Sassenberg, Volker – Abseits der Wege. Kapitel 2: Stromabwärts

Der Auftakt war episch, geheimnisvoll und der Beginn eines fantastischen Abenteuers. Acht Monate sind seit der Veröffentlichung von [„Kapitel 1: Unweit“ 3269 des Hörspiels „Abseits der Wege“ vergangen. Ein für eine fortlaufende Hörspielreihe ungewöhnlich langer Zeitraum. In Internetforen wurde bereits hitzig über die neue Serie diskutiert. Zwar war man sich über die technische Qualität einig; die komplexe Handlung, die bereits nach den ersten 80 Minuten mehr Fragen offen ließ als manch andere Serie nach 20 Folgen, wurde jedoch sowohl begeistert aufgenommen als auch bis ins kleinste Detail kritisiert. Häufig genannt: Produzent Volker Sassenberg („Point Whitmark“, „Gabriel Burns“) hätte sich ein wenig von seinen Wurzeln lösen und nicht schon wieder so viele mysteriöse Verwicklungen einbauen sollen, schließlich war sein ureigener Anspruch der einer klassischen Fantasy-Geschichte. Als lange Zeit kein zweiter Teil in Sicht kam, wurden bereits erste Vermutungen laut, die Serie würde nicht fortgeführt werden, vielleicht sogar aufgrund der vielen negativen Äußerungen. Allen Befürchtungen zum Trotz tauchten dann jedoch die ersten Informationen über eine Fortsetzung auf. Und nun, wenige Woche später, geht mit „Kapitel 2: Stromabwärts“ das Abenteuer weiter. Denn ob nun positiv oder negativ, die Erwartungshaltung ist enorm. Und als wäre der lange Zeitraum genutzt worden, um sich einige der Kritiken zu Herzen zu nehmen, ist der zweite Teil von „Abseits der Wege“ linearer und klarer geworden, fällt aber gerade dadurch im Vergleich zu seinem Vorgänger ab.

_Inhalt_

Eingerahmt wird „Kapitel 2“ von einem langen, orchestralen Musikpart, der in die Geschichte einführt und den Hörer schnell in die Fantasywelt eintauchen lässt. Das Dorffest ist vorüber, und schon seit einigen Tagen steht die Gaststätte Tebald Glücks leer, abgesehen von der geheimnisvollen Myrell und dem Purpurnen Prüfer, die nach Tiefenhag gekommen sind, um nach dem Welkenwerk zu suchen. Der Prüfer ist bei der Suche von Faiyen verletzt worden und kämpft um sein Leben. Myrell kann seine Blutungen stoppen, doch damit der Prüfer wieder ganz genesen kann, muss sie ihn zu einem Heiler in eine Stadt bringen. Per Floß über den Silbersee verlassen die beiden das Dorf, doch Tebald, der sie am Steg verabschiedet, weiß, dass zumindest Myrell nicht lange fortbleiben wird. Sie hat nämlich sein Geheimnis gelüftet, dass er zu einer Verbindung gesuchter Männer gehört, die sich verbotener Magie bedienen und möglicherweise für das Welkenwerk verantwortlich sind – zu eben jenen Männern also, die eigentlich der Purpurne Prüfer ausfindig machen wollte. Doch Myrell will dem Prüfer nichts verraten, wenn Tebald sie gänzlich mit seinen Geheimnissen vertraut macht. Während Tebald am Steg dem kleiner werdenden Floß hinterhersieht, wägt er hin- und hergerissen seine Alternativen ab, als er über einen Fischboten eine neue Botschaft zugespielt bekommt. Schnell überfliegt er sie sie und ist sich sicher: Alle Alternativen sind soeben zu einer einzigen zusammengeschmolzen. Überhastet bricht er auf, stromabwärts.

Gaston Glück, einziger Sohn Tebalds, schwelgt währenddessen unweit vom Dorf entfernt in Gedanken, als der Unliche Lyssandrer in Erscheinung tritt. Gaston will Reißaus nehmen, ist der Unliche doch ein Zeichen dafür, dass das Welkenwerk seinen Lauf nimmt. Doch Lyssandrer kann Gaston zum Zuhören bewegen. Der Unliche berichtet ihm, dass sein Vater verschwunden sei und er sich sofort auf den Weg machen solle, um ihn zu verfolgen, nur so könne das Geheimnis, das Vater mit sich trägt, gewahrt werden. Gaston zweifelt an den Worten des Unlichen, macht sich aber sofort zurück zum Dorf auf. Als er in der Gaststube nur einen hastig verfassten Zettel findet, auf dem sein Vater die Worte „Bin nach Flusskreuz“ geschrieben hat, muss Gaston die Wahrheit der Worte Lyssandrers anerkennen. Zusammen mit seinen Freunden Dunring und Halmir und dem Knorpelgnom Po macht er sich auf, um das auf Holzpalisaden erbaute Städtchen an der großen Flussmündung rechtzeitig zu erreichen.

In der Dunkelheit kommen die Freunde endlich in Flusskreuz an. So weit von ihrem Dorf Tiefenhag haben sie sich noch nie entfernt, und so sind sie vom Anblick regelrecht überwältigt. Doch die Stadt scheint in Aufruhr, denn obwohl die Straßen voller Leben sind, ist kein Boot an den Stegen vertäut, als ob niemand den Ort verlassen dürfte. Ohne entdeckt zu werden, legen die vier Gefährten an und durchkreuzen dabei einen Ring aus Laternen, der um die ganze Stadt gezogen ist. Der Knorpelgnom Po, dem die Licht erzeugenden Funkelfliegen zuwider sind, reißt zwei Laternen nieder. Gaston ist zwar verärgert und lässt den Gnom zurück im Boot, während er und seine Freunde die Stadt nach seinem Vater Tebald absuchen, misst aber der Handlung keine Bedeutung bei. So bleibt zunächst unbemerkt, dass Po den Schutzkreis, den diese Laternen dargestellt haben, eingerissen hat und den Weg für das Welkenwerk ebnet, das in Form von Laub nun ungehindert in die Stadt wehen kann.

Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse. Gaston kann seinen Vater, der den Adressaten der ihm übermittelten Botschaft gefunden und von diesem ein wichtiges Dokument erhalten hat, finden, doch der Hauptmann des Königs, der das ganze Land auf der Suche nach den letzten, im verborgenen arbeitenden Nebelchronisten durchstreift, ist ebenfalls in der Stadt und sucht nach Tebald Glück. Als Gaston mit seinem Vater vor dem Hauptmann fliehen will, manifestiert sich das eingedrungene Laub zu einem Efeu-Lichen, ein Herbststurm, der die Umrisse eines Ungeheuers bildet und Flusskreuz in Schrecken und Chaos versetzt. Der Hauptmann ist nun das deutlich geringere Übel.

_Umsetzung_

Wie schon der erste Teil überzeugt auch „Kapitel 2: Stromabwärts“ technisch auf ganzer Linie. Die Produktion ist auf höchstem Niveau und hat, obwohl das visuelle Element fehlt, Kinoqualität. Die orchestrale Musik umrahmt die Folge und wird mehrere Minuten ausgespielt, ohne hastig ausgeblendet zu werden. Zwischendurch dient sie dann zur Untermalung, drängt sich er aber nie in den Vordergrund, sondern verstärkt vielmehr die einzelnen Szenen. In gleicher Weise verhält es sich mit den Soundeffekten, die nicht übermäßig stark eingesetzt werden, nur dann, wenn es der Stimmung zuträglich ist. Das leise Plätschern des Wassers, das Knarren des Holzes und das Pfeifen des Windes lassen durch die Boxen hindurch das Bild der Landschaft und der auf Palisaden errichten Flussstadt entstehen. Die Sprecher gehören allesamt der ersten Liga an und schaffen es, ihre Stimmen gekonnt einzusetzen, so dass man sich die Figuren plastisch und mit ihren Ecken und Kanten vorstellen kann. Jürgen Kluckert als Tebald Glück, der mehr verbirgt, als er offenbart, Timmo Niesner als Gaston, der überzeugend den jugendlichen, ins Abenteuer hineingeschlitterten Helden spielt (ein Vergleich zu Frodo, den er ebenfalls im Deutschen spricht, ist aber stets unumgänglich) und Knorpelgnom Po, den Volker Sassenberg persönlich gibt und dabei hörbar Spaß hat, sind nur einige Beispiele. Heinz Ostermann, der mit seiner Stimme kraftvoll durch das Hörspiel führt und aufgrund seiner vieler Passagen als außenstehender Erzähler die Geschichte mit der nötigen epischen Distanz herüberbringt, so als handle es sich um die wahre Erzählung einer lange zurückliegenden Geschichte, hält schließlich „Abseits der Wege“ gekonnt zusammen.

_Bewertung_

Auch das zweite Kapitel von „Abseits der Wege“ ist ein gelungenes Fantasy-Hörspiel geworden. Im Gegensatz zum ersten Teil ist die Handlung deutlich weniger komplex und spielt sich weitgehend in der Stadt Flusskreuz ab. Dadurch verliert der mystische Hauch, den die Serie am Anfang umgeben hat, etwas an Kraft, denn gerade das Geheimnisvolle hat den Reiz ausgemacht. Die Kritik, der Auftakt wäre viel zu verworren gewesen, mag berechtigt sein, doch im Vergleich zu „Stromabwärts“, wo vieles klarer wirkt und bereits erste Geheimnisse hinsichtlich der Bedeutung der Nebelchronisten oder auch des Welkenwerks offenbart werden, hat die Geschichte deutlich stärker begonnen. Was nicht heißt, dass „Stromabwärts“ nicht mehr überzeugen könne, denn weiterhin bleibt noch vieles im Verborgenen; vor allem die Rolle Gastons, der im Debüt in Berührung mit einem Splitter vom Welkenwerk gekommen ist, wird sich erst in den kommenden Folgen festigen. Der Pfad, der von den Gefährten eingeschlagen werden muss (und den Volker Sassenberg und sein Team für ihre Geschichte wählen), erscheint jedoch nun etwas klarer.

Unterm Strich weiß „Abseits der Wege“ zu gefallen, und das nicht nur durch seine technische Qualität. Die Handlung ist logisch gestrickt und fast alle zu Beginn eingeführten Figuren werden konsequent weiterentwickelt. Zudem laufen keine Elfen, Zwerge und zauberschleudernden Magier durch die Welt, von denen man wahrhaftig genug gehört, gelesen und gesehen hat. Stattdessen stehen Menschen und ihre Verschwörungen im Zentrum, mit den Unlichen und Faiyen haben aber auch fantastische Geschöpfe ihren Platz. Es bleibt also interessant und spannend, und obwohl schon auf hohem Niveau, ist das Potenzial der Serie noch längst nicht ausgereizt. Immerhin sollen noch zehn weitere Episoden folgen, bis „Abseits der Wege“ abgeschlossen ist.

_Die Sprecher_

Heinz Ostermann
Timmo Niesner
Stefan Krause
Hannes Maurer
Jürgen Kluckert
Martina Treger
Volker Carsten Sassenberg
Engelbert von Nordhausen
Bernd Vollbrecht
Heinz-Werner Krähkamp
Tim Moeseritz
Mario von Jaschroff
Helga Uthmann

http://www.abseitsderwege.info
http://www.abseits-der-wege.net
http://www.dg-literatur.de
http://www.karussell.de

[„Kapitel 3: Wehrlos“ 5389

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