Schier, Petra – gläserne Schrein, Der

Aachen im Jahre 1413. In der alten Kaiserstadt soll die eindrucksvolle Chorhalle des alten Doms umgestaltet werden. Grund dafür ist der Todestag Kaiser Karls des Großen, und der soll entsprechend in der alten Königsstadt gefeiert werden. Vom Marienstift und der Zunft damit betraut, die Arbeiten in der Chorhalle auszuführen, hat Bardolf Goldschläger einen lukrativen und vor allem einen sehr werbewirksamen Auftrag vor sich.

Bardolfs Stieftochter Marysa, eine aus Ungarn stammende, verwitwete Reliquienhändlerin, hat derweil ganz andere Sorgen, die sie plagen. Ihre zweijährige Frist, in der sie als Witwe die Geschäfte ihres verstorbenen Mannes verwalten kann, läuft in Bälde aus. Nicht wenige wohlhabende und einflussreiche Kaufleute sowie Gesellen haben mehr als einen Blick auf die recht reiche und vor allem schöne Witwe geworfen, doch bisher ist es niemandem geglückt, Marysas Herz zu erobern. Kühl und unnahbar, trotzt die eigensinnige und selbstbewusste Frau einer neuen Ehe, die sie vielleicht wieder in Zwänge bringt, die sie sich überhaupt nicht wünscht und die gegen ihre doch recht frohe Natur sind. Ihr Vetter will sie unbedingt mit einem ihr unsympathischen Handwerker verheiraten und sieht sich als alleinigen Vormund, doch Marysas Mutter und deren Mann Bardolf stehen voll und ganz hinter ihrer Tochter.

Und nicht nur unter familiärem Schutz steht Marysa, auch der Dominikanermönch Christopherus, der als „Ablasshändler“ durch Europa pilgert, fühlt sich für das Glück Marysas verantwortlich. Marysas verstorbener Bruder Aldo war der engste Freund von Bruder Christopherus und nahm diesem auf dem Sterbelager das Versprechen ab, auf seine kleine Schwester und ihre Mutter achtzugeben. Bruder Christopherus nimmt diese Bitte ernst; schon einmal haben sich ihre Wege gekreuzt, doch nun, fast zwei Jahre später, treibt es ihn wieder in die alte Reichsstadt.

Als es in der Chorhalle zu unheimlichen und tragischen Unfällen kommt, dabei auch ein alter Geselle Bardolfs seinen ernsten Verletzungen erliegt sowie Bardolf selbst verletzt wird, ist der erste Schrecken groß. Wenig später wird Bardolfs Konkurrent, der vertretungsweise die Arbeiten in der Chorhalle übernommen hat, vergiftet. Bardolf wird von den Bütteln der Stadt Aachen ins „Grashaus“, das alte Gefängnis der Stadt, gebracht. Des vorsätzlichen Mordes angeklagt, erwarten Meister Bardolf Folter und Hinrichtung, sollte es Marysa und Christopherus nicht gelingen, den oder die wahren Mörder zu finden …

_Kritik_

„Der gläserne Schrein“ von Petra Schier ist nach „Die Stadt der Heiligen“ der zweite Band einer historischen Trilogie um die Reliquienhändlerin Marysa Markwardt und den Dominikanermönch Christopherus.

Die Autorin erzählt diesen historischen Kriminalfall mit viel Gefühl und stützt sich dabei mehr auf ihre Protagonisten als auf die eigentliche Haupthandlung. Spannung entsteht hier aber trotzdem, und das in erster Linie über die Charaktere, allen voran natürlich die selbstbewusste Marysa und der geheimnisvolle Mönch Christopherus. Letztere verleiht der gesamten Handlung die notwendige Tiefe, denn so richtig anschaulich und erklärend ist das eigentliche Geschehen um den oder die Mörder, welche in der Chorhalle für Unfälle gesorgt haben, nicht. Weder am Anfang noch im weiteren Verlauf der Handlung wird dem Leser klar, worum es denn eigentlich geht. Weder kann der Leser ein Motiv vorab erkennen, noch Verdächtige ausmachen. All das ist erst mal verwirrend, wären da nicht das persönliche Umfeld Marysas und ihre Vergangenheit.

Ganz zu schweigen von Bruder Christopherus, der mehr Geheimnisse verbirgt, als man glauben mag. Doch schon in den ersten Kapiteln offenbart sich der Mönch als ein Mann mit vielen Facetten und einigen hilfreichen Eigenschaften sowie einem hellwachen Geist. Amüsant und vor allem auch spannend ist die Verbindung zu Marysa, auch wenn sie natürlich etwas naiv und vorhersehbar ist. Lobenswert ist hierbei, dass Petra Schier fabelhaft die Mysterien von Christopherus bis zum Ende im Dunklen lässt. Alles andere hätte dem Roman die inhaltliche Spannung vollends genommen.

Interessant und abwechslungsreich sind die Figuren in „Der gläserne Schrein“ geraten. Diese sind im Grunde überschaubar, aber so in miteinander verwoben, dass man wie gewünscht mit den Figuren fiebert. Stets das mittelalterliche Leben im Blick, erzählt Petra Schier von den täglichen Schwierigkeiten einer Handwerkswitwe, die in ihrer sozialen Stellung immer wieder zeigen muss, dass sie mehr ist als ’nur‘ eine Frau, die ihren ehelichen und mütterlichen Pflichten nachzukommen hat. Marysa trägt Verantwortung – nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Menschen, die ihr wichtig sind, egal ob es sich nun um einen einfachen Knecht handelt oder um ihre eigene Mutter. Sie trägt ihr Herz am rechten Fleck, auch wenn ihr Mundwerk und ihr Temperament so feurig sein können wie ungarisches Gulasch.

Emanzipation hin oder her – „Der gläserne Schrein“ ist nicht nur für die weibliche Leserschaft, auch wenn natürlich die Liebe einen Großteil der Handlung einnimmt. Besonders nett und unterhaltsam sind die kleineren und größeren Wortgefechte zwischen dem ‚braven‘ Mönchlein Christopherus und Marysa. Diese beiden Schlüsselpersonen sind der Dreh- und Angelpunkt in der gesamten Dramatik.

Man kann den Roman „Der gläserne Schrein“ unabhängig vom ersten Band „Die Stadt der Heiligen“ lesen, doch ist davon klar abzuraten, denn die Protagonisten sind so intensiv ausgearbeitet, dass man sich anderenfalls als Leser immer fragt, was da wohl passiert sein mag. Immer wieder wird im Laufe der Handlung auf die Geschehnisse im ersten Teil hingewiesen, so dass der Leser, wenn er schon den ersten Teil verpasst haben sollte, daran interessiert sein wird, diesen ebenfalls zu lesen.

_Fazit_

„Der gläserne Schrein“ ist mehr Sein als Schein und damit eine größere Überraschung in diesem Genre. Neben gut recherchiertem geschichtlichem Material verspricht die Handlung mit ihren liebenswerten Figuren absolute Lesefreude. Lesen Sie das Buch, oder besser, fangen Sie mit dem ersten Teil „Die Stadt der Heiligen“ an: Sie werden es nicht bereuen.

|336 Seiten, broschiert
ISBN-13: 978-3499248610|
http://www.petralit.de
http://www.rowohlt.de

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