Schneider, Bernward – Spittelmarkt

_Story_

Berlin im Herbst 1932: Der renommierte Rechtsanwalt Eugen Goltz steht kurz vor der Abreise nach New York, als er von einem Schlägertrupp überrascht und übel zugerichtet wird. Die Gründe für den Überfall sind nicht ersichtlich und beschäftigen ihn zunächst auch nicht weiter, da ein weitaus bedeutsamerer Auftrag an ihn herangetragen wurde. Er soll im Auftrag des einst befreundeten Bankiers Philipp Arnheim die Scheidung mit dessen Gattin Florence besiegeln und hierzu ein Dokument beschaffen, über dessen Inhalt Goltz jedoch nichts weiß.

An Bord der „Bremen“ realisiert der Anwalt schließlich, dass seine Reise von Beginn an unter keinem guten Stern steht. Der Mord an einen Professor sowie die eigenartigen Gestalten, die sich in seinem Umfeld bewegen, machen ihn stutzig. Als Florence jedoch kurz nach seiner Ankunft tot aufgefunden wird und eine Schönheit, die sich als Filmdarstellerin vorstellt, ihn mit erotischen Phantasien umgarnt, wird ihm bewusst, dass er schnell nach Berlin flüchten muss, um nicht weiter in den Fall hineingezogen zu werden.
Dort angelangt beginnt für Goltz aber erst der Spießrutenlauf; die Spuren des Attentats auf Florence Arnheim führen in die Gesellschaft der Brüder und Schwester, denen auch Eugens Schwester Doris angehört, und die auch ihn endgültig für sich gewinnen will. Goltz ist jedoch fest entschlossen, dem okkulten Zirkel fernzubleiben, lässt sich aber dennoch darauf ein, einer ihrer Sitzungen beizuwohnen – bis ihm schließlich bewusst wird, welche Ziele dieser Orden tatsächlich verfolgt. Doch als ihr spirituelles Oberhaupt Adolf Hitler in einer Hauruck-Aktion den Posten des Reichskanzlers übernimmt, ist es für eine Offenbarung des Gesehenen zu spät. Und für eine Flucht offenbar ebenfalls …

_Persönlicher Eindruck_

Keine leichte Kost, die sich Bernward Schneider für seinen aktuellen Roman ausgesucht hat – so viel steht bereits nach wenigen Seiten seiner Geschichtsreise in die frühen 30er statt. Der Autor versucht im Rahmen einer historischen Aufarbeitung prägnanter Ereignisse der deutschen Politik eine Kriminalgeschichte zu etablieren, die solch pikante Themen wie Hitlers Machtergreifung als Basis nutzt und die okkulten Vorlieben einiger NSDAP-Gerätschaften ebenso einflechtet. Überdies aber auch Charaktere einfügt, die trotz ihres fiktiven Fundaments einen ähnlichen Stellenwert gewinnen sollen – und damit ist die Handlung insbesondere im zweiten Abschnitt massiv überfordert.

Dabei tritt Schneider zunächst recht anständig in Szene. Die Überfahrt nach New York sowie die merkwürdigen Ereignisse in der US-amerikanischen Metropole bieten reichlich Futter für eine verzwickte Kriminalhandlung, zumal sich der Autor zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht in die Karten schauen lässt, wie sich die eigentliche Motivation des Plots konstituiert. Erst die Rückkehr nach Deutschland, bei der die eigentliche Aufklärungsarbeit beginnt, führt ein undurchsichtiges Verwirrspiel an, welches sich alsbald als chaotische Faktensammlung mit völlig spannungsarmen Sequenzen und einer müden, inhaltlich stellenweise stark ausgelatschten Story entpuppt. Goltz beginnt eher widerwillig damit, erste Nachforschungen anzustellen und vor allem seine fleischlichen Gelüste nach der hübschen Irene Varo zu befriedigen, deren einziges Aufeinandertreffen in New York jedoch bis auf Weiteres ihre letzte Zusammenkunft sein soll. Er interviewt selbst seine Schwester, mit der er selbst vor einigen Jahren ein sexuelles Verhältnis hatte, ist jedoch schnell wieder abgestoßen von deren esoterisch-beklemmenden Weltbild, das jedoch genau mit jener Ansehung übereinkommt, die seine offensichtlichen Gegenspieler ebenfalls angenommen haben. Also widmet sich Eugen Goltz nichtsdestotrotz dem eigenartigen, anscheinend jedoch inzwischen sehr mächtigen Orden, lässt sich verführen, nutzt aber auch die Schwelle zur Mitgliedschaft dazu, sich letzte Informationen zu verschaffen. Doch der plötzliche Aufstieg der Partei zerstört nicht nur für ihn alles, wofür er in den letzten Tagen eingetreten ist – und macht ein sicheres Leben in seiner Kanzlei am Berliner Spittelmarkt künftig unmöglich.

Es sind vor allem Fakten, die diese Erzählung umrahmen und ihr gelegentlich auch die Atmosphäre rauben. Die Story hat ein paar gute Ansätze, die jedoch nicht vertieft werden können, da man gelegentlich an den Rand der historischen Gegebenheiten gedrängt wird und dementsprechend zur Wahrung der Tatsachen intervenieren muss. Dass selbst reale Personen wie Hitler Gastauftritte in „Spittelmarkt“ haben, macht die Sache für den Autor nicht einfacher, was schließlich auch dazu führt, dass seine Herangehensweise Stück für Stück verkrampfter wirkt. Der Fortschritt einiger Stränge, gerade zum Ende hin, wirkt stellenweise arg erzwungen, infolge dessen auch zunehmend unglaubwürdiger, wenngleich zumindest das Tempo in dieser letzten Phase zu nimmt. Doch bis dorthin ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen und die vielen bisweilen würzigen Themen nicht mehr bereit, zu der Symbiose zu verschmelzen, die Schneider ihnen zugedacht hat. Inzest, okkulte Magie, Erotik und ein Kriminalfall von höherem Rang – das hört sich in der Summe interessanter an, als es in „Spittelmarkt“ geschildert wird. Und somit verschwimmt sowohl der historische Wert der Geschichte, als auch die Bedeutsamkeit der größtenteils lahmen, wenn auch interessant endenden Kriminalstory.

|Broschiert: 372 Seiten
ISBN-13: 978-3839210994|
[www.gmeiner-verlag.de]http://www.gmeiner-verlag.de

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