Shulman, Polly – geheime Sammlung, Die

Für Fantasygeschichten ist man nie zu alt. Besonders, wenn es sich dabei um eine so fabelhafte Geschichte handelt wie die von Polly Shulman. Ihr Jugendbuch „Die geheime Sammlung“ spielt in einer New Yorker Bibliothek und lässt die Grimmschen Märchen lebendig werden …

_Elizabeth hat es_ nicht gerade einfach an ihrer neuen Schule. Die einzelnen Grüppchen wollen nichts mit ihr zu tun haben und stempeln sie schnell zur Außenseiterin ab. Ein Lichtblick ergibt sich, als ihr Gemeinschaftskundelehrer der Fünfzehnjährigen einen Aushilfsjob im Repositorium der Verleihbaren Schätze besorgt. Das Repositorium – eine Bibliothek, in der man weniger Bücher als vielmehr Gegenstände, wie zum Beispiel solche aus bestimmten Märchen, ausleihen kann – ist ein geradezu magischer Ort, an den die leicht sonderbare Elizabeth ziemlich gut passt.

Ihre Aufgabe als Page ist es, die Dinge, die die Besucher ausleihen wollen, zu holen. Dabei hat sie nicht von Anfang an Zutritt zu allen Sammlungen. Das so genannte Grimm-Sammelsurium, das verzauberte Gegenstände aus den Märchen der Gebrüder Grimm enthält, darf sie erst nach einer Probephase betreten. Währenddessen lernt sie nicht nur neue Freunde kennen, darunter den mürrischen Aaron und Marc, den Basketballstar ihrer Schule, sondern erfährt auch, dass seit einiger Zeit merkwürdige Dinge im Repositorium geschehen. Pagen verschwinden spurlos, ein großer Vogel verfolgt andere, Dinge aus dem Grimm-Sammelsurium verlieren ihre magischen Kräfte. Als auch noch Anjali, eine neue Freundin von Elizabeth, plötzlich nicht mehr da ist, macht sie sich gemeinsam mit Aaron und Marc auf die Suche. Zum Glück haben sie dabei Gegenstände wie fliegende Teppiche, sich selbst deckende Tische und jede Tür öffnende Spazierstöcke aus der Sammlung an ihrer Seite …

_Polly Shulman zieht_ ihre Leser bereits von der ersten Seite an in ihren Bann. Ihr Schreibstil, die liebenswerte Hauptfigur, die abwechslungsreiche, abenteuerliche Handlung – die Autorin ist eine wahre Geschichtenerzählerin! Alles an der Geschichte passt. Das beginnt mit dem Plot, der leichtfüßig von einem Ereignis zum anderen springt. Erzählt aus Elizabeths Perspektive konzentriert sich das Buch vor allem auf die geradlinige Haupthandlung und die Suche nach der verschwundenen Anjali. Die Autorin verzichtet dabei auf übertriebene Wendungen und Ereignisse. Vielmehr ist der Aufbau der Geschichte beinahe schon ein klassischer Abenteuerroman für Kinder mit ein paar magischen Elementen. Die drei treten gegen einen „bösen“ Erwachsenen an, den sie nur dadurch besiegen können, dass sie ihren Kopf anstrengen und zusammen arbeiten – was vor allem Aaron und Marc, die sich nicht besonders gut leiden können, schwer fällt. Anjalis kleine Schwester, Jaya, die ebenfalls an der Suche beteiligt ist, sorgt immer wieder für lustige Momente mit ihrer kindlichen Altklugheit.

Als Hintergrund für diese Geschichte dient zum einen die Stadt New York, die durch Shulmans lebendige und bildhafte Beschreibungen einen gewissen Zauber entwickelt, und das Repositorium. Selbst normale Bibliotheken haben von vornherein eine gewisse Anziehungskraft. Dicke Folianten aus allen Zeiten versprechen spannende Geschichten, doch was passiert, wenn die Sammelobjekte keine Bücher, sondern Gegenstände sind, die magische Kräfte haben und aus Märchen bekannt sind? Dieses Szenario stellt Shulman wunderbar zielgruppengerecht, humorvoll und vor allem erfindungsreich dar. Gerade am Anfang führt sie bestimmte Dinge ein, nur um ihre Funktionsweise zu zeigen und den Leser zu amüsieren. Unvergleichlich ist der Nachmittag, den Anjali, Elizabeth und Marc damit verbringen, einige der Objekte des Repositoriums zu reparieren. Dazu gehört auch das deutsche Tischlein-Deck-dich (es gibt auch noch eine französische Version), einem Tisch, der sich von selbst mit üppigstem Essen belädt, aber ab und zu einmal abgewischt werden muss.

Elizabeth hat große Füße, keine Freundinnen mehr, seit ihre beste Freundin nach Kalifornien gezogen ist, und liegt ständig im Clinch mit ihrer Stiefmutter. Sie ist nicht besonders hübsch und nicht besonders beliebt. Sie ist eine liebenswerte Antiheldin, die in ihrer eigenen Welt lebt. Der Leser folgt ihr gerne in diese, da sie sie charmant erklärt und ihr Humor einfach nur niedlich ist. Sie ist nicht sarkastisch, sondern ein sehr optimistischer, neugieriger Mensch. Die Arbeit im Repositorium sorgt dafür, dass sie selbstsicherer und aufgeschlossener wird. Man kann sich gut mit ihr identifizieren und folgt ihr gerne bei ihrem Abenteuer.

Einziger Kritikpunkt an der Geschichte sind Shulmans Zeitsprünge. Manchmal findet zwischen zwei Absätzen ohne Trennung durch eine Leerzeile ein Sprung in Zeit und Raum statt, der den Leser verwirrt. In einer Zeile befand sich Elizabeth noch zu Hause, in der nächsten steht sie zwei Tage später vor dem Raum, in dem ihr Vorstellungsgespräch statt findet. Dies hätte man anders lösen sollen. Ansonsten ist das Buch aber angenehm leicht geschrieben, so dass jeder es versteht. Ein gewisser Humor und Zauber wohnen Shulmans Worten inne, die sie ihrer Ich-Erzählerin in den Mund legt und die es einfach machen, das Buch so schnell nicht aus der Hand zu legen.

_“Die geheime Sammlung“_ von Polly Shulman ist ein märchenhaftes Buch für jeden, der gerne leichte, unterhaltsame Fantasy liest – egal, ob dieser jung oder alt ist!

|Gebunden: 344 Seiten
Originaltitel: The Grimm Legacy
Deutsch von Momo Evers und Falk Behr
ISBN-13: 978-3426283318|
http://www.pan-verlag.de

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