Sigurðardóttir/Sigurdardottir, Yrsa – letzte Ritual, Das

Unter den Skandinavien-Krimis im Allgemeinen hat sich der „Island-Krimi“ längst als eigenständiges Genre herauskristallisiert. In die Reihe vielversprechender isländischer Krimiautoren reiht sich auch die Ingenieurin Yrsa Sigurðardóttir ein, die, während sie in der isländischen Einöde eines der größten europäischen Kraftwerksprojekte als technische Leiterin betreut, Romane schreibt, wenn sie des Abends einsam in ihrer Hütte hockt. Mit „Das letzte Ritual“ hat Sigurðardóttir 2005 ihr Debüt abgeliefert, das ein Jahr später auf Deutsch erschien.

Die Putzkolonne der Universität Reykjavík stößt eines Morgens auf die entstellte Leiche des deutschen Geschichtsstudenten Harald Guntlieb. Der Leiche wurden die Augen entfernt und Runen in die Haut geritzt. Die Polizei kann diese Zeichen nicht so recht einordnen und verhaftet einen Drogendealer, da obendrein kurz vor Haralds Tod ein großer Geldbetrag von dessen Bankkonto verschwunden ist.

Doch Haralds Eltern in Deutschland misstrauen den Ermittlungen der Polizei und schicken ihren Bevollmächtigten Matthias Reich nach Island. Zusammen mit der jungen Anwältin Dóra Guðmundsdóttir soll er den Fall noch einmal neu aufrollen und den wahren Täter finden.

Für Dóra und Matthias bedeuten die Ermittlungen eine Reise in ein dunkles Kapitel der Geschichte, denn Haralds besonderes Interesse galt der Zeit der Inquisition, alten Hexenkulten und dunkler Magie. Dieses Interesse beschränkte sich dabei nicht nur auf Haralds Studienarbeiten, sondern war auch ganz privater Natur. Harald schien ein durch und durch bizarrer Mensch mit einigen geradezu unheimlichen Eigenarten zu sein. Dóra und Matthias suchen nach einem Motiv für den Mord an Harald und erfahren dabei schon bald mehr über dunkle Rituale, als ihnen lieb ist …

Mit „Das letzte Ritual“ hat Yrsa Sigurðardóttir einen durchaus beachtenswerten Debütroman abgeliefert. Man taucht schnell in die Geschichte ein und mit der jungen Anwältin Dóra schickt Sigurðardóttir eine Protagonistin ins Rennen, die einem schnell ans Herz wächst. Mag man ihr auf der einen Seite vielleicht vorhalten, dass ihre Figuren nicht sonderlich vielschichtig sind, so kann man die leichte Zugänglichkeit der Protagonisten durchaus als positiven Faktor verbuchen.

Dóra lebt nach der Scheidung mit ihren beiden Kindern allein und herrscht über einen etwas chaotischen Haushalt. Ähnlich chaotisch scheint es in ihrer Kanzlei zuzugehen, nicht zuletzt dank ihrer unfähigen Sekretärin Bella. Insgesamt ist Dóras Figurenskizzierung bei aller Einfachheit aber auch gut nachvollziehbar angelegt. So ist sie auf Anhieb sympathisch, und auch dieser Faktor trägt nicht unerheblich dazu bei, dass man schnell in die Geschichte eintaucht.

Auch das Zusammenspiel zwischen Matthias und Dóra trägt zum Unterhaltungswert bei. Mit einem ironischen Unterton spielen sich die beiden immer wieder gegenseitig die Bälle zu und lockern die ansonsten eher düstere Geschichte dadurch sehr gut auf. Die Ermittlungsarbeit ist dabei zunächst eine eher nüchterne Angelegenheit. Dóra arbeitet eine Mappe mit Unterlagen zu Haralds Lebensweg durch, die Stück für Stück seine Persönlichkeit nachskizzieren.

Einzelheiten zu den Geschehnissen in der Mordnacht und zu den Hintergründen der Tat tauchen erst im Laufe der Ermittlungen auf, als sich ein Puzzleteil in das andere zu fügen beginnt. Aufbau und Spannungsverlauf sind so gesehen auch recht klassisch. Der Leser wird durch Andeutungen und Perspektivenwechsel bei Laune gehalten. Zum Ende hin dreht Sigurðardóttir dann noch einmal kräftig an der Spannungsschraube, so dass der Roman wahre Page-Turner-Qualitäten entwickelt. Das tröstet über kleinere Hänger in den ersten zwei Dritteln des Buches locker hinweg. Sigurðardóttir erfindet eben nicht das Genre neu, sondern liefert einen gut durchdachten und cleveren Krimi ab, der obendrein durch seine interessant gewählte Thematik zu überzeugen weiß.

Die Autorin hat offensichtlich viel recherchiert und streut damit einiges Wissen zum Thema Hexenverfolgung in die Handlung ein. Das gibt dem Ganzen eine besondere Würze und trägt ebenfalls zur Spannung bei. Sigurðardóttir bleibt dabei aber stets auf dem Teppich und driftet nicht zu sehr ins Übernatürliche ab.

Bleibt unterm Strich ein durchaus positiver Eindruck zurück. Sigurðardóttir schickt mit Dóra und Matthias zwei sympathische Protagonisten ins Rennen, erzählt gewitzt und mit eingängigem Schreibstil und dreht mit fortschreitender Handlung dermaßen an der Spannungsschraube, dass man das Buch kaum zur Seite legen mag. Die geschichtlichen Details zum Thema Hexenverfolgung und die bizarre Persönlichkeit des Mordopfers sind dabei das Salz in der Suppe. Alles in allem ein durchaus gelungenes Debüt, nach dessen Lektüre man sich am liebsten sofort in den Nachfolgeroman [„Das gefrorene Licht“ 4547 vertiefen möchte.

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