Stecher, Rainer – Rückkehr nach Atragon (Atragon II)

Atragon I: [„Die Flamme von Atragon“ 4817

_Seit den Ereignissen_ in „Die Flamme von Atragon“ sind fünfzehn Jahre vergangen. Die Welt ist nur noch eine ausgedörrte Wüste unter einer dicken Nebeldecke, die dort lebenden Menschen sind nicht mehr als Jagdbeute für Sartos‘ Schergen. Nur oberhalb der dichten Nebeldecke, in den Hochlagen des Gebirges, sind die Menschen noch sicher vor den geflügelten Sammlern. Aber nicht mehr lange, denn die Beute in den Gebieten unter dem Nebel wird immer weniger …

Ensine, Anjas Tochter, lebt im Gebirge über dem Nebel. Schon seit längerem rufen nebelähnliche Wesen in ihren Träumen nach ihr, und eines Tages taucht eines von ihnen in ihrer Hütte auf. Es warnt sie vor den bevorstehenden Angriffen der Sammler. Die Menschen sollen sich in die Höhlen an der Spitze des höchsten Berges zurückziehen. Also machen Ensine und ihre Mutter sich auf den Weg.

Nicht weit davon entfernt holt der junge Cenotes mit einem Pfeil ein seltsames Wesen vom Himmel. Es stellt sich als Sammler heraus, ein junges, schwächliches Exemplar, das über den Nebel hinausgeflogen ist, weil es nicht wagte, ohne Beute zu seinem Herrn zurückzukehren. Sein Name ist Piecock. Die beiden freunden sich an, und als auch Cenotes und sein Bruder zum Gipfel aufbrechen, nehmen sie Piecock mit.

Sartos hat derweil mit ernsten Problemen zu kämpfen. Nicht nur geht ihm der Nahrungsnachschub aus, der besondere Schutz, der seine Wächter vor fünfzehn Jahren unverwundbar machte, verliert seine Wirkung, und zu allem Übel lassen auch seine magischen Kräfte nach. Notgedrungen tut er etwas, das er eigentlich viel lieber vermieden hätte: Er holt seine einstige Verbündete Dalia aus Moron heraus …

_Die Riege der Charaktere_ geht in die zweite Generation: Ensine ist ein aufgewecktes, wissbegieriges Mädchen, das es leid ist, von seiner Mutter beschützt zu werden. Als Tochter Anjas und Enkelin der Seherin Meriste besitzt Ensine selbstverständlich selbst die Gabe des Sehens, außerdem aber noch eine weitere, besondere Fähigkeit. Von Cenotes und seinem Bruder Hesaret lässt sich leider nicht viel mehr sagen, als dass Ersterer dazu bestimmt ist, Sartos zu stürzen, und der zweite hauptsächlich der Schatten des ersten zu sein scheint. Piecock dagegen scheint für eine Schöpfung Sartos‘ erstaunlich intelligent. Dass er den Weg ins Unbekannte wagt, liegt vor allem daran, dass er vor Sartos noch größere Angst hat. Aber er ist auch in der Lage, sich dem Neuen, das ihm begegnet, zu öffnen. Von den Charakteren des ersten Bandes tauchen vorerst nur Sartos und Dalia auf.

Leider ist die Darstellung der Figuren auch diesmal nicht tiefschürfender geraten als beim ersten Mal. Bestenfalls wird ein wenig deutlicher, wie tumb und grausam Sartos ist und wie kalt und rachsüchtig Dalia. Die Neuzugänge dagegen sind erstaunlich naiv, wenn man bedenkt, in welch einer Welt sie leben. Sie wissen so gut wie nichts darüber, warum auch immer. Und es scheint sie auch nicht wirklich zu interessieren. Lediglich Ensine stellt zu Beginn ein paar Fragen, aber auch das hört auf, nachdem sie Sol, dem Elementel des Lichts, begegnet ist.

Die Elementel sind die Schöpfer der Welt. Und immerhin erfährt der Leser mit ihrem Auftauchen auch ein klein wenig mehr darüber, wie es dazu kommen konnte, dass Sartos sich die Welt unterwarf. Diese Ausführungen bleiben aber genauso knapp und trocken wie der Erzählstil insgesamt und tragen somit zwar zum besseren Verständnis bei, bringen aber keinerlei zusätzliche Farbe in die Geschichte. Auch die Elementel selbst verbleiben so sehr am Rande, dass man sie nicht einmal als Charaktere bezeichnen kann, und ihre Erscheinungsform ist so vage, dass sie nicht einmal Aspekte des jeweiligen Elementes zeigen, für das die einzelnen Wesenheiten stehen.

_Unverändert bleibt auch_ die karge Ausführung der Welt und ihrer Magie. So fragte ich mich zum Beispiel, woher Ensine diese ungewöhnliche, zusätzliche Gabe hat. Von ihrem Vater? Nun, der wird nicht mal erwähnt, geschweige denn, dass er auftaucht. Es fehlen auch jegliche Hinweise darauf, was genau ein Sammler ist. Piecock jedenfalls scheint nicht so abscheulich zu stinken wie die Wächter, denn Cenotes reitet auf ihm. Ist Piecock also kein Untoter? Was aber ist er dann?

Zusätzlich zu all den unbeantworteten Fragen gesellten sich diesmal auch ein paar logische Knicke. Zum Beispiel nickt Cenotes zu Anja hinüber und fragt Adinofis, ob Anja wisse, dass Ensine in Sartos‘ Gemächern sei. Dabei kennt er Ensines Mutter gar nicht. Er kann weder wissen, wie sie heißt, noch, dass sie Adinofis und ihre Feen nach Trong begleitet hat. Erstaunlich fand ich auch, dass Cenotes, dessen Bestimmung der Kampf gegen Sartos sein sollte, letztlich so gut wie nichts dazu beigetragen hat. Er hat die gefrorenen Opfer aufgetaut, aber ob es ihm auch gelungen wäre, die vielen Menschen aus den Tunneln herauszuführen? Zum Glück kamen die Feen rechtzeitig, um ihm aus dieser Misere herauszuhelfen und dann auch gleich noch den Endkampf ohne ihn zu bestreiten. Überhaupt, wozu haben die Wächter die Menschen überhaupt eingefroren? Im ersten Band hieß es noch, die Vorräte reichten nur für zwei Tage. So lange hält sich lebendes Fleisch auch ohne Tiefkühlung frisch. Und nur eine einzige, kleine Schlachtkammer? In der sich die Wächter auch noch jede Menge Zeit lassen zum Spielen mit ihren Opfern? Da müssen Sartos‘ zweihunderttausend Schergen aber alle lange anstehen, ehe jeder was zu fressen bekommen hat.

_Um das Maß vollzumachen_, leidet diesmal auch die Handlung unter der knappen Erzählweise. Irgendwie hatte ich das Gefühl, diesmal ging alles ein wenig zu glatt, sowohl bei Anjas Wanderung nach Atragon als auch dem Angriff der Engel auf die Sammler oder der Freundschaft zwischen Cenotes und Piecock. Die Spannung, die den ersten Band gleich zu Anfang und dann nochmal gegen Ende durchzog, wollte hier einfach nicht aufkommen. Zwar kam es schließlich in den Tunneln von Trong doch noch zu ein paar Turbulenzen, der Endkampf selbst aber fiel ebenso knapp aus wie der Rest des Buches, und es fehlte ihm der überraschende Schluss, den der erste Band noch vorweisen konnte.

_Zu den inhaltlichen Schwächen_ gesellen sich sprachliche. Am auffallendsten ist die ungewöhnliche Zeichensetzung. Viele Kommata sind überflüssig, stehen mitten im Satz, an anderer Stelle wieder fehlen sie. Auch Zeitfehler finden sich, vor allem in den Passagen, in welchen Kursivschrift anzeigt, dass hier Gedanken wiedergegeben werden, so dass ich mich frage, ob der Verlag überhaupt Lektoren beschäftigt. Das gilt auch für den ersten Band. Immerhin gibt es an Druck und Bindung nichts zu bemängeln.

_Schade eigentlich._ Aus dieser Geschichte hätte man so viel machen können. Dalia hatte alle Anlagen eines wirklich ernstzunehmenden, fiesen Gegenspielers. Die Annäherung zwischen Cenotes und Piecock hätte eine Menge Konfliktpotenzial geboten. Und der Ring, den Dalia aus Moron mitgebracht hat, war ebenfalls eine hervorragende Idee. Aber anstatt diese Ideen auszubauen, hat Rainer Stecher sie lediglich gestreift. Das hat nicht nur eine ziemlich lineare, einfache Handlung zur Folge; es macht die Entwicklung der Ereignisse wie auch die der Charaktere unglaubwürdig. Das gilt vor allem für die beiden Liebesgeschichten und ganz besonders für die zweite. Sowohl der Handlung als auch den Personen fehlt die Zeit, sich zu entwickeln, alles wirkt hastig und überstürzt. Es stellt sich die Frage, warum der Autor seinen Ideen nicht mehr Raum zur Entfaltung gelassen hat. Und wie so viele andere bleibt auch sie unbeantwortet.

_Rainer Stecher_ ist gebürtiger Thüringer, lebt aber jetzt in Berlin. Mit dem Schreiben begann er auf Bitten seiner Kinder, zur Veröffentlichung des Manuskriptes überredete ihn sein Vater. Seither hat er nicht nur die |Atragon|-Trilogie geschrieben, sondern auch ein Kinderbuch mit dem Titel „Spindelfink – Wie ein Spatz fliegen lernte“ sowie Gedichte und eine Kurzgeschichte, die er zusammen mit anderen Autoren veröffentlicht hat.

http://www.atragon-online.de.vu
http://www.asaro-verlag.de

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