Schirach, Ferdinand von – Schuld

Eine Frau stiehlt, um sich lebendig zu fühlen. Schulmädchen zerstören aus Eifersucht das Leben eines Ehemannes. Ein Internatsschüler wird im Namen der Illuminaten fast bist zu Tode gefoltert. Eine Blaskapelle schändet und erniedrigt ein junges Mädchen auf abscheulichste Weise, doch niemand muss dafür büßen. Eine junge Frau wird über Jahre von ihrem Mann misshandelt, vergewaltigt und gefoltert, bis er eines Tages erschlagen wird.

Schuld oder Unschuld, das ist die Frage – zumindest in Ferdinand von Schirachs neuem Werk „Schuld“. Nachdem der namenhafte Strafverteidiger bereits mit seinem letzten Buch „Verbrechen“ große Erfolge erzielen konnte (54 Wochen auf der |Spiegel|-Bestseller-Liste, Veröffentlichung in über 30 Ländern), folgt mit „Schuld“ nun eine zweite Sammlung von Kurzgeschichten, in denen Schirach Fälle aus seinem Alltag als Anwalt literarisch aufarbeitet.

Diese sind zuweilen sehr skurril, spektakulär und fast schon amüsant, sodass man nicht umhin kommt, ihren Wahrheitsgehalt etwas in Frage zu stellen, überwiegend jedoch schockierend, erschütternd und ergreifend. Staubtrocken, nüchtern, geradezu analytisch, auf das absolut Wesentliche reduziert und mit überaus treffsicherer Wortwahl berichtet der Autor bei den meisten Fällen zunächst aus der Erzählerperspektive, schildert Tathergänge, skizziert augenscheinlich oberflächlich die Charaktere, gibt dabei jedoch exakt so viel von ihnen preis, wie der Leser wissen muss, um sich in sie hineinversetzen zu können und mit ihnen zu fühlen oder sie zu verurteilen und zu verachten. Im Anschluss wechselt er in die Ich-Perspektive, stellt Ermittlung, Prozess oder persönliche Eindrücke des Falles dar und bringt dem Leser dabei sogar einige Grundlagen des deutschen Rechts näher. Dabei stellt er immer wieder unterschwellig die Frage nach Schuld und Unschuld, nach Gut und Böse und nach Moral und führt dem Leser so eindrucksvoll vor Augen, welch tiefe Abgründe die menschlichen Psyche aufweisen kann und wohin diese Menschen im Einzelfall bringen, zu welchen teils verabscheuungswürdigen, teils sogar nachvollziehbaren Taten sie sie treiben können.

Einzig kritisch anzumerken ist, dass die Geschichten nicht alle auf die gleiche Weise schockieren, ergreifen oder zum Nachdenken anregen. Einige extreme tun dies zwar ganz besonders, zahlreiche andere hingegen wirken etwas lückenfüllend, sorgen zugleich jedoch dafür, dass „Schuld“ nicht ganz so schwer verdaulich ist, wie man zu Beginn vermutet.

|Taschenbuch: 200 Seiten
ISBN 978-3492054225|
http://www.piper.de

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