Sandemo, Margit – Abgrund, Der (Die Saga vom Eisvolk 3)

Band 1: [„Der Zauberbund“ 4365
Band 2: [„Hexenjagd“ 4421

_Story_

Tengels Nichts Sol ist zu einer hübschen, geachteten Persönlichkeit herangereift und genießt nach der langen Zeit in der Obhut ihrer Ziehfamilie endlich die Unabhängigkeit, die sie sich bei den Studien auf dem Gebiet der Hexenkunde stets erträumt hat. Ihr Weg führt sie nach Dänemark, zunächst zu ihrem studierenden Halbbruder Dag, wo sie trotz ehrwürdiger Taten alsbald wegen Hexerei an den Pranger gestellt werden soll. Mithilfe von Dags Gastfamilie gelingt ihr die Flucht in den Norden und schließlich an den Ort, welcher der Legende nach noch einige echte Hexen beherbergt: Brösarps Backar.

Doch ihr Weg dorthin bleibt von Tragödien gezeichnet. Unterwegs erlaubt sie sich eine Liebelei mit ihrer Eskorte, schnappt ein hilfloses Mädchen auf, welches von einigen Landsknechten vergewaltigt wurde und erfährt derweil auch, dass Tengels letztem Nachkömmling Liv in der Ehe übel mitgespielt wurde. Am Blocksberg angekommen, eröffnet sich ihr jedoch eine Aussicht, die ihrem Leben ganz neue Impulse verleiht: In einer Traumreise trifft sie den Fürsten der Finsternis und spürt bei dessen bloßer Anwesenheit eine Erregung, die ihr bislang keine Liebschaft geben konnte. Entschlossen, ihrem wilden Leben endlich einen Sinn zu geben, schwört sie, wiederzukehren und sich ihrer unverhofften Passion vollkommen hinzugeben. Aber einmal mehr durchkreuzt die tragische Geschichte ihrer Familie ihre Pläne und erweckt in Sol erneut die dunkle Seite ihrer Seele.

_Persönlicher Eindruck_

Bedenkt man einmal, dass Margit Sandemo mit der „Saga vom Eisvolk“ die womöglich umfassendste Fantasy-Geschichte Europas verfasst hat, darf man schon erstaunt sein, welche großen Zeitsprünge die Autorin zwischen den einzelnen Kapiteln ihrer Erzählung vollzieht. Mit dem dritten Band haben sich die Rahmenbedingungen der Handlung teils gravierend geändert, ohne dass ein hierfür eventuell doch erforderlicher Zwischenschritt in Betracht gezogen wurde. Inzwischen nämlich sind bis auf Are und Liv alle Zöglinge von Tengel und Silje erwachsen und die liebevolle Familienidylle ist durch diese weitläufige Spaltung zunächst einmal Vergangenheit.

Mit der weiteren Entwicklung der Story jedoch stellt sich heraus, dass derartig ruckartig vollzogene Schritte der Saga keinesfalls negativ anhaften. Sandemo wählt statt unproduktiven Repetitionen eben den unkonventionellen Weg und gewährt ihrer Geschichte in allen Belangen ständige Fortschritte – und darin ist die rasch vergehende Erzählzeit eben auch inbegriffen.

Derweil haben sich auch die Schwerpunkte bei der Rollenverteilung stark verschoben. Nicht mehr der faszinierende Tengel steht im Mittelpunkt des Interesses, sondern seine sonderbare Tochter Sol, die im 20. Lebensjahr so selbstbewusst und entschlossen ist, wie es selbst ihr Onkel nie gewesen war. Die Hexenschülerin entdeckt ihre Fähigkeiten mit wachsender Intensität und lernt mit jedem weiteren Abenteuer immer stärker, sie auch gezielt einzusetzen. Jedoch befindet Sol sich in einem inneren emotionalen Zwiespalt, den Sandemo in den betreffenden Passagen sehr schön aufgreift. Einerseits verspürt sie Hass und Rachsucht denjenigen gegenüber, die ihrer Familie und der Welt im Allgemeinen Unheil antun, neigt teilweise sogar dazu, ihre Kräfte so einzusetzen, dass sie tödliche Konsequenzen mit sich bringen. Andererseits kann sie das Unglück ihrer Wegbegleiter einfach nicht ertragen und bringt sie schließlich zu Tengel und Silje, um ihnen dort ein Leben und eine Liebe zu ermöglichen, die sie andernorts nicht erleben können. Diese teils recht krassen Wendungen gewinnen im Verlauf des Buchs immer deutlicher an Bedeutung und entwickeln Sol zu einer schier unberechenbaren Persönlichkeit, die sowohl die dunklen Gaben der Hexerei als auch die ihr verbliebene Menschlichkeit in ihre Entscheidungen einbezieht – und dabei immer wieder für Überraschungen sorgt.

Aber auch an anderer Stelle bewegt sich die Story mitunter sehr temporeich. Hier wird die tragische Geschichte von Livs Ehe erzählt, dort wiederum erfährt man von den zahlreichen Missständen, die den Norden Europas heimsuchen, am Beispiel heftig Betroffener, und zwischendrin taucht Sandemo auch wieder in das Herz des Eisvolks ein, bestehend aus Tengel, Silje und ihren Nachkommen, und vernachlässigt auch ihre Lebensgeschichte nicht.

Herausgekommen ist dabei ein ziemlich abenteuerlicher, aufgrund des hohen Tempos auch enorm abwechslungsreicher Roman, der gerade wegen seiner geistreichen Sprache und der bisweilen unerwarteten Wendungen der bislang spannendste der Saga geworden ist. Wer bereits die ersten beiden Episoden der |Saga vom Eisvolk| genüsslich goutierte, sollte daher auch mit „Der Abgrund“ vorzüglich bedient sein.

|Originaltitel: Sagan om Ísfolket 3: Avgrunden
Originalverlag: Boknöje ab 1982
Aus dem Norwegischen von Dagmar Mißfeldt
Taschenbuch, 336 Seiten|
http://www.blanvalet.de
http://www.margitsandemo.se/

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