Die Geschöpfe der Nacht erleben derzeit im Bereich der romantischen Urban Fantasy eine wahre literarische Auferstehung. Bram Stoker schuf mit seinem Fürst der Finsternis, „Dracula“, den Urvater des heute in Buch- und Filmform verbreiteten vampirischen Charakters.
Viele Eigenschaften und für Vampire ‚typische‘ Charaktermerkmale übernimmt der Autor moderner Phantastik gerne, und es gibt kaum neue Ideen oder Interpretationen dieses Themas. Obwohl die Aura des Bösen die „Erben der Nacht“ immer begleitet, sind wir sterblichen Menschen immer wieder aufs Neue fasziniert von der geheimnisvollen, mystischen Welt, in der diese Schattengestalten untot wandeln. Ihre Welt ist die Dunkelheit, die auch ihre Verbündete ist, sie fürchten das Licht als Sinnbild für das Reine und Gute in der Welt.
Interessant wird es erst dann, wenn die Grenzen zwischen Gut und Böse fließend werden, wenn man den Protagonisten so viel Zeit und Raum lässt, um sich zwischen diesen Welten zu bewegen. Wie interpretiert man, ob eine Handlung gut oder böse ist, aus welcher Perspektive und vor allem welcher Motivation entsprechend ver- und beurteilt man das mutmaßliche Monster? Die meisten Vampire sind im Kern grenzenlos böse und nur auf das Blut unschuldiger Menschen aus, so die allgemeine Ansicht. Gefühle und Hoffnungen, Gemütszustände – außer einem bestialischen Hunger natürlich – und die Suche nach Liebe und Geborgenheit sind ihnen fremd. Sie sind, was sie sind – unmenschlich.
Ulrike Schweikert hat mit ihrem Jugendroman „Nosferas. Die Erben der Nacht“ eine Welt erschaffen, in der Vampire nicht mehr oder minder böse sind als wir Menschen:
_Inhalt_
1877. Seit Jahrhunderten liegen die Vampirfamilien in einem stetigen Streit miteinander. Aus ganz Europa kommen die mächtigen und alten Oberhäupter zusammen, um miteinander den Ernst der dramatischen Lage zu besprechen. Da die wahren Vampire einem Alterungsprozess unterliegen und auch Nachkommen zeugen können, liegt genau im letzteren Umstand das besondere Problem. Es ist neun Jahre her, seit das letzte Kind geboren wurde und langsam aber stetig nimmt die Zahl der Greise zu. Die Clans waren verfeindet, es wurden Kriege gegeneinander geführt, und auch jetzt noch fühlt sich jeder Clan den anderen überlegen und verkehrt deswegen nicht mit clanfremden Angehörigen.
Eine alte menschliche Druidin, die diese Versammlung einberufen hat, konfrontiert die Oberhäupter mit der Gefahr auszusterben, wenn sie nicht gewillt sind zusammenzuarbeiten und dadurch zu überleben. So wird der Entschluss gefasst, dass die heranwachsenden Kinder zusammen ausgebildet werden. Endlich sollen die Clans die Größe und die Macht vergangener Zeiten zurückerlangen.
Die Altehrwürdigen schicken die jungen Vampire nach Rom. In der Ewigen Stadt beim Clan der Nosferas soll der Nachwuchs unterwiesen werden, z. B. in der Immunisierung gegen Reliquien und Zeichen der Kirche. Doch auch alte, längst schon überholte Vorurteile sollen abgebaut werden, Wissen soll vermittelt werden, an dem jeder Clan profitieren kann. Jeder Clan wird die jugendlichen Vampire seine ganz speziellen Fähigkeiten beibringen.
In Rom angekommen, merken die jungen Vampire recht schnell, dass sie unterschiedlicher nicht sein können. Alisa vom Clan der Vamila aus Hamburg ist recht modern und offen, sie interessiert sich für Bücher, für die Wissenschaft und schaut interessiert und zugleich neidisch auf die Welt der Lebenden. Ivy vom Clan der Lycaner, die als Beschützer den weißen Wolf „Seymour“ an ihrer Seite hat, ist merkwürdig introvertiert. Und der junge Vampir Franz Leopold aus der Familie der Dracas aus Österreich, ein Schönling, könnte arroganter nicht sein.
Aber nicht nur Rivalitäten untereinander machen dieser kleinen Schulklasse das Leben schwer. In den Ruinen rund um die Domus Auria, den Sitz der Nosferas, treibt ein Vampirjäger sein Unwesen und vernichtet mit Hilfe eines Lockvogels mehrere der Untoten.
Papst Pius IX., dass Oberhaupt der katholischen Kirche, schlägt sich derweil mit innerpolitischen Problemen herum. Der Vatikan befindet sich derzeit in einer geschwächten Situation und wird außenpolitisch nicht als souveräner Staat anerkannt; auch das Papsttum selbst macht eine Krise in der Anerkennung der Völker durch. Pius IX. fühlt sich in seinem kleinen vatikanischen Palast inmitten Roms wie ein Gefangener, und ein ehrgeiziger Kardinal, der um das Geheimnis der Vampire weiß, nutzt diese Situation aus, um die Kirche wieder in eine weltpolitischen bedeutsame Position zu bringen.
Als unterdessen auch die anderen Clans von dem Vampirjäger erfahren und die Bedrohung auch die jungen Vampire erreicht, müssen diese zusammenarbeiten, um die Gefahr auszuschalten …
_Kritik_
„Nosferas. Die Erben der Nacht“ ist ein spannender Jugendroman, der wie so viele seiner Genrekollegen eine magische Komponente bereithält. Diesmal sind es keine Zauberer oder Hexen, auch kein Internat von Schülern, nein – diesmal spielen junge Vampire die Hauptrolle. Das Gerüst des Plots ist damit bekannt, aber Ulrike Schweikert hat in der Umsetzung dieser Grundidee erfreulicherweise ihre kreative Individualität beibehalten.
Der Schauplatz der Geschichte, die ewige Stadt Rom, ist vortrefflich ausgesucht für das Debüt der jungen Vampire. Vor 130 Jahren war Rom zwar bereits eine moderne Metropole, jedoch strömen die historischen Stätten wie das Forum Romanum, das Kolosseum oder die Engelsburg seit jeher eine mystische und geheimnisvolle, zeitlose Aura aus. Wer Rom und die alten Ruinen und Plätze bei Nacht durchstreift hat, weiß um die besondere Stimmung, in der man förmlich Geschichte und vergossenes Blut erspüren kann, in jedem Stein, in jeder Säule.
„Nosferas. Die Erben der Nacht“ ist zwar im phantastischen Genre anzusiedeln, macht aber durch seine Genre-Vermischung und das Zusammenspiel verschiedener historischer Persönlichkeiten viel an Authentizität wett. Nicht nur die Spannung der erzählten Handlung wirkt auf dem Leser begeisternd, sondern auch die Geschichte Roms birgt viel Interessantes und Wissenswertes. Insgesamt hat die Autorin intensiv recherchieren müssen, um ihre Erzählwelt derartig fundiert präsentieren zu können, und auch dieser Punkt ist für einen Roman, der historische Fakten aufgreift und dessen Handlung sich in der Historie abspielt, unabdingbar.
Die Protagonisten, wie untot sie auch sein mögen, sind erfrischend lebendig und menschlich beschrieben. Weder sind sie klischeehaft grausam noch besonders schön von Gestalt, auch sind sie keine verzweifelten, melancholischen Schatten ihrer selbst. Nein, die Fürsten der Finsternis sind mit allen menschlichen Eigenarten gesegnet und geschlagen. Gerade die jungen Vampire ergänzen sich innerhalb der Gruppe gleichmäßig und wirken sehr sympathisch und – menschlich.
Auch wenn sich Ulrike Schweikert die hier zu erwartenden und typischen erzählerischen Elemente bedient, so weiß sie doch durch den Spannungsaufbau zu überzeugen. Ihr sprachlicher Stil ist dem Thema und dem Genre eines Jugendromans angemessen, und nicht zuletzt durch die verschiedenen Schauplätze, die in späteren Bänden noch auftauchen werden, ist für Abwechslung und dauerhaftes Leserinteresse gesorgt.
Etwas ungewöhnlich, aber deswegen nicht weniger unterhaltsam, sind die Geschichten der Vampire und ihre typischen, besonderen Kräfte. Dass Vampire bei Schweikert altern, auch wenn der Alterungsprozess sich verlangsamt, ist durchaus unüblich; ebenso, dass infizierte Vampire, die früher Menschen waren, als zweitklassige Vampire ihr Leben als Sklave oder Diener ihrer aristokratischen Herren ableisten. Daran wird sich jedoch im Verlauf der nächsten Bände etwas verändern, wie es scheint.
_Fazit_
Ulrike Schweikert erschafft mit „Nosferas. Die Erben der Nacht“ eine ganz eigene Welt mit Vampiren, die in den nächsten Romanen zeigen werden, aus welchen Holz sie letztlich geschnitzt sind.
Konzipiert sind die Charaktere zunächst recht einfach, aber mit dem Alter und ihrer Ausbildung kommt auch die Reifeprüfung ihrer Persönlichkeit. Der Schwerpunkt der Handlung ist auch noch lange nicht erreicht; zwar endet der Roman recht schlüssig, doch gleich einem Marionettenspieler zieht ein großer Unbekannter die Fäden. Welche Motivation ihn antreibt, ob er nun Mensch oder Vampir ist oder welcher Sinn hinter seinen Aktivitäten steckt, wird dem Leser noch nicht klar.
Da die jungen Vampire ihre Elternhäuser in vielen Metropolen Europas haben, kann der Leser mit Spannung darauf warten, was in Irland, Österreich oder Deutschland gelehrt werden wird, und auch hier besteht die Hoffnung, dass die Autorin ebenso viel Wert auf Authentizität legt, wie sie es hier und auch in ihren bisherigen historischen Romanen bewiesen hat. Es gibt viele Geheimnisse, die in dem ersten Band angedeutet werden; sicherlich ein bewusstes Mittel, um den Leser in den zweiten Band zu locken, aber dieser Kniff ist gekonnt ausgeführt und gern willkommen.
_Die Autorin_
Ulrike Schweikert, Jahrgang 1966, beherrscht sowohl das historische als auch fantastische Genre meisterhaft. Ihre historischen Erwachsenen-Romane sind Bestseller und ihr „Drachenkrone“-Zyklus Fantasy-Pflichtlektüre. Nach ihren beiden großen Jugendbuch-Erfolgen „Das Jahr der Verschwörer“ und „Die Maske der Verräter“ hat die vielseitige Autorin nun ihren ersten fantastischen Roman für Jugendliche verfasst: „Die Erben der Nacht“.
|446 Seiten
empfohlen ab 12 Jahren
ISBN-13: 978-3-570-30478-5|
http://www.cbj-verlag.de
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