Scalzi, John – letzte Kolonie, Die

John Perry, Jane Sagan und ihrer Adoptivtochter Zoe ist kein ruhiger Lebensabend auf der Kolonie Huckleberry vergönnt. Als lokale Autoritäten genießen sie Ansehen und Respekt, aber beide finden das Leben in der Kolonie eintönig, verglichen mit ihren bisherigen Erlebnissen. General Rybicki macht den beiden ein verlockendes Angebot: Sie sollen die neue Kolonie Roanoke leiten und aufbauen. Roanoke ist ein Novum, denn die Siedler stammen nicht von der Erde, sondern von bereits existierenden Kolonialwelten, die gegenüber der Kolonialen Union ihre Ansprüche auf freie Kolonisation durchsetzen wollen.

Perry ahnt nicht, welches Schicksal der Kolonie zugedacht ist. Roanoke dient der Kolonialen Union als Bauernopfer. Die Verteidigung ist bewusst unzureichend gestaltet. Eine der Menschheit feindselig gesinnte Allianz von Alien-Völkern, das Konklave, hat unmissverständlich klargemacht, dass in diesem Bereich der Galaxis keine weitere Kolonisation durch die Menschheit oder andere Rassen geduldet wird. Die KU spekuliert auf eine Auslöschung Roanokes, die ihren Status als einzige Sicherheit und Erfolg garantierende Instanz zementieren soll. Gleichzeitig will man so eine Rekrutierung nicht nur auf der Erde, sondern direkt von den Kolonien durchsetzen. Denn die rücksichtslose Expansionspolitik der KU hat ihr nicht nur das mächtige Konklave zum Feind gemacht, andere Rassen erkennen die verzweifelte Lage der Menschheit und zögern nicht, diese auszunutzen.

Während Perry gegen die Koloniale Union und das Konklave für das Überleben Roanokes kämpft, steht weit mehr auf dem Spiel: Das Schicksal der gesamten Menschheit liegt in den Händen des Konklave. Dessen militärischer Oberbefehlshaber, General Gau, ist durchaus an einer einvernehmlichen Lösung interessiert. Doch auch in seinen Reihen gibt es Kriegstreiber. Perry erhält Hilfe von General Szilard und seiner Spezialeinheit, auch die Obin eilen Perry zu Hilfe, denn seine Adoptivtochter Zoe ist als Kind des „Verräters“ Charles Boutin für sie eine Art Heilige und der einzige Grund, warum die Obin einen wackeligen Frieden mit der Kolonialen Union aufrechterhalten.

_Der Autor_

John Scalzi (* 10.05.1969, Kalifornien) begann seine Karriere in der Blogger-Szene. „Krieg der Klone“ (im Original: „Old Man’s War“) erschien bereits 2002 in Fortsetzungen im Blog seiner Website, bis Patrick Nielsen Hayden, Senior Editor von |Tor Books|, auf ihn aufmerksam wurde. Womit dieser ein ausgezeichnetes Gespür bewiesen hat: Scalzis Debüt war gleichzeitig auch sein Durchbruch, das Buch verkaufte sich in den USA ausgezeichnet und kam bei den Lesern gut an. Als Sahnehäubchen wurde es 2006 mit dem |John W. Campbell Award| ausgezeichnet und für den |Hugo Award| nominiert. Scalzis „Krieg der Klone“ musste gegen Werke etablierter Autoren wie George R. R. Martin, Charles Stross und Ken MacLeod antreten und sich nur dem überragenden [„Spin“ 2703 von Robert Charles Wilson geschlagen geben.

Die Abenteuer von „Krieg der Klone“ waren nur der Anfang, die Fortsetzung [„Geisterbrigaden“ 4467 gab Einblick in die Denkweise der gezüchteten Spezialeinheiten und der Kolonialen Union, deren ambivalente Rolle als selbsternannter Beschützer der Menschheit und gleichzeitige Ursache vieler Animositäten mit außerirdischen Rassen in dem abschließenden Band „Die letzte Kolonie“ kulminiert. So verspricht es der Autor, allerdings greift er in dem noch nicht übersetzten „Zoe’s Tale“ die Geschichte der letzten Kolonie aus der Sicht Zoes auf. Mit Perry und Sagan hat er nach eigener Aussage aber abgeschlossen, mit seinem von postmodernen Ideen geprägten Koloniale-Union-Universum scheinbar noch nicht. Als Bonusmaterial bietet „Die letzte Kolonie“ die Kurzgeschichte „Sagans Tagebuch“, die Jane Sagans Leben im Anschluss an „Geisterbrigaden“ bis zu ihren Abschied von der Spezialeinheit und dem Neuanfang mit John Perry auf Huckleberry beschreibt.

[„Krieg der Klone“ 3677
[„Geisterbrigaden“ 4467

_Der Feind in den eigenen Reihen_

Scalzi führt mit „Die letzte Kolonie“ logisch seine in den Vorgängern entwickelten Gedankengänge zu Ende. Der Bösewicht ist die Koloniale Union, welche die Menschheit bevormundet und sich mit ihrer aggressiven Kolonisationspolitik zahlreiche Feinde geschaffen hat. Dass Roanoke, benannt nach der gleichnamigen ersten englischen Kolonie in der Neuen Welt, die unter bis heute ungeklärten Umständen völlig ausgelöscht wurde, für politische Interessen geopfert werden soll, ist Scalzis Wink mit dem Zaunpfahl, was die Menschheit von der Kolonialen Union zu erwarten hat.

Damit einher geht jedoch auch ein Bühnenwechsel. Nicht mehr nur die Wahrnehmung von Perry, Sagan oder Dirac wie in den vorherigen Bänden treibt die Handlung voran, Scalzi spannt sie jetzt stärker denn je in einen weit größeren politischen Rahmen ein. Dies hat leider einige negative Konsequenzen; so wirken die Problematiken der Besiedlung einer neuen Welt, Streitigkeiten unter den Kolonisten und eine gehörige Medienschelte Scalzis, demonstriert an einem stereotypen Klatsch-Reporter, sehr nebensächlich und aufgesetzt. Der Roman ist eine Aufforderung, sich nur vermeintlich wohlmeinenden Autoritäten zu widersetzen, Freiheit und Demokratie müssen erkämpft werden. Dabei bleibt leider Scalzis Humor ziemlich auf der Strecke, denn er ist eher ein Charakterdarsteller; dieser große Rahmen ist ihm unvertraut, hier kann er nicht so begeistern wie in seinen vorherigen Werken. Etwas störend wirkt mittlerweile sein stark an realen Charakteren orientierter Schreibstil. Die Figuren General Rybicki, Jane Sagan und Zoe sind von einem Bekannten beziehungsweise seiner Frau und Tochter inspiriert. Ich bin nicht wirklich erbaut von dem Gedanken, noch mehr Zoe-Lobhudelei in „Zoe’s Tale“ zu erleben – mir war bereits die bisherige Dosis unangenehm.

Mit dem Verlust der Leichtigkeit und einer eher unbeholfenen Zuwendung zu ernsteren Themen tut sich Scalzi keinen Gefallen. Zwar ist „Die letzte Kolonie“ immer noch eine sehr unterhaltsam und kurzweilig erzählte Geschichte, die persönlichere, charakterbezogene Note der ersten beiden Scalzi-Romane fehlt mir jedoch sehr. Die Handlung ist in Gegensatz zu diesen recht vorhersehbar und politisch (in-)korrekt, es fehlt ein wenig an Überraschungen. Leider ist dieser Roman nur ein relativ unspektakulärer Abschluss der von Scalzi in den Vorgängern entwickelten Andeutungen über die Koloniale Union.

_Bonus: Sagans Tagebuch_

Zeitlich zwischen „Geisterbrigaden“ und „Die letzte Kolonie“ angesiedelt, schreibt Scalzi ein Tagebuch Jane Sagans, in Form von Auszügen gespeicherter Daten ihres BrainPals, das uns unmittelbar an ihren persönlichen Gedanken teilhaben lässt. Die Kurzgeschichte (ca. 60 Seiten) erhielt ein verhaltenes Echo, sie wurde sowohl kostenfrei im Internet als auch als Vollpreis-Hardcover auf dem amerikanischen Markt angeboten. Dass |Heyne| sie als Bonusmaterial liefert, ist zu begrüßen, als eigenständiges Produkt oder als Teil einer Kurzgeschichtensammlung hätte sie wohl keinen Platz auf dem deutschen Markt gefunden.

Leider ist die Geschichte selbst nicht überzeugend. Thematisch hat Scalzi die Problematik der fehlenden Jugend der gezüchteten Spezialeinheit-Soldaten bereits mit Jared Dirac in „Geisterbrigaden“ wesentlich differenzierter dargestellt, zumal der Charakter Jane Sagan hier ganz anders als in „Geisterbrigaden“ erscheint. Ich sehe ihre plötzliche extreme Emotionalität eher als Widerspruch denn als Bereicherung des Charakters Jane Sagan, den Scalzi in meinen Augen so eher demontiert und verwässert.

_Fazit:_

Bei aller Kritik, Scalzi ist immer noch ein hervorragender Schriftsteller, der zu unterhalten versteht. Leider hat er seine bisherige Façon bekömmlicher und zeitgemäß angepasster Heinleinesker Science-Fiction diesmal zugunsten einer politisierenderen, globaleren Sicht der Dinge aufgegeben. Schade, denn so kommen seine Stärken, die in Charakterisierung und Humor liegen, leider nicht zum Tragen. Thematisch hat wohl auch Scalzi erkannt, dass sein simples Credo der Beschränktheit des Wissens auf die eigene Perspektive, während verborgene Mächte im Hintergrund agieren und Autoritäten meistens nur das eigene Wohl im Blick haben, mittlerweile ausgelutscht ist. So ist „Die letzte Kolonie“ ein runder Abschluss für Scalzis Abenteuer mit Perry und Sagan, der sich gegen Heinleinschen Imperialismus und Kolonialismus wendet. Allerdings ist das nicht überraschend, denn Scalzi hat das bereits getan, nur auf humorvollere Weise. Ein konsequentes Finale, gelungen, dennoch leider ein wenig fade.

|Originaltitel: The Last Colony
Übersetzt von Bernhard Kempen
Taschenbuch, 476 Seiten|
http://www.scalzi.com/
http://www.heyne.de

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