Richard Stark – Keiner rennt für immer [Parker 22]

Der kühl und klug geplante Überfall auf einen schwer beladenen Geldtransporter wird für Berufsgangster Parker durch unberechenbare Komplizen und die Tücken des Schicksals zu einem Himmelfahrts-Unternehmen, das allen Risiken zum Trotz durchgezogen wird … – Die Geschichte eines zum Scheitern verteilten Coups wird in klarer Sprache, ohne stilistischen Sperenzchen und ungemein spannend erzählt: kein Epos, kein Reiten auf dem „human factor“, sondern einfach ein großartiger Gangster-Thriller.

_Das geschieht:_

Ein vielversprechender Coup führt Berufsverbrecher Parker in die Kleinstadt Rutherford im US-Staat Massachusetts. Dort löst man im Rahmen einer Fusionierung eine Bank auf. Die Geldeinlagen werden mit gepanzerten Transportwagen abtransportiert. Den Konvoi wollen Parker und seine Komplizen Nick Dalesia und Nelson McWhitney überfallen und ausrauben.

Das nötige Hintergrundwissen verschaffen ihnen Elaine Langen, die verbitterte Gattin des Bankchefs, und Jake Beckham, ein ehemaliger Polizist, der in besagter Bank tätig war, bis er wegen Unterschlagung gefeuert wurde. Ebenfalls an Bord ist Dr. Myron Madchen, der dafür sorgen soll, dass Beckham, der für die Polizei nach dem Überfall zum Hauptverdächtigen würde, ein Alibi erhält.

Während die Planung des eigentlichen Überfalls voranschreitet, mehren sich die Schwierigkeiten. Langen, Beckham und Madchen sind Amateure, die sich verdächtig benehmen und außerdem Nerven zeigen. Als Beckham von einer übereifrigen Langen ins Bein geschossen wird, übernimmt die außerordentlich neugierige und tüchtige Polizistin Gwen Reversa den Fall. Parker, Dalesia und McWhitney müssen sich mit dem Kopfgeldjäger Roy Keenan und seiner Partnerin Sandra Loscalzo plagen, die nach einem früheren Komplizen fahnden und nicht locker lassen wollen. Beckham vertraut sich seiner rechtschaffenen Schwester an, die den Überfall verhindern will.

Obwohl sie wie überforderte Zirkusjongleure immer mehr Bälle in der Luft halten müssen, beschließen Parker, Dalesia und McWhitney, den Raub durchzuziehen. Ohne dass sie davon ahnen, gewinnen die Tücken des Objekts eine Eigendynamik, die ausgerechnet in der Nacht des Überfalls ihren spektakulären Höhepunkt findet …

Immer diese Amateure!

„Keiner rennt für immer“: Dieser Titel – in der Übersetzung ausnahmsweise korrekt dem Original folgend – bedarf einer Erklärung, da Eile ganz und gar kein Element ist, das diesen Roman prägt. Tatsächlich beschränkt sich jener Teil der Handlung, den man ‚Action‘ nennen könnte, auf einige Seite ziemlich am Ende des Buches. Bis es so weit ist, wird viel geplant und noch mehr einander belauert.

Parker und seine Spießgesellen begeben sich dieses Mal in mehr als einer Beziehung auf ungewohntes Terrain. Sie sind eigentlich Stadtstrolche, die sich in der Provinz erst zurechtfinden müssen, was ihnen nie wirklich gelingt. Dabei machen sie sich von der Mitarbeit blutiger Amateure abhängig. Diese sind es, die genug vom Rennen haben, was ein Leben beschreibt, das sich im Kreis dreht und nichts als einen elenden Tod als Ausweg bietet. Der Ex-Polizist haust in einem Trailer-Park, die Bankiersgattin hasst ihren Gatten, der Doktor wird von seiner Ehefrau drangsaliert. Der große Überfall soll ihnen die Mittel zum Neuanfang verschaffen.

Stünden Parker & Co. nicht selbst finanziell unter Druck, hätten sie die Finger von diesem Coup gelassen. Sie sind Profis, die sich mit schweren Kapitalverbrechen den Lebensunterhalt verdienen. Nach vielen aktiven Jahren haben sie nicht nur die dafür erforderlichen Kenntnisse, sondern auch die notwendige Nervenstärke erlangt. Nüchtern wird vorbereitet, das Risiko ist eingeplant. Ganz anders denken dagegen die Komplizen: Sie treibt die Angst vor dem Gefängnis mindestens ebenso um wie ihre kriminelle Unerfahrenheit. Die Bankiersfrau betrinkt sich und muss für ihren kurzen, aber unbedingt erforderlichen Einsatz erst geweckt werden, der Ex-Polizist verliert die Nerven. Immer wieder muss Parker seine unberechenbaren Schäfchen zur Ordnung rufen, statt sich auf die Planung des Überfalls zu konzentrieren.

Murphys Gesetz triumphiert

Autor Richard Stark schildert in seinem Roman detailliert die Vorbereitungen eines gewagten Verbrechens. Es wird scheitern, was kein Spoiler ist: Parkers Fischzüge enden in der Regel katastrophal, denn die Parker-Krimis beschreiben nie Coups, die glattgehen. Das Schiefgehen und die daraus folgenden Konsequenzen bilden das hauptsächliche Spannungsmoment. Nicht einmal fünfzig Seiten widmet Stark deshalb dem Überfall auf den Geldtransport. Der geht problemlos über die Bühne, denn hier sind Parker und seine beiden Kumpane unter sich.

Noch während pralle Geldsäcke den Besitzer wechseln, haben Parker, Dalesia und McWhitney dennoch das Spiel verloren. Sie waren zu optimistisch, wollten es sein, was den Erfolg ihres Unternehmens betraf. Dabei begannen die Schwierigkeiten bereits, als der Coup noch ein reines Gedankenspiel war. Fasziniert beobachtet man, wie das Rad ins Schlingern kommt. Wie das enden wird, weiß man genau: Alle verzweifelte Gegenmaßnahmen werden scheitern. Die Ereignisse schaukeln sich auf, bis sie im buchstäblich großen Knall münden. Zunehmend zornig, aber immer noch gelassen sorgt Parker für Ruhe im Glied. Aber er kann nicht überall sein. Macht- und ahnungslos muss er auf das letztlich irrationale Handeln der verschreckten Laien reagieren; weder Steuerung noch Kontrolle sind möglich.

Die täuschend simple Kunst des (Be-)Schreibens

Stark ist ein Schriftsteller der einfachen, klaren Sprache. Die Sätze sind kurz, die Aussagen prägnant, die Dialoge knapp und eindeutig. Der daraus resultierende Stil ist unter der Feder eines fähigen Autoren für den Leser eine Offenbarung. Stark versteht sein Handwerk. Jederzeit hält er die Fäden in der Hand. Er kann sich Aussparungen leisten, denn der Kontext füllt die Lücken. Der Leser weiß sofort, was sich ereignet hat, obwohl es ihm nicht vorgekaut wurde. Dieses Buch wäre einem weniger ökonomisch schreibenden Verfasser vermutlich doppelt so lang, aber sicher nicht besser geraten.

„Niemand rennt für immer“ gliedert sich in vier Großkapitel. Stark schildert das Geschehen zunächst aus Parkers Perspektive. Die Figuren der Handlung werden vorgestellt, das Geschehen kommt in Gang. Mit Großkapitel zwei ‚übernimmt‘ Stark. Parker wird zur Nebenfigur. Als allwissender Erzähler liefert Stark Hintergrundwissen, das dem Leser wie Parker bisher unbekannt war. Parker kennt viele dieser Fakten nicht. Der Leser erkennt indes, wieso der Überfall scheitern wird.

Mit Großkapitel drei kehrt Parker zurück. Das Geschehen spitzt sich zu, das Tempo zieht an. Die Ereignisse überschlagen sich, der bisher kontinuierliche Erzählfluss verebbt und wird durch kurze Schlaglichter ersetzt. Stark springt von Figur zu Figur, von Szene zu Szene. Der große Plan löst sich in Fragmente auf, was durch die Handlung widergespiegelt wird. Am Ende steht das Fiasko; ein von Hunden gehetzter Parker flüchtet in den Wald. Stark lässt sein Publikum nägelkauend zurück. (Der gemeine, aber ausgezeichnet funktionierende Cliffhanger erfährt seine Auflösung erst in „Ask the Parrot“ – dt. „Fragen Sie den Pagagei“, dem 23. Parker-Abenteuer, das unmittelbar mit Parkers Flucht einsetzt.)

Tun, was getan werden muss

Wie üblich steigt Stark mit einem Knalleffekt in seine Geschichte ein. Sieben Gangster beraten über einen Coup. Dies ist der erste Satz: „Als er sah, dass der Mann, der Harbin hieß, verdrahtet war, sagte Parker: ‚Gib mir schon mal Karten‘ und stand auf … Während er um den Tisch herumging, löste Parker seine Krawatte …, nahm sie doppelt und warf sie Harbin über den Kopf. Er zog die beiden Enden durch die Schlaufe und ruckte mit der Rechten kräftig nach hinten, während sein Körper sowohl Harbin als auch den Stuhl, auf dem er saß, gegen den Tisch drückte …“ (S. 7)

Das ist Parker: ein Profi als Schwerverbrecher, für den Mord zum täglichen Geschäft gehört. Niemals hat Richard Stark diese Figur verwässert. Stark ist in 24 Bänden ein Mann ohne Vornamen und Skrupel geblieben. Er tötet nicht zum Vergnügen, tut es aber ohne Gewissensbisse. Davon setzt er die Laien unter seinen Komplizen sachlich in Kenntnis, als sie schwächeln, und sie sind klug genug, die Wahrhaftigkeit seiner Worte zu erkennen.

Freundschaft ist für Parker eine Schwäche, die er sich nicht leisten kann. Selbst bewährte Kumpane, mit denen er manches Ding gedreht hat, betrachtet er mit Misstrauen und Vorsicht. Anfänger wie Elaine Langen und Jake Beckham benutzt er. Spielen sie ihre vorgesehenen Rollen gut, wird er ihnen den zugesicherten Beuteanteil nicht vorenthalten. Wie sie sich die Polizei vom Hals halten, bleibt ihre Sache. Parker sorgt dafür, dass niemand wirklich etwas über ihn weiß. Das macht ihn zur idealen Serienfigur: Parker zieht seine Bahn durch ein kriminelles Untergrund-Amerika. Obwohl wir wissen, wie er sich verhalten wird, werden wir nie müde, ihn bei einem neuen Coup zu beobachten. Ein unermüdlich ideenreicher Richard Stark wird zuverlässig dafür sorgen, dass dieser wieder unterhaltsam in turbulentem Chaos endet.

Autor

„Richard Stark“ ist einer von mehreren Künstlernamen des Thrillerprofis Donald Edwin Westlake (geb. 1933 in Brooklyn, New York), der sich in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre als Verfasser von Kurzgeschichten einen Namen zu machen begann. So hoch war sein literarischer Ausstoß, dass er unter diversen Pseudonymen veröffentlichte. 1960 erschien sein erster Roman. „The Mercenaries“ (dt. „Das Gangstersyndikat“); er ließ Westlakes Talent für harte, schnelle Thriller deutlich erkennen.

Bereits 1962 betrat Parker, ein eisenharter Berufskrimineller, die Bildfläche. „The Hunter“ (dt. „Jetzt sind wir quitt“/“Payback“) verfasste Westlake als Richard Stark. „Richard“ borgte sich der Autor vom Schauspieler Richard Widmark, „Stark“ suggeriert – völlig zu Recht – die Machart dieses Romans. Bis in die 1970er Jahre veröffentlichte „Richard Stark“ neben seinen vielen anderen Romanen – zu erwähnen ist hier vor allem seine berühmte Reihe um den erfolglosen Meisterdieb Dortmunder – immer neue Parker-Romane, bevor er die Reihe abbrach, um sie nach 22-jähriger Pause (!) 1997 wieder aufzunehmen. Seither mischt Parker wieder regelmäßig die Gangsterszene auf.

Neben dem Schriftsteller Westlake gibt es auch den Drehbuchautor Westlake. Nicht nur eine ganze Reihe seiner eigenen Werke wurden inzwischen verfilmt. So inszenierte 1967 Meisterregisseur John Boorman das Parker-Debüt „The Hunter“ als „Point Blank“. Lee Marvin – der allerdings den Rollennamen „Walker“ trägt – und die fabelhafte Angie Dickinson spielen in einem Thriller, der zu den modernen Klassikern des Genres zählt. (1999 versuchte sich Brian Helgeland an einem Remake. Mel Gibson gab den „Porter“ in „Payback“.) Westlake selbst adaptiert für Hollywood Geschichten anderer Autoren. Für sein Drehbuch zu „The Grifters“ (nach Jim Thompson) wurde er für den Oscar nominiert.

Nach einer fünf Jahrzehnte währenden, höchst produktiven und erfolgreichen Schriftsteller-Karriere dachte Westlake keineswegs an den Ruhestand. Auf einer Ferienreise traf ihn am Silvestertag des Jahres 2008 ein tödlicher Herzschlag. An sein Leben und Werk erinnert diese Website,  die in Form und Inhalt seinen Romanen ähnelt: ohne Schnickschnack, lakonisch und witzig, dazu informativ und insgesamt unterhaltsam.

Taschenbuch: 288 Seiten
Originaltitel: Nowbody Runs Forever (New York : Mysterious Press/Warner Books 2004)
Übersetzung: Nikolaus Stingl
www.dtv.de

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