Die Rote Armee Fraktion RAF hat Deutschland mit ihrem Gebaren 23 Jahre in Atem gehalten. Bis heute sind viele Verbrechen der Gruppe nicht aufgeklärt und die Namen ehemaliger Mitglieder tauchen immer wieder in den Medien auf. Wer die wichtigsten Fakten parat haben möchte, um mitreden zu können, sollte „Natürlich kann geschossen werden“, Michael Sontheimers kurze Geschichte der RAF, lesen. Auf knapp 190 Seiten hat der „Spiegel“-Autor die Geschichte der deutschen Terroristen zusammengetragen.
Als Geburtsstunde der ersten Generation der RAF gilt die Befreiung von Andreas Baader aus dem Gefängnis. Die Beteiligten, darunter Journalistin Ulrike Meinhof, mussten hierauf in den Untergrund gehen, da sie unter anderem wegen der schweren Verletzung eines Justizbeamten gesucht wurden. Dies nahmen sie als Anlass, die Befreiung Baaders als Attacke auf den Staat zu formulieren und daraufhin weitere Aktionen dieser Art auszuführen.
Allerdings ist diese erste Generation der RAF, der vermutlich die prominentesten Namen angehören, nicht besonders erfolgreich. Bereits nach zwei Jahren waren die meisten verhaftet. Die zweite Generation der RAF, der unter anderem Christian Klar angehört, widmet sich daher vor allem der geplanten Befreiung der Gründungsmitglieder. Lange verbleibt es allerdings bei bloßen Plänen, bis schließlich die Entführung von Hanns Martin Schleyer und des Flugzeugs Landshut statt finden. Doch wirklichen Erfolg hat die zweite Generation ebenfalls nicht. Nach ihrem Zerfall begründete sich die dritte Generation, die bislang von Historikern am wenigsten verstanden wird.
„Natürlich kann geschossen werden“ ist kein historischer Schinken, aber auch keine einfache, situationsheischende Unterhaltung. Es stützt sich auf Quellen und Dokumente aus Gerichtsverhandlungen und Ähnlichem. Im Anhang befindet sich deshalb ein umfassendes Quellenverzeichnis sowie zahlreiche Fußnotenbemerkungen. Diverse Schwarzweißfotos geben den Mitgliedern der RAF und ihrer Situation ein Gesicht. Sontheimer bezieht sich darüber hinaus an einigen Stellen auch auf aktuelle Ereignisse oder Erkenntnisse. Er betrachtet die RAF manchmal aus der heutigen Perspektive und auch wenn er nur eine kurze Geschichte über die RAF schreiben will – umfassend ist das Buch trotzdem. Es gibt einen guten Überblick über die wichtigsten Ereignisse in über 20 Jahren. Obwohl chronologisch erzählt, greift der Autor an der einen oder anderen Stelle vor oder zurück, wenn es sich anbietet. Er erklärt Zusammenhänge, vor allem zwischen den einzelnen Generationen und betrachtet alles immer wieder im Kontext der damaligen Zeit. So konzentriert er sich beispielsweise nicht nur auf die Terroristen, sondern schreibt auch über die damalige Justiz, Polizei und Politik und ihren Umgang mit der RAF.
Man kann Sontheimer sicherlich vorwerfen, an der einen oder anderen Stelle oberflächlich zu bleiben. Allerdings war es eben auch nicht seine Absicht, eine umfassende Abhandlung zu schreiben. Die Zielgruppe des verständlich geschriebenen Buches sind vielmehr Leute, die sich auf auf schnellem Wege das Wichtigste über die RAF aneignen möchten, ohne dabei über komplizierte historische Fachbegriffe oder ähnliches zu stolpern. Diesen Wunsch erfüllt der Autor auf 190 Seiten. Positiv ist dabei, dass die Schilderungen so anschaulich und lebensnah sind, dass man die Ereignisse tatsächlich nicht sofort wieder vergisst. Sontheimer kaut nicht nur Fakten wieder, sondern schreibt unterhaltsam, mitreißend, dabei aber nie subjektiv. Im Gegenteil wirkt das Buch sehr neutral. Er beschönigt die Taten der RAF nicht, singt aber auch keine Loblieder auf die damalige Politik. Er kritisiert beide Lager immer wieder, aber nicht, um damit die andere Seite lobend hervorzuheben.
Der Schreibstil ist, wie bereits angeklungen, locker, eher journalistisch. Immer wieder fließen Zitate von Beteiligten ein, an der einen oder anderen Stelle liest sich das Buch wie eine gute Reportage. Doch mit solchen Stilmitteln hält sich der Autor glücklicherweise zurück. Er bleibt nüchtern, erzählt zügig und haucht den Kapiteln dabei so viel Leben ein, dass man das Buch nicht aus der Hand legen möchte. Trotz des Themas ist das Buch nicht staubtrocken und zäh, sondern eine sehr angenehme Lektüre. Was dem Leser ein bisschen fehlt, ist eine Zeitleiste oder eine chronologische Auflistung der wichtigen im Buch erwähnten Ereignisse, um vergleichen und nachschlagen zu können.
Davon einmal abgesehen löst Michael Sontheimer sein Versprechen ein. Mit „Natürlich kann geschossen werden“ hat er eine gut zu lesende Zusammenfassung der Zeit der RAF geschrieben, die zeigt, dass Geschichte nicht langweilig sein muss.
|Gebunden: 217 Seiten
ISBN-13: 978-3421044709|
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