Serno, Wolf – Balsamträger, Der

Wolf Serno wurde in den letzten Jahren vor allem durch seine Geschichten um den Wanderchirurgen bekannt und in manchen Publikationen sogar als die deutsche Antwort auf Umberto Eco bezeichnet. Seine Fähigkeit, historisch Korrektes mit spannender Fiktion zu verknüpfen, ist hierzulande fast schon einzigartig und verdient immer wieder großes Lob. Während ich selber noch immer sehr begeistert an sein zuletzt von mir gelesenes Buch „Hexenkammer“ zurückdenke, veröffentlichte Serno dieser Tage auch schon wieder einen neuen Roman unter dem Titel „Der Balsamträger“. Die Vorfreude war groß, aber leider bleibt der Autor in seinem Ende 2005 erschienenes Werk ein Stück weit hinter seinen Möglichkeiten zurück. Warum, wieso, weshalb kann man im Anschluss an die folgende Inhaltsangabe lesen.

_Story_

1780 im Thüringer Wald. Der kleine Tagedieb Listig ist als Bettler nicht sonderlich erfolgreich. Eines Tages entdeckt er jedoch eine Masche, mit der er die Leute auf dem Markt übers Ohr hauen kann. Und seine Raffinesse wird immer ausgefeilter; so gelingt es ihm tatsächlich, den berüchtigten, wertvollen Antonius-Splitter aus der Kirche zu entwenden, als eine Räuberbande diese in Brand setzt. Als er diesen in einem Wirtshaus gegen eine Mahlzeit tauschen kann, kommt dem jungen Listig eine Idee; er schnitzt sich seine eigenen Splitter, verkauft die Duplikate und bereichert sich mit dieser üblen Gaunerei. Im selben Ort trifft Listig auch auf einen Zahnbrecher, mit dem er fortan von Dorf zu Dorf zieht, bis Listig das Opfer eines Unfalls wir: Mitten im Wald wird der betrunkene Ganove von einer Kutsche angefahren und verliert dabei beide Beine. Aus dem Mann, der seinem Namen alle Ehre macht, wird ein hilfloser Krüppel.

Pausback ist ein recht einfältiger, ziemlich naiver Hüne, der nach dem Tod seines Vaters dessen Geschäft übernehmen muss. Weil dieser jedoch stets auf Reisen war, um seine heilenden Medikamente zu verkaufen, muss sich der Riese von seiner geliebten Mutter trennen und verliert trotz seines bärigen Äußeren jegliche Obhut. So kann ihm auch niemand zur Hilfe eilen, als seine Kunden den neuen Buckelapotheker immer wieder übers Ohr hauen und ihm die angepriesenen Salben quasi gratis entwenden. Der jedoch merkt vom Schwindel zunächst nichts und wandert seine Route stetig weiter – bis er in Pennewitz auf einen Mann ohne Beine trifft.

Von dort an reisen Pausback und Listig gemeinsam durch die Lande und wandern entlang der Apothekenstrecke bis nach Hamburg. Das heißt, Pausback läuft, während er neben seinen Kräutern auch noch den neuen Freund auf den Schultern trägt. Als Lohn für die Erleichterung der Fortbewegung unterstützt Listig Pausback bei seinen Geschäften und vermeidet, dass dieser in den Ruin hineinrennt. Der neue Friede wird aber schnell getrübt, als die beiden dank Listigs lockerer Zunge in das Lager der Räuberhauptmanns Galantho gelangen. Und dort müssen sie um ihr Leben bangen. Doch dies ist nicht die einzige Situation, in der die Freundschaft der beiden auf eine harte Probe gestellt wird. Auch die spätere Bekanntschaft mit der hübschen Eva, in die sich beide prompt verlieben, wird zur Zerreißprobe, in der Listig erneut auf alte Qualitäten zurückgreift …

_Meine Meinung_

Das 18.Jahrhundert ist das neue Steckenpferd von Serno und wird in „Der Balsamträger“ von der Atmosphäre und den kulturellen Bräuchen her mal wieder fantastisch beschrieben. Die Personen, die Schauplätze der Geschichte und auch die Gepflogenheiten der Charaktere, all dies lässt auf eine verstärkte Vorliebe für diese Ära schließen, bei der Serno mal wieder eine makellose Figur abgibt. Woran es aber bei „Der Balsamträger“ im Vergleich zu früheren Romanen mangelt, ist die Spannung. Der Autor verbringt lange Zeit damit, die einzelnen Hauptpersonen genauer vorzustellen, was im Falle von Listig sicher auch nötig ist, schließlich ist der Mann mit allen Wassern gewaschen, und seine zahlreichen Eigenschaften sollen sich ja auch im späteren Verlauf immer wieder zeigen. Trotzdem dauert es einfach viel zu lange, bis die ganze Geschichte mal in Schwung kommt, denn richtig interessant und in diesem Sinne auch halbwegs spannend wird es erst ab dem Moment, in dem Pausback und Listig aufeinander treffen und gemeinsam ihre Abenteuer erleben.

Zudem hat Wolf Serno es irgendwie verpasst, die einzelnen Handlungsstränge fließender ineinander übergehen zu lassen. Die Verbindung des Amtsmannes Röther, der seine Magd (und Geliebte) Eva dazu bringt, die eigene Frau umzubringen, zur übrigen Geschichte wird zwar später deutlich, aber die diesbezügliche Darstellung ist eher unzufrieden stellend. Lediglich die tatsächliche Rolle der Eva bzw. das Mysterium um die junge Giftmischerin ist ein Punkt, um den herum sich eine gewisse Spannung aufbaut, die auch bis zum Ende durchhält.

Ansonsten scheint der Autor bei „Der Balsamträger“ mehr darauf bedacht zu sein, seinen Humor mit einzubringen. Alleine schon die Darstellung des ziemlich dummen (wenn auch klischeehaft eingeleiteten) Buckelapothekers Pausback lockert so manches Mal die Lachmuskeln, und auch das Bild, das der flinke Listig abgibt, fördert einem ab und an ein Grinsen zutage. Leider aber sind es im Endeffekt auch seine Sprüche und Streiche, die nach einiger Zeit langweilig werden und dem Buch diese vermeidbaren Längen in den ersten beiden Dritteln verpassen. Wie heißt es so schön: Weniger ist manchmal mehr, und genau das trifft hier zu. Serno lässt bisweilen die Zielstrebigkeit beim Kreieren des Plots vermissen, und infolge dessen verrent er sich einfach zu oft in Teilhandlungen, die für die grundlegende Story absolut keine Bedeutung haben. Zu Beginn liest sich das noch alles schön und locker, auf Dauer aber nimmt es der Geschichte den Fluss.

Zum Schluss offenbart Serno dann aber glücklicherweise wieder alte Qualitäten. Die einzelnen Nebenstränge werden zusammengefügt, und es ergibt sich ein gutes, zufrieden stellendes Ende und dann auch das Resümee, dass der Roman trotz der genannten Kritikpunkte immer noch Spaß bereitet hat. Hier scheidet sich nämlich die Spreu vom Weizen: Serno bringt selbst einen durchschnittlich beginnenden Roman noch halbwegs sauber ins Ziel; bei manch anderem Autor hätte man zwischendurch – wohl wissend, dass der Schuss nach hinten losgeht – schon längst aufgegeben.

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