Scalzi, John – Geisterbrigaden

In einer fernen Zukunft verteidigen alte und kranke Rentner die Kolonien der Menschheit gegen unzählige außerirdische Rassen, die mit der Kolonialen Union (KU) im ständigen, blutigen Konflikt um die wenigen bewohnbaren Welten liegen, in einer Galaxis in der Grenzen genauso flexibel sind wie die Moralvorstellungen ihrer Bewohner. Die lebenserfahrenen, aber körperlich alten und kranken Rekruten der Kolonialen Verteidigungsarmee (KVA) hoffen auf eine Verjüngung, wie sie in den Rekrutierungsbüros der KVA auf der Erde versprochen wird. Doch ihr Bewusstsein wird in geklonte Alien-Mensch-Hybridkörper ihrer Selbst mit grüner Haut – stärker, schneller und robuster – transferiert. Bis zum Ende ihres Dienstes, an dem sie wählen können, ob sie auf einer der Kolonien der Menschheit in einem nicht-aufgerüsteten Normalkörper leben wollen. Bis dahin müssen sie sich den Feinden der Menschheit zum Gefecht stellen.

Einige Freiwillige sterben, bevor der Bewusstseinstransfer in den neuen Körper vollzogen werden kann. Ihre Körper dienen der KU als Basis für genetische Experimente, aus denen die |Geisterbrigaden| genannten Spezialeinheiten hervorgehen. Ihre Körper werden aus der DNA der Toten hergestellt, tiefgreifender modifiziert, leistungsfähiger gemacht. Einige wenige sind so spezialisiert, dass ihr Körper keine menschliche Form mehr besitzt. Die Spezialeinheiten haben keinen Bewusstseinsspender. Wenn sie zum Leben erweckt werden, sind sie Kinder, die unheimlich schnell lernen, dank des wie bei allen KVA-Angehörigen im Gehirn implantierten |BrainPals|, eines Minicomputers. Doch die Vernetzung ist weit fortgeschrittener und umfassender als bei normalen Soldaten. Er formt, entwickelt und indoktriniert das junge Bewusstsein. Zu einem Zweck: um mit ihren überlegenen Fähigkeiten Dinge zu tun, die kein |normaler| Mensch könnte. Um Dinge zu tun, die kein |Mensch| mit einem Gewissen tun würde …

Doch die stärksten Krieger der Menschheit erleiden in letzter Zeit verheerende Niederlagen, Raumschiffe der Spezialeinheit verschwinden spurlos. Bis Jane Sagan im Verhör von einer Allianz gegen die Menschheit erfährt. Drei außerirdische Spezies haben sich verbündet – mit einem Menschen: Dr. Charles Boutin. Niemand weiß, was Boutin zum Verräter an der Menschheit gemacht hat. Der Spezialist für Bewusstseinstransfer und BrainPal-Software hat an seiner Stelle einen Boutin-Klon sterben lassen, um seine Desertation zu tarnen. Doch man findet noch etwas, das man bislang für unmöglich gehalten hat: ein gespeichertes Bewusstsein – vermutlich das von Charles Boutin. Da Boutin offiziell für tot erklärt wurde, überstellt man seine Gene der Spezialeinheit, die daraus einen Klon Boutins erschafft, in dem das gespeicherte Bewusstsein transferiert wird.

Doch aus dem geplanten Verhör wird nichts. Zwar gelingt der Transfer, doch das erwachende Bewusstsein ist nicht perfekt. Jared Dirac besitzt Züge der Persönlichkeit Boutins und Erinnerungsfragmente, was den Generälen Mattson und Szilard jedoch nicht weiterhilft. Ähnlich wie ein Amnesiepatient wird er auf eine Reise in die Vergangenheit geschickt, starke Reize wie Kampfeinsätze oder Erinnerungsgegenstände von Boutins toter Tochter Zoë sollen ihn dazu anregen. Jared Dirac erinnert sich, kommt dem Verräter an der Menschheit und seinen Motiven allmählich auf die Spur – und wird ihm immer ähnlicher …

_Der Autor_

John Scalzi (* 10.05.1969, Kalifornien) begann seine Karriere in der Blogger-Szene. [„Krieg der Klone“ 3677 (im Original: „Old Man’s War“) erschien bereits 2002 in Fortsetzungen im Blog seiner Website, bis Patrick Nielsen Hayden, Senior Editor von |Tor Books|, auf ihn aufmerksam wurde. Womit dieser ein ausgezeichnetes Gespür bewiesen hat: Scalzis Debüt war gleichzeitig auch sein Durchbruch, das Buch verkaufte sich in den USA ausgezeichnet und kam bei den Lesern gut an.

Als Sahnehäubchen wurde es 2006 mit dem |John W. Campbell Award| ausgezeichnet und für den |Hugo Award| nominiert. Scalzis „Krieg der Klone“ musste gegen Werke etablierter Autoren wie George R. R. Martin, Charles Stross und Ken MacLeod antreten, und sich nur dem überragenden [„Spin“ 2703 von Robert Charles Wilson geschlagen geben.

_Ein Plädoyer für Entscheidungsfreiheit_

Mittlerweile ist Scalzis Universum rund um die Koloniale Union auf drei Romane („Krieg der Klone“, „Geisterbrigaden“ und „Die letzte Kolonie“ (erscheint im Juni 2008)) und eine Novelle („The Sagan Diary“) angewachsen, gleichzeitig hat er sich weiterentwickelt, weg von den Sternenkriegern à la Altmeister Heinlein. Ein vierter Roman, „Zoe’s Tale“, wird gegen Ende 2008 erscheinen. Die im ersten Band nur sehr leise angedeutete Kritik an der Politik und den Methoden der Kolonialen Union wird insbesondere in „Die letzte Kolonie“ erneut aufgegriffen und Heinleins imperialistische Ideologie durch postmoderne Ideen ersetzt.

Ursprünglich erwartete ich mehr über Jane Sagan zu lesen, doch der Boutin-Klon Jared Dirac ist die Hauptfigur von „Geisterbrigaden“. Zwar geizt Scalzi nicht mit actionreichen Einsätzen der Spezialeinheit, doch der Fokus liegt ganz klar auf dem Verhältnis zwischen den geklonten Frankenstein-Kindersoldaten der Spezialeinheit und dem Rest der Menschheit. Zusätzlich ist der Roman auch eine Detektivgeschichte; neben Jareds Persönlichkeitsproblemen (Bin ich Jared Dirac oder Charles Boutin?) führt Scalzi den Leser zurück in Boutins Vergangenheit, beginnend bei einer Lakritzschnecke, die Erinnerungen und Trauer um Zoë in Jared weckt, eine Tochter, die er nie gehabt hat. So kommt man nach und nach den Motiven Boutins auf die Spur, kann seinen Hass auf die Koloniale Union nachvollziehen. Diese bevormundet die Menschheit, behält ihr wichtige Informationen vor und ist keineswegs nur der Beschützer vor den brutalen Aliens, sondern auch selbst Aggressor und hat einen Großteil ihrer Probleme selbst verschuldet.

Besonders gut gelungen ist Scalzi der Konflikt in Jared Dirac. Als eine |Tabula Rasa| wird er mit einem Minimalbewusstsein in die Welt geworfen und dazu gezwungen, jemand zu werden, der er nicht ist. Eingeweihte, die um seine Geschichte wissen, wie Jane Sagan, begegnen ihm als potenziellen Verräter mit Misstrauen. Unterstützung erfährt er ausgerechnet von Boutins ehemaligem Assistenten und einem gefangenen Alien, die ihm zum ersten Mal in seinem Leben vor die Wahl stellen: Willst du weiter Boutins Spur folgen, mit allen möglichen Konsequenzen, oder nicht? Sie sind die Ersten, die Jared als eigenständige Person respektieren. Im Vergleich zu seinen Gefährten von der Spezialeinheit besitzt Jared einen ausgeprägten Eigensinn, ebenso einen gewissen Sinn für Humor. Dieser ist bei den bereits vor dem Erwachen des Bewusstseins konditionierten Spezialsoldaten sonst eher gering ausgeprägt. Dennoch schildert Scalzi auch die von den Normalgeborenen oft misstrauisch beäugten Klonsoldaten als eigenständige Persönlichkeiten. So besitzt Jareds bevorzugte Geliebte Sarah Pauling einen Sinn für Humor, während Steve Seaborg ein humorloser, eher eifersüchtiger und hinterhältiger Typ ist, der schließlich doch noch mit dem in den Augen der Spezialeinheiten spürbar „anderen“ Jared zurecht kommt. Insbesondere die Textpassagen mit Lieutenant Cloud und Jared Dirac über das etwas andere Humorverständnis der Spezialeinheit und dessen Hintergründe sind in Scalzi-Manier humorvoll, leicht und zugleich tiefsinnig.

_Fazit:_

„Geisterbrigaden“ ist ein gelungener Mix aus actionreicher Science-Fiction, Detektivgeschichte/Krimi, abgemischt mit viel Humor und dennoch tiefsinniger und abwechslungsreicher als „Krieg der Klone“. Die Hauptfigur Jared Dirac ist ein tragischer Held, der Humors Scalzis ist noch genauso trocken, ironisch und erfrischend wie in „Krieg der Klone“, aber auch hier hat er sich gesteigert: Allzu platte, klischeehafte Schenkelklopfer kommen nicht mehr vor. Zudem geht er mehr in die Tiefe, bei komplexeren und düsteren Themen, die er zuvor nur angerissen hat, wie der Ausbeutung der Spezialeinheiten, aber auch der zwielichtigen Rolle der Kolonialen Union. Interessant ist es auch, ab und an über Aktionen der Spezialeinheit aus Sicht der Aliens zu lesen, was dem Buch eine faszinierende neue Perspektive gibt, gerade weil Scalzi den Leser überrumpelt und man die Aliens anfangs oft für Menschen hält, was überrascht und zudem zur Reflexion anregt. Als Schwächen fielen mir nur einige Brüche in der Logik auf: Dass Boutin einen Groll auf die KU hegt, ist nachvollziehbar, der Verrat an der ganzen Menschheit jedoch nicht. Ebenso wenig, warum er eine Bewusstseinskopie zurückgelassen hat. Dieser Zusammenhang, den ich hier nicht vorwegnehmen möchte, wirkte ziemlich konstruiert auf mich. Ebenso unbefriedigend war die Begründung, warum der Boutin-Klon Dirac das Bewusstsein Boutins nicht vollständig angenommen hat – bei den KVA-Klontransfers geschieht prinzipiell nichts anderes.

Das hält mich jedoch nicht von einer uneingeschränkten Kaufempfehlung ab. Humor, Action und trotzdem gehaltvoll – John Scalzi weiß, wie man den Leser unterhält. Das scheint sein Markenzeichen zu werden, denn ohne zu viel verraten zu wollen: Auch der erst 2008 in Übersetzung erscheinende Band „Die letzte Kolonie“ hat mich im Original überzeugen können. Die Übersetzung von Bernhard Kempen verdient ebenfalls ein Lob; er hat den Humor und Stil Scalzis hervorragend ins Deutsche übertragen.

|Originaltitel: The Ghost Brigades
Übersetzt von Bernhard Kempen
Taschenbuch, 432 Seiten|
http://www.scalzi.com/
http://www.heyne.de

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