mobil und drahtlos realisiert. Wenigstens kann Mister Frosti drahtlos mit Anderson kommunizieren.

Kurt Bracharz betätigte sich in den achtziger Jahren als satirischer SF-Autor, was gut ankam, denn es gab kaum SF-Satiren aus deutschen Landen. (Hier muss auch unbedingt Karl-Michael Armer genannt werden.) Die ersten Personal Computer von Apple kamen auf den Markt, bald sogar von IBM, und erstmals konnte jeder Stubenhocker selber so eine Kiste programmieren. Bracharz hingegen wurde offenbar vom Verlag dazu verdonnert, alle englischen Fachbegriffe ins Deutsche zu übertragen. Deshalb grübelt zwar der Experte, was gemeint ist, aber jeder Laie kann sich halbwegs etwas unter den Fachbegriffen wie Arbeitsspeicher vorstellen. Einmal wird sogar ein Mega-Byte als riesiger Speicher vorgestellt – das ist wirklich zum Kichern. Aber es geht auf das Konto des Autors.

Nein, die Schwächen des Textes beruhen auf den unzähligen Flüchtigkeitsfehlern. Schon auf S. 6 geht’s los: “ …daß [d]er Mann vor ihm …“ Um warum auf S. 31ff stets „kph“ statt „km/h“ geschrieben wird, wundert mich.

Auf S. 45 wird es schon kritischer. Denn dort wird offensichtlich Mooney mit Cobb verwechselt bzw. umgekehrt: „Mooney stieß eine Wolke Zigarettenrauch aus. Letzte Nacht war er zu müde gewesen, um sich Mooneys (?!) Doppelgänger genauer anzusehen.“ Würde Mooney wirklich seinen eigenen Doppelgänger genauer ansehen? Wohl kaum. Er würde in Panik geraten. Es muss sich also um Cobbs Doppelgänger handeln.

Und dann gibt es da noch die Insiderwitze. „Copesetic“ (S. 58) ist einer davon. Das Wort ist eine etwas kühne Kontraktion aus „completely satisfactory“. Ich vermute seinen Ursprung im Nerd-, Studenten oder sogar Hippie-Slang. Schade, dass keine Fußnote diesen sprachlichen Witz erklärt. Dagegen sind anzügliche Sprüche wie „Sind sie gut zu Vögeln, Gnädigste?“ (54) und „Er verlegt ein Rohr.“ (49) noch heute geläufig.

Auf S. 146 wird sogar die Woodstock-Generation zitiert (ohne dass dies irgendwie gekennzeichnet würde): „Sei der erste in deinem Block, der seinen Sohn in einer Kiste heimkommen sieht.“ Der Satz stammt direkt aus dem „Fixin‘ to die Rag“ von Country Joe McDonald, einem sarkastischen Antikriegslied der Kriegsdienstverweigerer, die nicht nach Vietnam geschickt werden wollten.

Und dann gibt es noch die Sätze, die überhaupt keinen Sinn ergeben. Auf S. 175 steht der Satz: „Es geht mich an, jedem erklären zu müssen, dass es meiner ist.“ Entweder sagt Cobb Anderson, dass es nicht angeht, dass … oder er sagt stattdessen, dass es ihn ankotzt. Letzteres halte ich für viel wahrscheinlicher.

Unterm Strich

Rudy Rucker hat einen rasanten und witzigen Roboterkrimi geschrieben, wobei ihm einige herrlich schräge Charaktere wie Sta-Hi Mooney gelungen sind. Wer ein kurzweiliges Lesevergnügen haben möchte, sollte allerdings bereits SF-Fans und -kennern sein. Nur dann bekommt man alle Witze und Spitzen mit, so etwa gegen Isaac Asimov und L. Ron Hubbard. Nützlich ist es natürlich schon, wenn man etwas von EDV und Robotern versteht. Aber nicht unbedingt notwendig.

Die Übersetzung wird dem Sprachwitz des Buches nicht ganz gerecht, so dass der SF-Fan, wenn möglich, sich das Original zulegen sollte. Außerdem verwirren die entstellenden Irrtümer und stören die Druckfehler doch ziemlich beim flüssigen Lesen.

Taschenbuch: 205 Seiten
Originaltitel: Software, 1982
Aus dem US-Englischen von Kurt Bracharz
ISBN-13: 978-3453027596

https://www.heyne.de

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