Schuhmacher, Nicole – Sturmträume

Rika kommt von der Schule nach Hause und findet an Stelle ihres Zuhauses nur rauchende Trümmer vor. Jixur haben die Pferdefarm überfallen, ihren Vater und seine Knechte getötet und sämtliche Pferde weg getrieben. Verzweifelt reitet das junge Mädchen in den nächstgelegenen Ort, um den Bürgermeister aufzusuchen, von dem sie erfährt, dass der Überfall auf den Hof ihres Vaters nicht der erste dieser Art war. Und prompt findet sich das überraschte Mädchen am nächsten Tag auf dem Weg in die Provinzhauptstadt wieder, wo sie um Verstärkung bitten soll. Der Beginn einer Odyssee …

Rika ist ein recht burschikoses junges Mädchen, das eine Menge seiner Zeit damit verbringt, sich aufregende Abenteuer auszudenken, in denen sie die Hauptrolle spielt. Die Realität ernüchtert sie schnell und ihre Abenteuerlust wird von Rachedurst verdrängt. Doch Rika hat auch immer wieder Alpträume, und das nicht nur Nachts, und diese Alpträume entwickeln mit der Zeit recht bedrohliche Nebenwirkungen. Irgendetwas scheint mit dem Mädchen nicht so ganz zu stimmen.

Micael, der junge Bursche, der es sich in den Kopf gesetzt hat, Rika zu begleiten in der glühenden Hoffnung, vom Herzog in die Armee aufgenommen zu werden, hat eine ziemlich große Klappe und glaubt, alles zu wissen. Ein Großteil davon sind allerdings Vorurteile, und davon, dass ein Soldat den Befehlen eines Vorgesetzten zu gehorchen hat, scheint er auch noch nie gehört zu haben. Zwar ist er mutig und nicht ungeschickt, doch es fehlt ihm an Selbstkontrolle. In seiner Naivität scheint er das Soldatenleben als eine ununterbrochene Abfolge erfolgreich bestandener Abenteuer zu betrachten, und als die Realität ihn einholt, kommt er kaum klar damit.

Shoran dagegen ist ein ausgebildeter Kämpfer und hat eine Kindheit hinter sich, die ihm einiges mehr an Lebenserfahrung beschert hat als dem behütet aufgewachsenen Micael. So kommt es, dass Shoran ständig mit dem unreifen Jungen und seinen beleidigenden Vorurteilen in Klintsch liegt. Aber auch Rika scheint der Krieger gerne zu necken, er ist eigentlich fast niemals wirklich ernst, es sei denn, es droht Gefahr. Und er hütet ein Geheimnis …

Der Anführer der Jixur, Sarrias, wiederum fühlt sich gar nicht wohl in seiner Haut. Die „Halbe“, wie die Jixur die Menschen nennen, hat er zwar selber aufgezogen, doch dass sie ständig mit dem Oberhaupt seiner Herde Pläne ausheckt, ohne ihn einzubeziehen, und dass sie ihm teilweise in seine Befehlsgewalt über die Krieger drein redet, stört ihn gewaltig, und das nicht nur, weil es seine Autorität untergräbt, sondern auch, weil es allen althergebrachten Verhaltensweisen seiner Art widerspricht. Sein Instinkt sagt ihm, dass mehr dahinter steckt, als die Halbe offenbart …

Die Charakterzeichnung hat mich nicht überzeugt. Am gelungensten fand ich eigentlich den greisen König von Craiglin mit seinem an Verfolgungswahn grenzenden Misstrauen gegen das Nachbarland der Thäler, seiner mürrischen Laune und seinem Altersstarrsinn. Dabei ist dieser Mann kaum eine eigene Persönlichkeit, sondern eher ein für den Plot unentbehrliches Objekt. Die Hauptperson Rika dagegen empfand ich als ausgesprochen blutleer. Zwar wird kurz erwähnt, dass sie als einzige den weicheren Kern ihres mürrischen, verbitterten Vaters kennt, bei dem es kein Knecht lange aushält, eine wirklich enge Verbindung zwischen den beiden, die Rikas Rachsucht erklären würde, zeigt sich jedoch nirgends. Andererseits kommt Rikas Rachsucht ebenso fad daher wie der Rest des Mädchens, allein Micaels Schicksal scheint sie zumindest kurzzeitig zu kümmern. Gleiches gilt für die „Halbe“ namens Millayn, deren Motive ich zwar mit dem Kopf nachvollziehen, aber nicht nachfühlen konnte.

Ähnliches gilt für den Hintergrund.

Die Autorin liefert zu Beginn des Buches einen kurzen Schöpfungsmythos. Doch der beschreibt nicht wirklich die Eigenschaften der verschiedenen Götter und erklärt auch nicht, warum Elane, die Königin der Thäler, alle Kulte außer dem der Erd- und Fruchtbarkeitsgöttin Cyn verboten hat. Gut, die vom Gott der Stürme Gesegneten haben offenbar mit ihren magischen Kräften ziemlich üble Kriegsmaschinen gegen sie ins Feld geschickt, aber was haben die anderen angestellt?

Verwirrend fand ich auch die Darstellung der Jixur. Sie haben ein Fell, Krallen, Gesichter wie Katzen und Schwänze wie Löwen. Aber einer von ihnen mit geflecktem Fell wird als Schecke bezeichnet, und ihre Jungen nennen sie Fohlen. Ich wusste nie so richtig, wie ich mir diese Geschöpfe vorstellen sollte, zumal sie nicht nur vier Beine, sondern auch noch vier Arme haben. Letztlich kam ich zu dem Schluss, dass sie wohl so eine Art Katzencentauren sein müssen. Dazu kommt noch, dass die Jixur nicht die einzigen mit mehreren Gliedmaßen sind. Die Hiranyer haben ebenfalls vier Arme, allerdings nur zwei Beine. Und die Verjig – wo wir schon mal dabei sind – haben ebenfalls vier Arme und zwei Beine, sie sind aber offenbar größer und dunkelhäutiger als die Hiranyer. Man könnte sich fast fragen, ob diese massive Häufung von Gliedmaßen vielleicht aus einer lang zurückliegenden Mischung der Rassen resultiert, aber darüber erfährt der Leser nichts.

Auch mit Informationen über die Historie ihrer Welt war die Autorin ausgesprochen sparsam. Ein Sturmwerkerkrieg wird erwähnt, in dem das Reich der Thäler gegen Gavenne gekämpft und gesiegt hat, trotz derer magischer Kriegsmaschinen. Über die Völker selber, ihre Kultur und Religion erfährt der Leser jedoch so gut wie nichts, nicht einmal über die für die Geschichte ziemlich wichtigen Jixur. Hiranya ist nicht einmal auf der Karte verzeichnet.

Bleibt die Handlung.

Nach den üblichen Einführungen von Personen, Situationen und dem Aspekt des Magischen lässt sich der Plot zunächst recht vielversprechend an. Leider wusste ich schon nach der Ankunft der Jixur bei ihrer Herde, dass Millayn im Auftrag von Jemandem handelte, und spätestens nach dem Gespräch zwischen dem Herzog von Hochthal und der Königin der Thäler wusste ich auch, für wen sie arbeitet. Das nahm der Geschichte zwar einiges von ihrer Spannung, aber das war es nicht allein.
Als extrem störend weil unwahrscheinlich empfand ich das Verhalten der Erwachsenen Rika gegenüber. Ein Kommandant, dessen Stadt belagert wird, wird sich von einer sechzehnjährigen Zivilistin vielleicht Bericht erstatten lassen, aber er wird sie sicherlich nicht zu Beratungen seines Stabes hinzu ziehen oder gar auf sie hören. Und kein Soldat wird dulden, dass ein Rangniedrigerer seinen Befehlen widerspricht. Die sanfte Ermahnung des Soldaten Killarne im Hinblick auf militärische Disziplin fand ich total unpassend. Und dass ein Offizier, der einem politischen Komplott auf die Spur kommt, ohne Rücksprache mit seinem Herrscher einfach in einen Krieg zieht, ist vollkommen abwegig, selbst wenn er eine Generalvollmacht besitzt.

Die größte Enttäuschung jedoch war letztlich der Drahtzieher des Komplotts. Seine Motive und Ziele waren dermaßen kindisch und einfach nur unmöglich, dass ich nur den Kopf schütteln konnte und mich fragte, wie eine solche politische Niete jemals so hoch aufsteigen konnte! Und seine Aufforderung an Rika, ihn einfach entkommen zu lassen, war so ausgesprochen lächerlich, dass ich am Ende nicht mehr in der Lage war, die Autorin noch ernst zu nehmen.

Um das Maß voll zu machen, stolperte ich so manches Mal über Formulierungen wie „zum Vorschein treten“ oder „das Pony durchritt die Kurve“. Ich dachte eigentlich immer, Pferde werden geritten, und in diesem Fall handelt es sich nicht um eine Übersetzung aus dem Englischen, das heißt, hier hat nicht der Übersetzer gepfuscht und auch nicht allein das Lektorat.

Bleibt zu sagen, dass von meiner Freude darüber, endlich mal wieder auf ein Fantasybuch ohne Orks, Elfen, Drachen oder Vampire gestoßen zu sein, nicht mehr allzu viel übrig geblieben ist. Die meisten Ideen der Autorin, die eigentlich durchaus neu und vielversprechend klangen, sind fast völlig auf der Strecke geblieben, weil ihre Ausarbeitung zu schwach war, um wirklich Farbe in die Geschichte zu bringen. Das gilt auch für den Plot, der durch die Erklärung am Ende des Buches dermaßen ins Lächerliche abglitt, dass nicht mal mehr sein ordentlicher Aufbau den Schaden ausgleichen konnte. Und obwohl die Gruppe um Rika dankenswerterweise nicht aus einem Zauberer, einer Heilerin, einem Elfen und einem Krieger bestand, wirkten die Charaktere aufgrund ihrer fehlenden Tiefe dennoch wie eine Gruppe von Rollenspielfiguren, die auf Abenteuer ausgezogen sind. Sogar die Szenen im Palast von Glaesmon erinnerten mich an |Dungeons and Dragons|. Nur die Ungeheuer fehlten. Vielleicht treten die ja im nächsten Band auf. Ich glaube allerdings nicht, dass ich den wirklich lesen will.

Nicole Schuhmacher ist von Beruf Diplomsoziologin und hatte schon als Kind eine Vorliebe für Märchen und Fantastisches. Zum Schreiben kam sie durch ihre Bekanntschaft mit Markus Heitz. „Sturmträume“ ist ihr erster Roman. Der zweite Band erscheint voraussichtlich im Juli diesen Jahres unter dem Titel „Sturmpfade“.

|Taschenbuch: 496 Seiten
ISBN-13: 978-3453525726|

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