Scholten, Daniel – falsche Tote, Die

Mit seinem Debütroman „Der zweite Tod“ hat Daniel Scholten sprunghaft die Bestsellerlisten erobert, das Buch verkaufte sich wie geschnitten Brot. Nun legt Scholten mit seinem zweiten Krimi „Die falsche Tote“ nach (der kurioserweise zeitlich vor dem ersten Krimi spielt) und möchte sicherlich an seinen früheren Erfolg anknüpfen, allerdings scheint er beim zweiten Anlauf wohl in den Startlöchern steckengeblieben zu sein …

_Wo ist Josefin?_

Josefin Rosenfeldt ist die Tochter des schwedischen Justizkanzlers, doch nun liegt sie tot vor ihrer Wohnung – ein Sturz daraus hat sie das Leben gekostet. Kommissar Cederström und sein Team rücken zu den Ermittlungen an und versuchen, die Sensation vor der Presse geheimzuhalten. Doch als der Justizkanzler die Tote identifizieren soll, stellt sich heraus, dass es sich bei der Leiche gar nicht um seine Tochter handelt, sondern um ein dunkelhaariges Mädchen, das Josefin lediglich ähnlich sieht.

Die Unbekannte hatte in Josefins Wohnung gelebt, doch wo steckt die echte Josefin? Seit sie verfrüht aus ihrem Frankreichurlaub zurückgekehrt ist, verliert sich ihre Spur, und auch ihr Bruder ist zeitweise verschwunden. So steht die Reichspolizei vor vielen Rätseln: Hat sich das Mädchen selbst auf die Straße gestürzt oder war es doch Mord? Und galt der Anschlag ihr oder doch Josefin?

Die Polizei tappt lange Zeit im Dunkeln. Der erste Anhaltspunkt sind kleine mysteriöse Briefchen, die sich offenbar zwei Liebende geschrieben haben. Doch wer sind Hesperia und Aisakos? Mysteriös sind allerdings nicht nur die Briefe, sondern auch die vielen Geldabhebungen, die von Josefins Konto innerhalb kürzester Zeit abgehen, obwohl Josefin höchst sparsam ist und stets nur kleinste Beträge abgeholt hat. Doch nun hat sie ihr gesamtes Konto geräumt und den Dispokredit vollkommen ausgeschöpft. Wofür braucht sie das Geld?

Während ihr Vater Kjell Cederström und seine Kollegen ihren Nachforschungen nachgehen, begibt sich Kjells Tochter Linda mit pochendem Herzen zu einem Zeichenkurs, an dem sie aufgrund ihres großen Talents und trotz ihres jungen Alters teilnehmen darf. Doch ihr Einstieg dort fällt schwer, denn der Dozent ist schwierig und sie hat zunächst eine Blockade und bekommt kein vernünftiges Bild aufs Papier. Da hilft es ihr sehr, dass sie schnell Freundschaft zu Amelie schließt, die ebenfalls an besagtem Zeichenkurs teilnimmt. Aber dann verschwindet Amelie spurlos und Linda begibt sich selbst auf Spurensuche. Hat Amelies Verschwinden etwas mit Josefin zu tun? Denn bei beiden Mädchen hängt das gleiche Poster in der Wohnung.

_Zerfasertes_

Zunächst beginnt „Die falsche Tote“ mit einem Prolog, in welchem wir Josefin auf ihrem Urlaub in Frankreich begegnen, wo sie sich mit ihrem Liebhaber an einer unheimlichen Stelle trifft und darüber nachdenkt, was es mit dem dunkelhaarigen Mädchen auf sich hat, doch in der nächsten Szene beschreibt Daniel Scholten bereits ihren Tod durch den Sturz aus der Wohnung. Der Prolog steht somit in keinerlei Zusammenhang mit dem weiteren Verlauf des Buches, was sich leider auch nie ändern wird, denn ihre französische Urlaubsliebe wird nie wieder thematisiert und auch die Ereignisse in Frankreich spielen später keine Rolle mehr. Doch das ist nur der erste Punkt, der störend auffällt.

Anschließend widmet sich Daniel Scholten den Ermittlungen der Polizei, die lange Zeit auf der Stelle treten. Lediglich die geheimnisvollen Briefe sind ein Anhaltspunkt, doch deren Ursprung und deren Sinn bleiben im Dunkeln. Als dann der Justizkanzler allerdings eröffnet, dass es sich bei der Toten gar nicht um seine Tochter handelt, nimmt das Buch vermeintlich Tempo auf, denn nun steht die Polizei vor der Aufgabe, die Unbekannte zu identifizieren, was sich natürlich als sehr schwierig erweist. Handelt es sich bei der Toten überhaupt um eine Schwedin? Und wie konnte sie sich in Josefins Wohnung und in ihr Leben einschleichen? Die Polizei und auch der Leser wissen es nicht.

Cederström und seine Kollegen ermitteln an vielen Enden, doch keines passt so richtig zum nächsten. Einige Zufälle spielen der Polizei in die Hand und führen sie mal in die eine, mal in die andere Richtung, doch nie ist klar, welche jetzt eine vielversprechende Spur ist und welche nicht. Der Leser tappt somit noch mehr im Dunkeln als Cederström und man verliert sich in einer wirren Handlung, der man gar nicht so recht folgen kann. Eine Spur führt die Polizei nach Deutschland zu einer geheimen Organisation, die dort am Werke ist. Aber auch hier ist unklar, was die Organisation überhaupt treibt und was dies mit dem Todesfall in Schweden zu tun hat.

Da scheint es wiederum vielversprechend, als Lindas neue Freundin Amelie verschwindet und man in ihrer Wohnung das gleiche Poster findet, das der Polizei auch bei Josefin schon Rätsel aufgegeben hat. Handelt es sich dabei um das Poster einer geheimen Schwesternschaft? Doch was hat es mit dem Poster und der Schwesternschaft auf sich? Wir wissen es nicht und erfahren es auch erst spät.

Störend fällt auf, dass zu viele Zufälle im Spiel sind, welche die Polizei voranbringen. Da tritt Linda Cederström auf, die weitschweifig beschrieben wird und sich mit Mühe und Not zu ihrem Kunstkurs schleppt, aber eigentlich hat das nichts mit dem Fall zu tun. Als sich schließlich eine Verbindung zwischen der verschwundenen Amelie und der ebenfalls untergetauchten Josefin auftut, fand ich das sehr verschroben.

_Personelle Schwächen_

Ein weiteres Manko des Buches ist die Vielzahl an auftauchenden Figuren. Einmal ermitteln verschiedene Beamte in der Reichspolizei am Fall „Josefin“, da sind neben Kjell auch noch Henning, Barbro und Sofi, die wir allerdings gar nicht näher kennenlernen. Von Barbro wusste ich bis zum Schluss nichts, von Henning erfährt man nur, dass er unglücklich verheiratet war, von Sofi weiß man, dass sie während der Handlungszeit befördert wurde und sehr ehrgeizig ist, und bei Kjell konnte man sich im Laufe der Zeit zusammenreimen, dass Linda seine Tochter sein muss. Doch familiäre Hintergründe, Hobbys, Eigenarten oder Sonstiges, das den Figuren etwas Format hätte geben können, fehlen völlig im vorliegenden Krimi.

Darüber hinaus werden zahllose Personen interviewt, es tauchen praktisch in jedem Kapitel neue Personen auf, die größtenteils überhaupt keine Rolle spielen und oft genug auch zu einer falschen Spur gehören. Ich kann mich daher an den Großteil der Namen schon jetzt nicht mehr erinnern, weil die Personen nur auftauchten, um ein paar Seiten später wieder in der Versenkung zu verschwinden.

Der rote Faden fehlt dem Buch daher völlig, ebenso wie eine Charakterzeichnung, die praktisch nicht stattfindet. Ich habe selten ein Buch gelesen, in welchem die handelnden Figuren so wenig Raum erhalten und so wenig Profil gewonnen haben. Ich hatte das Gefühl, dass Daniel Scholten ziemlich lieblos seine Ideen zu Papier gebracht und sich nicht darum geschert hat, seine Leser an die Hand zu nehmen, um sie durch das Gewirr an Ideen zu geleiten.

Hinzu kommen zahllose unnötige Handlungsstränge, die sich im Nichts verlaufen. Da forscht die Polizei beispielsweise nach, welche Personen das Buch ausgeliehen haben, in welchem sich die Sprüche finden, die in den geheimnisvollen Briefen stehen, welche sich Hesperia und Aisakos geschrieben haben. Dabei macht die Polizei mitunter erstaunliche Entdeckungen, die leider ebenfalls null mit dem eigentlichen Kriminalfall zu tun haben.

_Ärgernisse_

So liest man sich lustlos durch das Buch, verliert zwischendurch den Überblick und auch den Anschluss. Zwischendurch musste ich immer wieder zurückblättern, um zu erfahren, wie die Polizei eigentlich zu der jetzigen Spur gekommen ist und wie alles im Zusammenhang steht. Daher verpufft auch Scholtens Auflösung am Ende völlig; es gibt kein Aha-Erlebnis, sondern nur Erleichterung, dass die Lektürequal endlich ein Ende hat.

Insgesamt bleibt daher ein enttäuschender Eindruck zurück. Daniel Scholten mag sich viel vorgenommen haben für sein Buch, doch leider fanden hier zu viele Ideen Eingang, sodass man völlig den Überblick verliert. Damit einher geht natürlich, dass auch keine Spannung aufgebaut wird, weil es ja keinen roten Faden gibt, an dem man sich durch das Buch hätte hangeln können. Die fehlende Charakterzeichnung tut ihr Übriges und fügt sich irgendwie auch wieder stimmig in das Konzept ein, denn hier fehlt es einfach an allen Ecken und Enden, sodass die Frage bleibt, ob das Buch überhaupt lektoriert wurde. Denn dabei hätte spätestens auffallen müssen, dass „Die falsche Tote“ handwerklich sehr viel vermissen lässt. Wenn Daniel Scholten irgendwann einmal einen Henning Mankell beerben möchte, muss er doch noch viel lernen …

http://www.goldmann-verlag.de
http://www.danielscholten.com/

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