Sandemo, Margit – Zauberbund, Der (Die Saga vom Eisvolk 1)

_Ein lange verborgenes Juwel_

Es gilt gemeinhin als ungeschriebenes Gesetz, dass die magischsten Momente der Fantasy-Literatur ausschließlich dem englischsprachigen Raum entstammen. Es sind Autoren wie Martin, Tolkien und auch moderne Schreiberlinge wie Jordan und Barclay, die in der Vergangenheit die anerkannten Maßstäbe setzten und das Kaufverhalten der Leserschaft durch ihre fabelhaften Geschichten maßgeblich beeinflussten.

In diesem Zusammenhang mag die schwedische Schriftstellerin Margit Sandemo, immerhin Jahrgang 1924, zunächst einmal eine unscheinbare Persönlichkeit im nach wie vor aufstrebenden Genre sein, hat aber gerade die phantastische Literatur im europäischen und speziell im skandinavischen Raum in den vergangenen Dekaden richtungsweisend geprägt. Ihre |Saga vom Eisvolk| entwickelte sich zum steten Bestseller und brachte es zwischen 1982 und 1989 auf insgesamt 47 Ausgaben. Seltsamerweise hat man hierzulande niemals eine offizielle Kostprobe des historischen Fantasy-Epos‘ zu Gesicht bekommen, auch wenn vor geraumer Zeit schon einmal der Versuch gestartet wurde, die ersten neun Bände in einer Kleinauflage zu etablieren – wirklich viel Rummel haben die Veröffentlichungen nämlich nicht ausgelöst.

Gottlob wird nun via |Blanvalet| ein zweiter Versuch gestartet, diese in Insider-Kreisen hoch gehandelte Reihe in einer deutschen Übersetzung landesweit zu manifestieren – drücken wir also die Daumen, dass es diesmal funktionieren wird!

_Story_

Im Jahre 1581 wird ganz Norwegen von der heimtückischen Pest heimgesucht und mit fürchterlicher Konsequenz getroffen. Ein Großteil der Bevölkerung erliegt dem schwarzen Tod, hoffnungs- und schutzlos ausgeliefert und vor Angst schier ohnmächtig. Unter der armen Bevölkerung ist auch die Familie der jungen Silje, die mit einem Mal ihre gesamten Angehörigen verliert. Verbittert und völlig ausgehungert tritt sie die Flucht an und nimmt sich auf ihrer Reise in die Zuflucht Trondheims zweier weiterer Waisenkinder an, die ohne Hoffnung auf Überleben der Kälte und Armut alleine ausgesetzt sind.

Der Großbauer Benedikt nimmt das Mädchen auf seinem Hof auf und schenkt ihr und den Kindern Liebe und Nahrung, ohne dafür jedwede Gegenleistung zu erwarten. Allerdings ist die Freude über die neue Geborgenheit nur von kurzer Dauer, denn die intrigante Cousine des Bauern macht sich alsbald auf dem Hof breit und verscheucht alle störenden Elemente unter gemeinen Vorwänden von Benedikts Gut.

In jenen Tagen macht Silje die Bekanntschaft des verrufenen Tengel, dem Mann, dessen Bekanntschaft tödlich sein kann, und der ihr auf ihrer vorherigen Reise bereits mehrere Male in mysteriösen Situationen begegnet war. Unter seiner Obhut erfährt sie von der geheimen Sippe des Eisvolkes, seinem Heimatstamm, dessen Urvater sich einst an den Teufel verkauft hatte. In einer versteckten Berglandschaft führen die wenigen Überlebenden seiner Gemeinschaft ein zurückgezogenes Leben, stets in großer Angst, eines Tages entdeckt und alleine für ihre Herkunft mit dem Tode bestraft zu werden.

Während Silje mit ihren unverhofften Mutterpflichten zu kämpfen hat, reift die junge Dame langsam aber sicher zur selbstbewussten Erwachsenen heran und kann auch ihre geheimen Gelüste nicht mehr zurückhalten. Ausgerechnet der schroffe Tengel hat ihr Herz erobert – doch seine Nähe ist verboten, da eine Partnerschaft möglicherweise eine weitere Teufelsbrut hervorbringt. Und die Angst hiervor ist so groß, dass beide Seiten schweren Herzens auf ihre Liebe verzichten. Vorerst …

_Persönlicher Eindruck_

Der erste Teil der „Saga vom Eisvolk“ ist sicherlich ein gelungener Auftakt der Mammutserie und liefert bereits einen ziemlich detaillierten Überblick über die Protagonisten und das allgemeine Setting der Handlung. Allerdings fordert er auch sogleich zur Korrektur auf, dass es sich bei diesem Epos nur bedingt um eine echte Fantasy-Geschichte handelt, denn im Grunde genommen unterwirft sich der Plot doch recht deutlich den Gegebenheiten eines historischen Dramas, verknüpft mit den Sehnsüchten und heimlichen Gelüsten einer unerlaubten Liebesbeziehung.

Insofern ist auch der Aufbau alles andere als fantasytypisch; der Rahmenschauplatz beschreibt nämlich ein allzu realistisches Standbild im Europa der Pestepoche, welches auch atmosphärisch sehr stimmig und authentisch wiedergegeben wird. Die gesamte Stimmung des Romans ist recht beklemmend ob der anhaltenden Todesgefahr und der wachsenden Armut und Verwahrlosung des gemeinen Volkes. Das gesamte skandinavische Gebiet welkt langsam dahin, und währenddessen klafft die Schere zwischen Reich und Arm bereits zu diesen Zeiten unheimlich stark auseinander.

In dieser Zeit kämpfen auch drei Waisen kaum unterschiedlicher Generationen ums nackte Überleben, unwissend bzw. intellektuell noch gar nicht fähig, realistische Zukunftsvisionen zu spinnen. Die erst 17-jährige Silje steht im Mittelpunkt des Ganzen, übernimmt für einen ausgesetzten Säugling sowie eine hinterlassene Zweijährige die nötige Verantwortung und hilft ihnen in letzter Not, nicht selber von der Pest dahingerafft zu werden. Allerdings wird das ungleiche Trio in der Folgezeit nur herumgeschubst; nirgendwo scheint man richtig willkommen, und auch wenn einige wenige ihnen die vermisste Liebe entgegenbringen, so scheint ihr Aufenthalt nirgendwo sicher.

Aus einem Trieb heraus, gleichzeitig aber auch aus Furcht vor dem Landvogt, der ihr den verbotenen Kontakt mit dem geheimnisvollen Tengel nachsagt, steuert sie schließlich auf die Welt des Eisvolkes zu und folgt ihrem heimlichen Geliebten, der sich jedoch aus großer Furcht vor den Konsequenzen nicht eingestehen kann, dass er ebenfalls der Liebe verfallen ist. Verkrampft, verzweifelt und in ihrem Handeln zumeist ohnmächtig kämpfen sie für- und gegeneinander, wohl wissend, dass das Schicksal für beide ein Buch mit sieben Siegeln ist, ganz gleich, wie sie ihre Beziehung gestalten werden.

Bereits in „Der Zauberbund“ bestätigt sich, dass Margit Sandemo eine fantastische Geschichtenerzählerin ist; ihre detailreichen Darstellungen von Szenarien und Hintergründen bringen den Leser alsbald in das Norwegen des späten 16. Jahrhunderts und lassen ihn sofort eins werden mit dieser beklemmenden Stimmung innerhalb der Bevölkerung. Gleichzeitig gelingt es ihr auch auf faszinierende Weise, einige packende Charakterzeichnungen zu entwerfen, unter denen vor allem Tengel und die Hauptakteurin Silje hervorragende Eindrücke hinterlassen. Ihr steter Wechsel aus Bestimmtheit und Unentschlossenheit beherrscht einen großen Teil des Buchs und markiert die nicht abklingende Spannung, die sich trotz der vergleichsweise nur langsam voranschreitenden Story sofort auf den ersten Seiten entwickelt.

Andererseits ist das schleppende Tempo auch ein geringfügiger Kritikpunkt, der zwar insofern fast schon widerlegt werden muss, als man es hier erst mit dem ersten Band einer Mammut-Saga zu tun hat und eine diesbezügliche Drosselung zugunsten der Detailfülle fast schon wieder erforderlich ist, insgesamt aber doch mehrfach zu einigen kleinen Längen führt, gerade im letzten Drittel des Buches, welches nur noch die unterdrückte Liebelei der beiden Protagonisten thematisiert. Hier hätte Sandemo sicherlich etwas kompakter agieren können, was man ihr aber aufgrund des begeisternden Erzählstils (der auch in der Übersetzung sehr schön zum Tragen kommt) kaum übelnehmen darf.

Daher muss man den Einstieg in diese stilistisch vermischte „Saga vom Eisvolk“ auch als durchweg gelungen und entsprechend auch als empfehlenswert bezeichnen. Zwar wollen sich noch keine magischen Gefühle einstellen, doch fühlt man sich in der Welt von Tengel, Silje und ihren beiden Waisenkindern auf Anhieb wohl, ist bereit, ihr Schicksal zu teilen und es mit ihnen gemeinsam zu bestreiten. Beste Voraussetzungen also, um die Serie endgültig auf dem deutschen Markt zu etablieren!

|Originaltitel: Sagan om Ísfolket 1: Trollbunden
Originalverlag: Boknöje ab 1982
Aus dem Norwegischen von Dagmar Mißfeldt
Mit einem Nachwort von Gabriele Haefs
Taschenbuch, 320 Seiten|
http://www.blanvalet.de
http://www.margitsandemo.se/

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