Sheldon, Sidney – Blutspur

Sidney Sheldon, der 2007 verstorbene, amerikanische Bestsellerautor, kam erst spät zur Schriftstellerei. Er begann als Drehbuchautor, unter anderem am Broadway, ist heute aber vermutlich eher durch seine Thriller bekannt. Einer davon, „Blutspur“, wurde bei |Ullstein| nun neu aufgelegt.

Auf den Schultern von Elizabeth Roffe lastet ein schweres Erbe, nachdem ihr Vater bei einer Bergtour ums Leben gekommen ist. Er war der Leiter des global agierenden Familienunternehmens für Pharmazeutika, das aufgrund seiner außergewöhnlichen Struktur schon oft Grund für Ärger geboten hat. Es handelt sich dabei nämlich um ein reines Familienunternehmen. Fremden ist es nur durch Heirat in die Familie möglich, eine Stimme und Aktienanteile zu erhalten, wobei man Letztere wiederum nicht veräußern darf. Dumm nur, dass sämtliche Mitglieder des Direktoriums, alles Mitglieder der Familie Roffe, Geldprobleme haben und nichts lieber täten, als die Anteile zu veräußern.

Sam Roffe war derjenige, der sich die ganze Zeit in seiner Funktion als Vorsitzender des Unternehmens dagegen sträubte, etwas an der alten Satzung zu verändern. Sein Tod kommt einigen Mitgliedern des Direktoriums daher nur recht, hoffen sie doch, nun endlich an Geld zu gelangen. Doch wider Erwarten entscheidet sich Elizabeth, die bislang nur wenig mit den Geschäften zu tun hatte, dagegen, das Erbe ihres Vaters abzutreten, und übernimmt selbst die Leitung des Unternehmens. Ihr Plan: Alles bleibt so, wie es ist, denn sie ahnt, dass irgendjemand im Direktorium darauf lauert, endlich die Aktien verkaufen zu können. Doch dieser Entschluss soll sich als lebensgefährlich für sie herausstellen …

„Blutspur“ verfügt über einen sehr ungewöhnlichen Aufbau für einen Thriller. Er orientiert sich nicht an der üblichen Spannungskurve, sondern beginnt, im Gegenteil, damit, die Situation der einzelnen Direktoriumsmitglieder in einzelnen Kapiteln darzustellen. Sheldon schlüpft dazu als Autor in vier Perspektiven in vier Städten und rekonstruiert eigenständige Hintergrundgeschichten, die mit der Handlung selbst nicht besonders viel zu tun haben. Im Anschluss berichtet er wiederum davon, wie Elisabeth im Schatten ihres Vaters erwachsen wird und ein Büchlein findet, in dem der Gründer des Familienunternehmens seinen Aufstieg beschreibt.

Und der Zusammenhang zur Geschichte? Nun, der ist in den meisten Fällen zwar gegeben, aber nicht immer. Anders als erwartet, stört dieses Drumherum aber nicht, da es erzählerisch sehr schön gestaltet wird. Dass das Buch erst wesentlich später in Gang kommt, fällt dank der schriftstellerischen Leistung kaum auf, auch wenn die eigentliche Krimihandlung recht kurz geraten ist. Die Suche nach dem Täter ist trotzdem spannend, da das umfassende Hintergrundwissen den Leser zu Verdächtigungen verführt. Wer letztendlich der Verdächtige ist, ist an keinem Punkt der Geschichte vorhersehbar, und das, obwohl die Anzahl von möglichen Tätern gering ist. Auch wenn es zuerst nicht so wirkt, aber tatsächlich schafft Sidney Sheldon es, mit wenigen Mitteln eine sehr spannende Mördersuche zu inszenieren, die den Leser in ihren Bann schlägt.

Die Personen sind aufgrund der umfassenden Einführung sehr gut ausgestaltet. Ihre Motive werden klar gemacht und ihre besonderen Charakterzüge gut hervorgehoben. Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, dass der eine oder andere Charakter ein wenig zu sehr in bereits vorgefertigte Kerben schlägt. Da wäre der arme Ehemann, der unter einer sex- und herrschsüchtigen Gattin leidet, der blendend aussehende Skilehrer, der sich eine Erbin angelt, der unglückliche Reiche, der sich in ein liederliches Mädchen verliebt, dem das Landleben viel zu bieder ist – Sheldon verwendet an solchen Stellen Stereotype, die in der Masse, in der sie auftreten, einfach zu viel sind. Hinzu kommt, dass seine Charaktere sich ständig mit Sex beschäftigen – und zwar in allen erdenklichen Ausformungen. Davon ausgenommen sind eigentlich nur zwei: Elizabeth und Rhys Williams, die rechte Hand von Sam Roffe. Die beiden haben von allen auftretenden Personen am wenigsten Dreck am Stecken, so dass man in diesem Zusammenhang durchaus von den Guten und von den Bösen sprechen kann.

Zu den Guten gehört übrigens auch der Schreibstil von Sidney Sheldon. Leichtfüßig und elegant, eher belletristisch erzählt Sheldon und ermöglicht dadurch paradoxerweise, dass sich das Buch so spannend lesen lässt. Die vielen Nebensächlichkeiten werden dadurch anschaulich verpackt und mit der Haupthandlung verbunden, was an und für sich eine Meisterleistung ist. Ein anderer Schreibstil hätte das Buch sonst leicht zu einer Nullnummer werden lassen können.

Sidney Sheldon neu aufzulegen, ist demnach völlig gerechtfertigt. Der kunstvoll gewobene Plot sucht seinesgleichen und der Schreibstil erweist sich als leicht lesbar und wunderbar locker. Einziger Wermutstropfen sind die Klischees in der Figurenzeichnung, doch ansonsten ist „Blutspur“ ein Thriller, der mit jüngeren Veröffentlichungen ohne Probleme mithalten kann.

|Originaltitel: Bloodline
Aus dem Englischen von Martin Lewitt
445 Seiten, Taschenbuch
ISBN-13: 978-3-548-26964-1|
http://www.ullstein-taschenbuch.de

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