Katrin Stehle – Kalte Augen

Vom Dörfchen ins gigantische Berlin – da kann man schon mal den Überblick verlieren. Kira, die Protagonistin aus Katrin Stehles Jugendkrimi „Kalte Augen“, passiert das auf einer Klassenfahrt. Allerdings bekommt sie ungeahnte Hilfe von einem Unbekannten …

Alles beginnt mit einer Mutprobe. Kira möchte Lara und Jenna beweisen, dass sie cool und furchtlos ist und traut sich ganz alleine nachts in einen Berliner Park. Doch die beiden „Freundinnen“ folgen ihr nicht, wie versprochen, sondern lassen sie im Stich. Plötzlich ist Kira verloren in der Großstadt und weiß nicht, wo sich die Jugendherberge befindet. Sie irrt durch die Nacht, bis sie plötzlich von einem Jungen namens Gunnar angesprochen wird.

Kira hat natürlich keine Lust, in so einer Situation dumm angemacht zu werden, aber Gunnar bleibt standhaft. Er behauptet, sie sei seine Seelenverwandte und tatsächlich haben sie viele Gemeinsamkeiten. Sie mögen beide die Farbe Grün, finden Frösche toll und sind sehr sensibel. Allmählich taut Kira auf. Vielleicht ist Gunnar doch kein so schlechter Kerl. Wenn sie ehrlich ist, hat sie sich ja schon ein bisschen in ihn verliebt und umso mehr freut sie sich, als sie Handynummern austauschen und in Kontakt bleiben. Doch das ist nicht so einfach und romantisch, wie sie sich das vorgestellt hat. Gunnar zeigt sich erst von seiner anhänglichen Seite, dann weist er sie grundlos ab. Plötzlich taucht er in Kiras Heimatort auf – obwohl sie ihm nie ihre Adresse gesagt hat. Gunnar wird immer unheimlicher, aber Kira hält zu ihm, auch wenn ihre beste Freundin ihr etwas Anderes rät …

„Kalte Augen“ klingt wie ein echter Psychothriller, ist es aber nicht. Stehle erzählt ihre Geschichte auf einem jugendfreundlichen Niveau, holt dadurch aber nicht alle Spannung heraus. An der einen oder anderen Stelle, wenn Kira etwas merkwürdig vorkommt an Gunnar, hätte dies ruhig noch mehr heraus gestellt werden können. Zwei Drittel der Geschichte sind dadurch eher ruhig und unaufgeregt, das Ende jedoch wirkt hektisch. Ein Ereignis folgt plötzlich überstürzt auf das andere, von der Ruhe, die den Rest des Buches ausmacht, ist nicht mehr viel zu spüren. Der Roman wirkt dadurch zweigeteilt, wird aber durch die persönliche, detaillierte Erzählweise zusammen gehalten.

Abgesehen davon ist die Geschichte rundherum gelungen, weil neben der Thrillerhandlung noch ein anderes Thema wichtig ist: der Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenleben. Kira und ihre Freunde Beke und Dirk waren früher unzertrennbar, doch im Teenageralter tun sich nicht nur Unterschiede in den Interessen auf. Seit Beke und Dirk ein Paar sind, fühlt sich Kira häufig außen vor und es gibt immer Differenzen mit der pragmatischen Beke, die auch Gunnar nicht akzeptiert. Diese Veränderungen stellt die Autorin anschaulich dar, indem Kira sich immer wieder an ihre Kindheit erinnert.

Das verleiht Kira als Person natürlich noch zusätzliche Tiefe. Die Erinnerungen, ihre Gedanken und Gefühle, ihr Familienleben – der Autorin ist es gelungen, ihre Protagonistin schön zu gestalten. Dadurch, dass sie aus der ersten Person erzählt, ist man dem sensiblen Mädchen sehr nahe. Zusammen mit dem bildhaften Schreibstil, der sich häufig die Zeit nimmt, Situationen ausführlich zu beschreiben oder Kiras Gedanken wieder zu geben, taucht man direkt in die Geschichte ein. Das zahlt sich aus, denn so werden die schwächeren Teile der Handlung, zum Beispiel das Ende, gut überspielt.

Gunnar, der eine wichtige Rolle im Buch spielt, wird allerdings nicht so gut dargestellt. Er wirkt stellenweise ein bisschen zu sehr auf „psycho“ getrimmt. Der Leser durchschaut ihn ziemlich schnell. Das nimmt der Geschichte Spannung und lässt ihn, im Vergleich mit Kira, blass erscheinen.

Insgesamt ist „Kalte Augen“ jedoch ein gut geschriebenes und interessantes Jugendbuch mit einigen Makeln bei der Handlung, über die man aber hinwegsehen kann.

Taschenbuch: 222 Seiten
ISBN-13: 978-3423782388
www.dtvjunior.de

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