Stevenson, D. E. – Stich ins Wespennest

Es gibt Bücher, die waren zu ihrer Zeit durchaus erfolgreich, und trotzdem verschwanden sie aus dem ein oder anderen Grund in der Versenkung. „Stich ins Wespennest“ von D. E. Stevenson ist so ein Fall – 1934 erstmals in England veröffentlicht, sind wohl weder Titel noch Autor dem heutigen Leser ein Begriff. D. E. Stevenson hieß eigentlich Dorothy Emily und der berühmte Louis Stevenson war ein Cousin ihres Vaters. Das Schreiben war ihr also quasi in die Wiege gelegt. In über 40 Romanen hat sie von ihrem Talent Gebrauch gemacht. Nun hat sich der |Manhattan|-Verlag vorgenommen, den Namen der Autorin auch in Deutschland wieder in das Bewusstsein der Leser zu rücken. Und tatsächlich ist es schwer, sich dem Charme von „Stich ins Wespennest“ zu verschließen.

_Der Roman spielt irgendwann_ in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Schauplatz ist ein beschauliches Dorf im Süden Englands. Silverstream ist sozusagen die Blaupause für jede Art menschlichen Zusammenlebens: Es gibt die herrische Furie, die versucht, jegliches gesellschaftliches Leben an sich zu reißen. Es gibt einen alten Junggesellen, sogar ein lesbisches Pärchen. Es gibt Apfelbäume in Vorgärten und Katzen, die sich auf Kaminvorlegern zusammenrollen. Und es gibt Barbara Buncle. Miss Buncle und ihr Hausmädchen Dorcas leben in einem kleinen Cottage von einer jährlichen Dividende, die auf ihr Erbe anfällt. Doch die Weltwirtschaftskrise hat diese lebenswichtige Dividende beunruhigend zusammenschrumpfen lassen. Gemeinsam überlegen Miss Buncle und Dorcas nun, wie man zu Geld kommen könnte. Hühnerhaltung wird sofort verworfen. In Ermangelung jeglicher anderer Ideen wird beschlossen, dass Miss Buncle ein Buch schreibt.

Schon hier wird Miss Buncles Naivität deutlich: Denn wer würde je denken, mit einem Buch Geld verdienen zu können? Darüber hinaus geht Miss Buncle jegliche Fantasie ab, weswegen sie über das schreibt, was sie kennt: Silverstream und dessen Bewohner. Sowohl der Ort als auch die Charaktere werden zwar umbenannt, doch verfremdet werden sie kaum. Als „Der Störenfried“ tatsächlich einen Verleger findet und die Dorfbewohner schließlich auf das Buch stoßen, ist der Aufruhr verständlicherweise groß. Denn Miss Buncle hat zwar keine Fantasie, aber sie ist eine ungemein genaue Beobachterin: Den Einwohnern von Silverstream wird damit ungefragt der Spiegel vorgehalten, und nicht allen gefällt, was sie darin sehen. Da Miss Buncle unter Pseudonym veröffentlicht hat, wird daraufhin wild spekuliert, wer in ihrer Mitte ein solches „Machwerk“ verfasst haben könnte. Von Klage ist die Rede und von Einschüchterungsversuchen. Doch „Der Störenfried“ verkauft sich außerordentlich gut und Miss Buncles Verleger drängt sie, eine Fortsetzung zu schreiben.

_“Stich ins Wespennest“ ist kein großes Buch._ Es ist weder wichtig noch bahnbrechend. Doch es ist charmant, unterhaltsam, komisch und mit sicherem Auge komponiert. Kurz: Die Lektüre macht einfach Spaß, denn „Stich ins Wespennest“ will nichts anderes als den Leser intelligent zu unterhalten. Der Roman möchte gute Laune verbreiten. Man fühlt sich in Silverstream sofort zu Hause – und wenn die Figuren auch fiktiv sind, so kennen wir doch alle eine Miss Buncle, einen Colonel Waterfoot und eine Mrs Weatherstone Hogg. Die Personen sind aus dem Leben gegriffen, und genau deshalb ist es auch so leicht, sich sofort häuslich in „Stich ins Wespennest“ einzurichten.

Barbara Buncle selbst ist ein Herzchen – unglaublich naiv und immer bereit, das Gute im Menschen zu sehen. Nach der Lektüre des Manuskripts kommt Miss Buncles Verleger zu dem Schluss: „Vielmehr war der Autor ein sehr kluger Mensch, der das Buch in ironischer Absicht geschrieben hatte, oder ein sehr schlichter Mensch, der es in gutem Glauben verfasst hatte.“ Letzteres trifft wohl den Nagel auf den Kopf, denn Miss Buncle ist schier überwältigt sowohl von dem Erfolg ihres Buchs als auch von den Reaktionen darauf. In ihrer Gutgläubigkeit hätte sie nie mit so viel aufwallender Feindschaft gerechnet! Doch D. E. Stevenson lässt nie einen Zweifel daran, dass sie einen leichtfüßigen Unterhaltungsroman geschrieben hat. Und so muss der Leser nie Ängste ausstehen: Selbst, wenn die Dorfbewohner fast schon zur Lynchjustiz greifen, um den unbekannten Autor ausfindig zu machen, weiß man als Leser immer, dass alles gut ausgehen wird. Und das ist dann auch so: Barbara Buncle findet die Liebe (oder eher: die Liebe findet sie) und mit ihrem selbst verdienten Geld kann sie das dörfliche Silverstream verlassen und ein neues Leben beginnen.

D. E. Stevenson war mit „Stich ins Wespennest“ ähnlich erfolgreich wie Barbara Buncle mit dem fiktiven „Störenfried“. Und so gibt es auch zu „Stich ins Wespennest“ eine Fortsetzung. Hoffen wir, dass der |Manhattan|-Verlag sich auch „Miss Buncle Married“ vornehmen wird!

|Gebunden: 352 Seiten
Originaltitel: Miss Buncle’s Book
Übersetzung: Thomas Stegers
ISBN-13: 978-3442546879|
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