David Safier – Mieses Karma (Lesung)

Zeig dem Nirvana den Finger!

Gerade als die Fernsehmoderatorin Kim Lange beruflich auf dem Gipfel anlangt, wird sie von einem Bruchstück einer herabstürzenden russischen Raumstation erschlagen. Im Jenseits erfährt sie, dass sie im Leben viel mieses Karma gesammelt hat: Sie habe ihr kleine Tochter vernachlässigt und ihren Mann betrogen. Zur Strafe wird sie jetzt als Ameise wiedergeboren.

Das Leben als Ameise ist ein hartes Los. Damit es auf der Reinkarnationsleiter wieder aufwärts geht, muss schnellstens gutes Karma her. Doch der Weg vom Insekt zurück zum Zweibeiner ist hart und voller Rückschläge. Schließlich schafft es Kim, als fettleibige Frittenverkäuferin wiedergeboren zu werden. Gerade noch rechtzeitig, um ihre Tochter Lilly zu retten und die Eheschließung ihres früheren Mannes mit ihrer intriganten besten Freundin zu sabotieren.

Der Autor

David Safier, 1966 geboren, wurde bekannt durch die Drehbücher zu den Erfolgs-Fernsehserien „Nikola“, „Mein Leben und Ich“, „Zwei Engel und Amor“ sowie „Berlin, Berlin“. Ausgezeichnet wurde seine Arbeit bereits mit dem Grimme-Preis, dem Deutschen Fernsehpreis und dem Emmy, dem amerikanischen Fernseh-Oscar. Safier lebt und arbeitet in Bremen. „Mieses Karma“ ist sein erster Roman.

Die Sprecherin

Nina Petri gab ihr Schauspieldebüt in der TV-Serie „Rote Erde“ und war seitdem in vielen Erfolgsfilmen zu sehen, u. a. in „Lola rennt“ und „Emmas Glück“. Sie wurde mit dem Bayerischen Filmpreis und dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet.

Bei den Aufnahmen in den Eimsbütteler Tonstudios führte Gabriele Kreis Regie.

Handlung

Es soll eigentlich der größte Tag im Leben Kim Langes werden, der bekannten und beliebten Polit-Talkmasterin. Heute ist nicht nur der fünfte Geburtstag ihrer Tochter Lilli, sondern auch der Tag, an dem ihr möglicherweise der Deutsche Fernsehpreis verliehen wird. Doch das Schicksal hat etwas ganz anderes mit ihr vor. Es wird ein Tag der Katastrophen.

Weil es in ihrer Ehe mit Alex, 33, kriselt, träumt Kim bereits im Taxi zum Flughafen von Daniel Kohn, dem charmanten Fernsehmoderator, der möglicherweise ebenfalls den Deutschen Fernsehpreis erhält. Am Flugsteig nimmt Kims Chef Benjamin Carstens sie in Empfang. Im Berliner Hotel sieht Kim dann tatsächlich Daniel, und – o Wonne! – er setzt sich tatsächlich zu ihr. Die Verabredung für einen kleinen Seitensprung versetzt sie auf Wolke sieben.

Von der sie heftig abstürzt, als sich das Versace-Kleid, das sie bestellt hat, als das falsche herausstellt. Sie kann es trotzdem anziehen, obwohl die Nähte knirschen. Und spätestens als Kim Lange als Preisträgerin der Deutschen Fernsehpreis von Ulrich Wickert aufs Podium gerufen wird, geben die Nähte der Überbeanspruchung nach. Sie merkt ein paar Sekunden zu spät, dass es sich hintenrum ein wenig luftig anfühlt, aber da ist das Bild ihres entblößten Hinterns bereits über sechs Millionen Fernsehschirme geflimmert, um die Fernsehnation in Ekstase zu versetzen. Kim, das ist nun endgültig klar, trägt drunter kein Höschen …

Der Abgrund dieser peinlichen Schmach ist zu tief, um ausgehalten zu werden. Heulend auf ihrem Zimmer gelandet, wird sie erst wieder der Außenwelt bewusst, als Daniel Kohn mit einem Friedens- und Versöhnungsangebot bei ihr anklopft. Aus dem Glas Schampus wird ein zweites, und sie landen in der Kiste. Der Seitensprung wenigstens glückt Kim einwandfrei. Doch die Strafe des Schicksals lässt nicht lange auf sich warten. Als sie auf dem Hoteldach allein ein wenig frische Luft schnappt, stürzt das Waschbecken einer zur Erde zurückgeholten russischen Weltraumstation direkt auf ihr seliges Haupt.

Instant Karma

Nachdem das Leben an ihrem geistigen Auge vorbeigezogen ist, sieht Kim das Licht. Das Licht des Nirvana. Aber sie wird abgestoßen und als Ameise wiedergeboren. Allerdings liegt sie keineswegs im Koma, wie ihr eine ungemein gütige Stimme versichert. Sie dreht sich um und erblickt eine wirklich dicke Ameise. Diese stellt sich als Siddharta Gautama vor. Hä? Buddha dürfte wohl eine bekanntere Bezeichnung sein, genauer gesagt: ein Ehrentitel. Buddha erklärt, wie die Sache von nun an für Kim läuft. Sie habe sich diese Wiedergeburt wegen ihrer Fehler selbst verdient und solle nun das Beste daraus machen. Er löst sich in Luft auf.

Das folgende, pardon, DIE folgenden Leben sind für Kim ein einziger Lernprozess mit allen Ups und Downs. Sie lernt eine männliche Ameise kennen, die sich als Giacomo Girolamo Casanova vorstellt, seines Zeichens Liebhaber der Königin des Ameisenbaus. Allerdings unternimmt er immer wieder Fluchtversuche, die leider kläglich scheitern. Erst zusammen mit Kims Einfallsreichtum gelingt ihm endgültig die Flucht. Er erläutert ihr, was Buddha gesagt hat. Je mehr gute Taten sie vollbringe, desto günstiger werde ihr Karma und desto höherwertig seien die Tiere, als die sie, Kim, wiedergeboren werde. Aber aufgepasst: Selbst mit guten Absichten kann man Schlechtes bewirken.

Das muss auch Kim erfahren. Als sie den Bau vor einer Flutkatastrophe warnt, erntet sie zwar karmische Bonuspunkte, doch als sie als Kalb eine Rebellion gegen einen Cowboy anführt, der die Kälber brandmarken will, führt ihre Intervention nur dazu, dass alle Kälber inklusive ihrer Wenigkeit eingeschläfert werden. Ganz schlechtes Karma. Erst die Stationen Regenwurm, Kartoffelkäfer, Eichhörnchen und Meerschweinchen bringen ihr wieder Demut und Selbstlosigkeit bei. Ja, sie darf sogar erleben, wie sie als Meerschweinchen ihrer eigenen Tochter Lilli zum Geschenk gemacht wird.

O Hölle!

Doch daheim stehen nach zwei Jahren der Abwesenheit die Dinge nicht zum Besten. Ihre einstmals beste Freundin, Nina aus Hamburg, hat sich an Alex rangeschmissen und spielt Ersatzmutter. Eifersüchtig und neidisch muss Kim zugeben, dass es Nina sogar gelungen ist, Kims Mutter vom Alkohol abzubringen. Doch Nina scheint etwas gegen Meerschweinchen zu haben. Sie lässt Alex Kim und ihre drei Geschwister sowie den unverwüstlichen Casanova mit zu seiner neuen Arbeitsstelle bringen: in die Tierversuchsanstalt. Kim ahnt das Schlimmste, doch auf das, was nun folgt, ist auch sie nicht vorbereitet …

Mein Eindruck

Wer auf seichte humorvolle Unterhaltung mit romantischem Touch steht, kommt bei „Mieses Karma“ voll auf seine Kosten. Man kann aber auch Kitsch dazu sagen. Kitsch lebt von Klischees, und Klischees werden hier jede Menge verbraten. Dass sich die egoistische Zicke in ein liebendes Muttchen wie Saulus zu Paulus wandelt, gehört in jede moralische Gardinenpredigt, seit Paulus seine Briefe an die Korinther (oder waren’s die Galater?) schrieb. Der Weg der Wandlung ist das Ziel dieser Geschichte.

Diese Geschichte einer inneren Wandlung kann man auf millionenfach verschiedene Weise erzählen, und man muss nicht „Robinson Crusoe“ oder „Pilgrim’s Progress“ gelesen haben, um den Ausgang von vornherein zu kennen. Nein, die Kunst des Autors besteht darin, eben diesen bekannten Ausgang so schwierig und unwahrscheinlich wie nur möglich zu machen. Nach dem Motto: Was könnte für Alex unattraktiver sein, wenn er eine Mutter für Lilli sucht, als eine fette Frittenverkäuferin namens Maria Schneider? Und welche Kandidatin könnte weniger Chancen gegen Super-Nina haben als eben diese Frittenverkäuferin?

Es sind genau diese Unwahrscheinlichkeiten und Diskrepanzen, die für einfache Gemüter wohl so etwas wie Humor bedeuten und in ihnen Lachanfälle auslösen sollen. Phantasiereichere Leser bzw. Hörer dürften sich unter Humor etwas ganz anderes vorstellen, nämlich etwas, das mit Ironie zu tun hat. Von Ironie ist zwar hin und wieder etwas zu spüren, aber diese geht grundsätzlich immer auf Kosten der Erzählerin, die sich den Mächten des Schicksals ausgesetzt sieht.

Das Streben nach gutem Karma verhindert nicht, dass Kim Lange alias Maria Schneider planvoll eine Ehe zerstört. Dass sie sich dafür irgendwelche karmischen Bonuspunkte erhofft, ist ziemlich unwahrscheinlich. Aber in ihrer weiblichen Denke, mit der sie alle möglichen irrationalen Verhaltensweisen „vernünftig“ zu begründen vermag, dient die Ehezerstörung einem höheren Ziel und dieses heißt: das Glück Lillis, die ihre echte Mami zurückhaben will.

Der Autor in seiner „Genialität“ verhindert durch einen simplen Trick, dass sich Maria Schneider einfach vor Lilli hinstellt und sich als deren Mutter zu erkennen gibt. Angeblich hat Buddha, der ja für alle Schrecken herhalten muss, Maria mit einem Bann belegt, wonach sie statt einer Offenbarung ihrer Identität das Volkslied „Die Vogelhochzeit“ trällern muss. Die spannendsten Momente werden auf diese Weise ins Lächerliche gezogen. Ist das Humor? Falls ja, dann von der schwachsinnigsten Sorte.

Dass der Showdown dort stattfindet, wo die Ehe der Langes geschlossen wurde, nämlich – nein, nicht im Himmel, sondern in einer kleinen alten Kirche im hintersten Venedig, auch das gehorcht den klischeehaften Regeln der romantischen Komödie. Sämtliche Karnickel werden aus dem Hut des Autors gezaubert, um die finale Wende herbeizuführen, nach der es dann wie üblich heißt: Friede, Freude, Eierkuchen. Nirvana? Wer braucht schon Nirvana, wenn er eine solche Familie hat!

Die Ochsentour durch die Reinkarnationen soll wohl so etwas wie Fantasy anklingen lassen, bedient aber vielmehr Leute, die auf Buddhismus stehen – und diese Fans des Dalai Lama scheinen immer mehr zu werden, wenn man den Fernsehberichten über den Besuch des Würdenträgers in Hamburg Mitte Juli glauben will. Und es sind erstaunliche viele Frauen darunter, viele über 30 Jahre alt, genau wie Kim Lange. Insofern könnte die Komödie David Safiers genau auf sie zugeschnitten sein.

Sie hängt sich aber auch an die unkonventionellen Biografien aus den USA an, von [„Jesus von Texas“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?idbook=1336 über „Das wunderbare Leben des Edgar Mint“ von Barry Udall bis zu Mark Haddons „Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone“. Dumm nur, dass „Mieses Karma“ mehr Ähnlichkeit mit einem Grimmschen Märchen an sich hat, beispielsweise dem vom hässlichen Entlein, das eines Tages zu einem stolzen Schwan wird. Und merkwürdig finde ich auch, dass das hässliche Entlein jede Menge „wilden Sex“ haben will, bevor es bereit ist, sich in einen Schwan, das Inbild der ehelichen Treue, zu entwickeln. Die Story hat also alles, was das einsame romantische Single-Herz begehrt: Sex, Romantik, Erotik, Familienglück – und ganz viele Karmapunkte.

Die Sprecherin

Man merkt der bekannten Schauspielerin Petri an, dass ihr der Vortrag bei aller Mühe doch auch viel Spaß gemacht hat. Denn sie darf hier wieder kindlich sein. Lilli spricht sowieso mit einer kindlich hohen Stimme, aber die Sprecherin muss auch bellende Hunde, Schmerzenslaute nach einem Tritt, ein klopfendes Herz und schließlich Kim Lange mit gebrochener Nase darstellen. Diese letzte Szene ist wohl ihre beste, denn auch das sprachlich korrekte Näseln erfordert Konzentration, sonst wirkt es unecht. Schön gelang ihr auch der sanfte und gütige Buddha. Absurde Ameisennamen wie Krkk! und Grrgs! (diese entsprechen Harry Schotters Muggels) gehören hingegen wohl eher in die Kategorie Klamauk.

Unterm Strich

Die romantische Fantasykomödie über das Gutmenschwerden hat mir nur selten ein Lächeln entlockt und nur ein oder zweimal einen Lacher, aber ich könnte mir vorstellen, dass einsame Frauenherzen in Vorstadtreihenhäusern voll darauf abfahren. Ansonsten dürfte die Verfilmung schon in Planung sein, denn ein Drehbuchautor wie Safier lässt einen so guten Stoff nicht in der Schublade vergammeln. Wer will, kann ja sein Meerschweinchen oder seinen Beagle-Welpen schon mal zum Vorsprechen schicken.

Nina Petri müht sich redlich, die vielen kitschigen Stellen ehrlich gemeint vorzutragen, doch hörbar mehr Spaß bereiten ihr die zahlreichen eher kindlichen Szenen, zu denen auch das Näseln gehört. Bestimmt gefiel ihr auch die Szene, in der Kim Lange, die unverwüstliche Heldin, dem Nirvana den Finger zeigt und sich vom Licht des Friedens abwendet, um sich um das Wohl ihrer geliebten Tochter zu kümmern. Andere Zuhörer dürften es allerdings mit Nina halten, die zu dem Mann an ihrer Seite sagt: „Komm, Alex, wir müssen uns diesen Schwachsinn nicht anhören!“

297 Minuten auf 4 CDs
Sprecherin: Nina Petri
Auflage: Jauli 2007
www.hoerbuch-hamburg.de

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