Russell, Sean – Goldvogel (Das verlorene Königreich 2)

Band 1: [„Nachtvogel“ 2673

Nach den turbulenten Ereignissen am Ende des ersten Bandes muss der Leser zu Beginn des zweiten erst einmal sämtliche Beteiligten wieder einsammeln:

Elise hat sich in ihrem verzweifelten Wunsch, Eremon zu entgehen, ins Wasser gestürzt und dort einen Pakt mit der Nagar Sianon geschlossen. Aber sie ist von dem Ergebnis keineswegs begeistert. An Sianons Erinnerungen kann sie die Grausamkeit und Skrupellosigkeit der ehemaligen Zauberin erkennen. Sie weiß, dass sich ein Monster in ihr eingenistet hat, und nun ist sie stets damit beschäftigt, die Oberhand über den fremden Geist zu behalten. Gleichzeitig weiß sie aber auch, dass sie nun erst recht zur Zielscheibe Eremons geworden ist. Denn auch er hat einen Pakt mit einem Nagar geschlossen, mit Sianons Bruder Caibre, der seine Schwester schon vor Urzeiten bis auf den Tod bekämpfte. Er wird sie auch jetzt wieder bekämpfen, aber Sianons Pakt ist noch neu, ihre Macht gering. Ihre einzige Chance ist es, Alaan zu erreichen. Doch Alaan ist mit seinem Versuch, Eremon ins verborgene Land zu locken, gescheitert. Außerdem ist es seinen Verfolgern gelungen, ihn zu verwunden. Er fiebert und ist nahezu hilflos. Mit Hilfe Kilydds, eines früheren Reisegefährten Alaans, machen sich Elise, die Seetaler und Cynndl auf den Weg, ihn zu suchen, verfolgt von Eremon …

Außer Eremon sind auch Toren Renné und sein Vetter Dease mit Verfolgung beschäftigt. Beldors Attentat ist fehlgeschlagen, statt Toren hat er seinen jüngeren Vetter Arden erschossen. Jetzt sind Beldor und sein Mitverschwörer Samul auf der Flucht. Unterwegs trifft Toren auf A’brgail und einige seiner Ritter, die sich ihrer Suche anschließen. Zu ihrem Leidwesen müssen sie feststellen, dass die Flüchtigen unterwegs auf Eremon gestoßen sind und sich ihm offenbar angeschlossen haben! Dennoch will Toren die Verfolgung nicht aufgeben. Doch nachdem er die stillen Wasser betreten hat, den Sumpf, in dem auch der verwundete Alaan liegt, bereut er seine Entscheidung nur zu bald. Denn die Gruppen um Eremon, Elise und Toren sind ganz offensichtlich nicht die einzigen, die in diesem Sumpf umherwandern …

Während die Zauberer im Sumpf des verborgenen Landes Versteck spielen, hat Elises Vater Carral Willt beschlossen, sich nicht länger hinter seiner Blindheit zu verstecken und den Rennés einen Vertrag angeboten: Er selbst fordert sein Recht als Oberhaupt der Willts ein, die Schlachteninsel wird von den Rennés an ihn zurückgegeben, und er wird dafür ein Bündnis mit den Rennés schließen. So hoffen er und Frau Beatrice, Torens Mutter, einen Krieg zu vermeiden. Doch von Carl A’denné erfahren sie, dass der Fürst von Innes und Menwyn Willt vorhaben, die Schlachteninsel einfach zu besetzen. Carl bietet sich als Spion an, teils aus Abscheu gegen Eremon, teils aus dem Wunsch heraus, seinen Besitz vor der Vereinnahmung durch Fürst Innes zu schützen. Es dauert nicht lange, und es herrscht Krieg …

_Die Saga geht weiter_

Sean Russel hat also seine Protagonisten in einer völlig veränderten Aufstellung auf die Reise geschickt. Aber das ist nicht alles. Die Zahl der Handlungsstränge hat massiv zugenommen. Allein im Sumpf agieren zur „besten“ Zeit allein fünf Gruppen, die sich ständig mehr oder weniger versteckt umeinander herumbewegen. Und auch die Anzahl der Gruppen, die in der normalen Welt die Ereignisse bestimmen, wurde erweitert, nicht nur durch Carl und seinen Begleiter Jamm, sondern auch durch Eber und seinen Sohn Llya, die ihre Insel im Fluß verlassen haben, um die Fáel aufzusuchen.

Der Großteil des Geschehens spielt sich jedoch im Sumpf ab. Das Erstaunliche dabei ist, dass eigentlich nicht wirklich viel passiert. Toren und A’brgail suchen nach Beldor und Samul in Eremons Gefolge, Eremon sucht nach Sianon, und Sianon sucht nach Alaan. Alaan selbst wird von Häschern Eremons gefangen genommen, wieder befreit, nochmal gefangen genommen, nochmal befreit, und schwebt die ganze Zeit am Rande des Todes.

Der Tod bringt dann auch frischen Wind in die ganze Angelegenheit. In den finsteren Schatten, die versuchen, nach dem sterbenden Alaan zu greifen, erhält er die erste Andeutung einer Gestalt. Die Sage um Aillyn und Wyrr, den Vater der verfeindeten Zauberergeschwister, bildet die Basis zu dem, was sich da allmählich zusammenbraut. Aber erst am Ende des Buches erfährt der Leser, womit er es wirklich zu tun hat.

_Leseerlebnis_

Das viele Hin und Her zwischen den Parteien ist nicht wirklich geeignet, den Spannungsbogen straff zu halten. Allein der Kampf gegen die Schatten bietet einen kleinen Höhepunkt zwischendurch, ehe es beim Verlassen des Sumpfes wieder ernsthaft zur Sache geht. So kommt es, dass der größere Teil der Spannung von der kleineren Hälfte des Buches, dem Kampf um die Schlachteninsel und Carls Flucht zu den Rennés, getragen wird, zumal am Ende der Hetzjagd noch eine Überraschung auf den Leser wartet.

Der zweite Band war um einiges anstrengender zu lesen als der erste. Durch die Vielzahl der Handlungsstränge wurden die Unterbrechungen vor allem der weniger wichtigen Fäden oft ziemlich lang, was das Zurückfinden in den besagten Faden erschwert. Dafür erhält der Leser durch weitere Geschichten aus der Vergangenheit einige Antworten auf Fragen, die im ersten Band noch unbeantwortet geblieben sind. Die Wendung am Ende des zweiten Bandes sorgt indes für eine Menge neuer Fragen, die das Interesse am weiteren Verlauf der Geschichte in den letzten Band der Trilogie hinübertragen. Mit dem ersten Band kann der zweite zwar nicht ganz mithalten, er bietet aber trotz ein paar kleiner Durchhänger und des anstrengenden Handlungsverlaufs einige interessante Ideen, welche die Lektüre lohnend machen: das Mondsteintor; der Stein, den Aillyns Herold mit der Bitte um Unterstützung zuerst Alaan, dann Eremon anbietet; der kleine Llya, der zwar stumm ist, aber dafür die Stimme des Flusses verstehen kann …

Sehr wohltuend empfand ich das nahezu fehlerfreie Lektorat. Heyne hat da ein Stück ordentlicher Arbeit abgeliefert. Auch das Cover der Bände gefällt mir, wenngleich ich sagen muß, daß mir der Zusammenhang zwischen den Abbildungen von Einhorn und Drache auf den ersten beiden Bänden und dem Inhalt der Erzählung bisher entgangen ist! Ähnliches gilt für den Titel: „Nachtvogel“ könnte man ja noch auf den Züst beziehen, der Alaan folgt. „Goldvogel“ paßt zu dem schwarzen, krähenähnlichen Vogel allerdings überhaupt nicht. Ob sich ein Bezug des Titels „Sturmvogel“ zum Buch herstellen läßt, wird sich noch zeigen.

Sean Russell lebt in Vancouver. Er hatte bereits als Kind eine Vorliebe für phantastische Erzählungen und begann schließlich selbst zu schreiben. 1991 erschien sein erstes Buch. Aus seiner Feder stammen „Das Reich unter den Hügeln“ und „Der Seelenkompass“, „Welt ohne Ende“ und „Meer ohne Ufer“ sowie die Barbaren-Trilogie. Nicht alle dieser Bücher sind auf Deutsch erhältlich.

http://www.sfsite.com/seanrussell

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