Stevens, Chevy – Never Knowing – Endlose Angst

Als Adoptivkind kommt man mit Sicherheit an den Punkt, an dem nach sich fragt: Woher komme ich? Wer sind meine Eltern? Und vor allem wird man sich mit der Frage beschäftigen: Warum wollten mich meine Eltern nicht? Welche Gründe muss es gegeben haben, dass ich in deren Leben scheinbar keinen Platz finden konnte oder durfte?

Es bleibt offen, ob diese Suche, wenn sie denn erfolgreich ist, eher ein freudiges Ereignis ist oder ob es nicht doch besser gewesen wäre, wenn man den Schritt erst gar nicht gegangen wäre. Die Gefahr einer Ernüchterung ist groß und könnte noch mehr Komplikationen hervorrufen, denen man psychologisch nicht gewachsen ist. Erklären sich manche negative und positive Eigenschaften besser, wenn man quasi selbst nach Jahren einen Teil seiner selbst begegnet?

Für jede Person, einschließlich der Adoptiveltern, bedeutet das große Anspannungen und Probleme, die schnell eskalieren können.

Die kanadische Autorin Chevy Stevens präsentiert mit ihrem zweiten Roman „Never Knowing – Endlose Angst“ einen psychologischen, gut durchdachten und spannenden Thriller.

_Inhalt_

Sara, eine junge Frau, führt ein erfreuliches und relativ sorgloses Leben. Als Säugling wurde Sara adoptiert und wurde von ihrer Adoptivmutter liebevoll in die wachsende Familie integriert. Trotzdem blieb zu ihrem Adoptivvater eine gewisse Distanz, der seinen beiden leiblichen Töchtern Lauren und Melanie mehr Liebe und Fürsorge zeigte. Das Verhältnis zu ihren beiden Geschwistern blieb nicht ohne Spannungen, gerade zu Melanie wurde es im Laufe der Jahre immer schwieriger für Sara, einen Weg des Friedens zu finden. Sara, die sich erfolgreich eine Geschäftsexistenz als Möbelrestauratorin aufgebaut hat und ihre Hochzeit mit Evan plant, könnte es glücklicher nicht sein. Für sie und ihre kleine, aufgeweckte Tochter Ally steht die Welt mit all ihren Hoffnungen und Wünschen offen.

Doch einen langgehegten Wunsch möchte sich die junge Frau doch erfüllen. Die Frage, wer ihre leiblichen Eltern sind und wo sie leben, lässt sie nicht los. Weder ihre Adoptiveltern noch ihr Verlobter zeigen für diesen Wunsch Verständnis, aber gehen einer Diskussion auch aus dem Weg. Sara macht sich ohne das Wissen ihrer Liebsten auf die Suche nach ihren Eltern. Mithilfe eines ehemaligen Polizisten, der als Privatdetektiv tätig ist, findet sie schließlich ihre Mutter.

Diese ist als Professorin an einer Universität tätig und lebt mit einer Frau als Partnerin zusammen. Als Sara diese aufsucht, zeigt sich ihre Mutter ihr gegenüber sehr abweisend und zudem ängstlich. Warum trägt ihre leibliche Mutter einen anderen Namen und weist sie derartig brutal von sich? Die Recherchen des Detektivs offenbaren sich als ein einziger Schrecken für Sara. Ihre Mutter ist die einzige Überlebende eines Killers, der schon seit Jahren mordet. Nach ihrer Vergewaltigung konnte sie den Mörder verletzen und fliehen. Sie trug Sara aus, gab sie zur Adoption frei, änderte ihren Namen und baute sich eine neue Existenz auf. All die Jahre verdrängte sie, was ihr angetan wurde und nun mit dem Auftauchen von Sara wird die Vergangenheit wieder aktiviert und holt alle Beteiligten ein.

Als die Geschichte um Sara und ihre leibliche Mutter öffentlich und im Internet verbreitet wird, ist es bereits zu spät. Nicht nur die Medien interessieren sich für das Schicksal der jungen Frau, auch ihr leiblicher Vater – der Campsite-Killer, wie er auch genannt wird, nimmt Kontakt mit Sara auf …

_Kritik_

„Die Geister, die ich rief“ sind nun gekommen und genau das erleben Sara und ihre Familie. Ihre Motivation, die eigenen Eltern zu finden, ist nachvollziehbar und ebenso die Motivation des Vaters, seine Tochter kennenzulernen, von deren Existenz er jahrelang nichts geahnt hat.

Von dem Schrecken, der Sara und ihre Angehörigen nun verfolgt, erzählt die Autorin raffiniert und absolut realistisch. Immer aus der Perspektive von Sara lässt die Autorin den Leser auf einer Welle der Eskalation treiben, die erst dann brechen kann, wenn Sara ihrem Vater gegenübersteht. Doch bis dahin passiert viel. Die Polizei schaltet sich ein und Sara bekommt zwei Beamte zugewiesen, die sie beschützen und den immer intensiveren Kontakt zwischen Vater und Tochter für ihre Zwecke einsetzen.

Dass dabei Sara an ihre psychologischen Grenzen stößt und das Verhältnis zu ihrem Verlobten Evan zunehmend angespannter wird, kann der Leser ebenso verfolgen, wie der immer fordernde Kontakt zu „John“, ihrem leiblichen Vater.

Saras Charakter zeigt sich hier mit all ihrer Stärke und auch Schwäche. Sie zeigt Verantwortung gegenüber ihrer Tochter, aber auch Verständnis und Interesse für ihren Vater, der immer wieder beteuert, kein Monster zu sein. Sara sucht verzweifelt nach Liebe und Verständnis, verrennt sich aber in den Wunsch jeden und allem gerecht zu werden.

Sara erlebt buchstäblich die Hölle auf Erden. Anfangs überzeugt, den richtigen Weg zu gehen, relativiert sich die Hoffnung der jungen Frau, wenn die Bedrohung immer realistischer wird und ihrer Familie näherkommt.

„Never Knowing – Endlose Angst“ entwickelt ein dauerhaftes Spannungsniveau. Als Leser hofft, und bangt man auf jeder Seite mit der Protagonistin und nicht nur einmal wird man sich fragen: Ist dieser Weg – denn nur der einzig Richtige und wie würde ich mich in diesem Fall verhalten? All das kann man nicht abschließend beantworten, aber was bleibt und überzeugt, ist, dass das Buch ein psychologisch ausgefeilter Thriller ist, der lange in den Köpfen verweilen wird.

Die Frage, ob Sara nun wirklich die Tochter des Campsite-Killers ist und vor allem, warum dieser nach all den Jahren noch immer mordend durch das Land tourt, wird natürlich aufgelöst. Neben den Protagonisten sind die Emotionen, die diese durchleben, eine weitere und sehr tragende Säule. Interessant auch zu sehen, dass der Killer sehr menschlich dargestellt wird, sich aber dabei dann doch die Frage stellt, ob dieser es ernst meint, wenn er sich um seine Tochter und seine Enkelin sorgt.

Dieser Roman überzeugt durch das psychologische und erzählerische Geschick der Autorin und erreicht den Leser nicht über Verfolgungsjagden oder wilde Schusswechsel. Das würde auch dem Gesamtbild überhaupt nicht entsprechen.

Einziges Manko ist eventuell für den einen oder anderen das Ende – der Showdown, der im Grunde den Bogen etwas überspannt. Doch das mindert nicht das Lesevergnügen, die Spannung, die die Autorin so vorbildlich und professionell in Szene zu setzen weiß. Ein weiterer Schwachpunkt und auch damit der Letzte, ist, dass man vom Campsite-Killer nicht wirklich viel erfährt. Auch die Rolle der leiblichen Mutter hätte größer ausfallen können, sie bleibt leider immer ein wenig im Hintergrund.

_Fazit_

„Never Knowing – Endlose Angst“ ist ein Blitzlicht im Genre „Thriller“. Ein brillanter Thriller, der durch psychologische Konflikte und Beziehungen überzeugt und dadurch nicht übertreibt.

Der Roman ist der Zweite der Autorin Chevy Stevens und ein in sich abgeschlossener. Es ist nicht davon auszugehen, dass es hier eine Fortsetzung geben wird. Ein hervorragender Psychothriller der Autorin und absolut empfehlenswert.

_Autorin_

Chevy Stevens ist auf einer Ranch auf Vancouver Island aufgewachsen. Sie arbeitete einige Jahre als Immobilienmaklerin und kam während der einsamen Wartezeiten bei Open-House-Besichtigungen auf die Idee zu ihrem ersten Thriller „Still Missing – Kein Entkommen“. Der Roman wurde sofort zu einem internationalen Bestseller; auch ihr zweiter Thriller „Never Knowing – Endlose Angst“ erscheint weltweit in über 20 Sprachen. Die Autorin lebt mit ihrem Mann auf Vancouver Island vor der kanadischen Westküste.

|Broschiert: 496 Seiten
ISBN-13: 978-3596192748
Originaltitel: Never Knowing|
[www.fischerverlage.de]http://www.fischerverlage.de

_Chevy Stevens bei |Buchwurm.info|:_
[„Still missing – Kein Entkommen“ (Lesung)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6927
[„Never knowing – Endlose Angst“ (Lesung)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7389

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