Stroud, Jonathan – Spur ins Schattenland, Die

_Die Grenzen von Fantasie und Realität_

Als Charlie mit ihrem Freund Max eine Radtour an den Mühlteich unternimmt, geschieht etwas Schreckliches: Max, der auf einen Baum über dem Mühlteich geklettert ist, fällt ins Wasser und wird von Wesen mit grünen Haaren, die wie Wassernixen, in die Tiefe gezogen. Charlie versucht, ihren Freund zu retten, bekommt aber bald keine Luft mehr und muss aufgeben.

Wegen eines Lungenschadens kommt Charlie ins Krankenhaus. Dort versucht sie ihrer Mutter, ihrem Bruder James und den Ärzten zu erklären, was vorgefallen ist. Da diese ihr ihre Geschichte aber nicht glauben und denken, Charlie hätte wegen des Todes ihres Freundes und des traumatischen Erlebnisses, selbst beinahe zu ertrinken, Halluzinationen, hüllt sich Charlie fortan in Schweigen. Die anderen glauben, Max wäre in dem Mühlteich ertrunken, doch Charlie weiß es besser: Die seltsamen Wassernixen mit den grünen Haaren haben ihren Freund Max in eine andere Welt, ins Schattenland, entführt, und nur Charlie vermag es, ihren Freund zu retten und wieder in die ‚richtige‘ Welt zurückzuholen.

Als sie wieder zu Hause ist, besucht sie nachts in ihren Träumen einen Ort, von dem sie glaubt, dass sich Max dort aufhält. Jede Nacht sucht sie ihn dort, bis sie auf einen jungen Mann namens Kit trifft, der ihr einiges erklärt: Max habe großes Glück, hier sein zu dürfen, und er befinde sich auf einer langen Wanderschaft. Auf der Wanderschaft zur Großen Kirmes, wo er sich dem Großen Tanz anschließen möchte und dadurch komplett in die Welt des Schattenlandes abtauchen und seine ganze Vergangenheit damit vergessen wird.

Doch Charlie gibt nicht auf. Sie versucht, Max zu folgen, was beinahe unmöglich ist, da Max einen immer größeren Vorsprung gewinnt, da er auch tagsüber weiterläuft. Kit versucht ihr auf ihrer Suche zu helfen und gibt ihr den Tipp, auch tagsüber Orte zu besuchen, die Max früher gerne aufgesucht hat. Und tatsächlich: An bestimmten Orten fühlt sie sich Max nahe und kommt ihm immer näher. Doch sie muss sich beeilen, denn die Große Kirmes findet schon bald statt …

Während Charlie verbissen versucht, Max zu finden, machen sich ihre Mutter und ihr Bruder James immer mehr Sorgen um sie. Sie verstehen ihr Verhalten nicht und glauben, dass Charlie nicht wahrhaben will, dass Max tot ist. Als James, der sich besonders um seine kleine Schwester kümmert, dann Charlies Traumtagebuch liest und diese ein immer seltsameres Verhalten an den Tag legt, merkt er, dass irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Und bis er erkennt, was los ist, ist es schon beinahe zu spät …

_In „Die Spur ins Schattenland“_ vermischen sich Realität und Fantasie zusehends. Anfangs wird beides noch stark getrennt und der Leser glaubt, dass Charlie Recht hat und Max wirklich in ein anderes Reich entführt wurde, doch je weiter die Geschichte voranschreitet und sich dem Ende zuneigt, desto mehr beginnt man daran zu zweifeln und glaubt, Charlie hätte sich das aufgrund ihres Traumas vielleicht doch alles nur eingebildet. Sie versucht immer verbissener, Max zu finden und wieder in die richtige Welt zu führen, und dadurch wird dem Leser klar, wie sehr Charlie an ihrem Freund Max doch hängt. Bildet sie sich das also alles nur ein, weil sie die Tatsache, dass ihr Freund Max tot ist, nicht verkraften kann, oder hat Charlie Recht und es gibt wirklich ein Reich namens Schattenland, wohin Max entführt wurde?

Realität und Fantasie verschwimmen nicht nur indirekt, denn während des Verlaufes der Geschichte gelingt es Wesen aus der anderen Welt, in die reale Welt hinüberzusteigen, und zum Ende hin verschwimmen die beiden Wirklichkeiten ganz und gar, sodass Charlie beide Existenzen zugleich durchläuft. Sie sieht beide Ebenen gleichzeitig, für sie sind die beiden eins. Sie wird immer mehr vom Schattenland beeinflusst und wandelt irgendwann nur noch somnambul durch die Gegend.

Ganz verbissen versucht sie, Max zu finden, und gibt nicht auf. Dabei bemüht sie sich anfangs noch, auf ihre Familie und ihr Umfeld einen normalen Eindruck zu machen, was ihr allerdings bald nicht mehr gelingt. Vor allem ihrem Bruder kann sie nichts vormachen, und er versucht, hinter Charlies Geheimnis zu gelangen. Er merkt, wie Charlie immer seltsamer wird, und macht sich zunehmend Sorgen um sie.

Das Buch scheint auf den ersten Blick nichts allzu Besonderes zu erzählen und hat auch von der Handlung her nicht wirklich etwas Spannendes oder Neues zu bieten. Die ganze Geschichte lebt eigentlich ausschließlich von den Charakteren und der Frage, ob Max wirklich in eine andere Welt entführt wurde oder ob Charlie sich das bloß einbildet. Vor allem am Schluss spitzt sich diese Situation zu und der Leser kann nicht mehr genau sagen, wer jetzt gut oder böse, was richtig oder falsch ist.

Die Charaktere sind allesamt sehr glaubwürdig und tiefgründig geraten, vor allem Charlie, die in James‘ Augen seit dem „Tod“ von Max in einer völlig anderen Welt zu leben scheint und sich immer noch seltsamer verhält. Charlies Mutter hingegen scheint nicht recht zu wissen, wie sie mit ihr umgehen soll. Sie hatte schon vor Max‘ Tod kein gutes Verhältnis zu ihrer Tochter und pendelt zwischen Sorge und dem Glauben, dass mit ihrer Tochter alles wieder in Ordnung ist. Eigentlich hat sie ihr eigenes Leben, das sie nicht vernachlässigen will, aber man merkt, dass sie dennoch versucht, für ihre Tochter da zu sein. Zu guter Letzt wäre da noch Kit. Er wirkt sehr freundlich und scheint Charlie helfen zu wollen. Dennoch hat man immer wieder das Gefühl, dass Kit auch irgendetwas im Schilde führt …

Ein paar Handlungsstränge werden angedeutet, jedoch nicht so recht zu einem Ende geführt. Einmal bietet Kit Charlie eine Beere im Schattenland an, die angeblich ihr tiefstes Begehren erfüllen soll. Jedoch wird Charlie kurz davor geweckt und damit aus der Schattenwelt in die Realität gerissen. Die Beere wird danach nie wieder erwähnt. Man erfährt nicht wirklich, warum Kit ihr die Beere anbietet, und fragt sich im Nachhinein, warum die Passage in dem Buch überhaupt vorhanden ist …

Der Schreibstil ist stets in Ich-Form gehalten, und zwar immer abwechselnd aus Charlies Sicht und aus der ihres Bruders James. Man erfährt immer, wie Charlie und andererseits James ein und dieselbe Situation erleben. Das passt sehr gut zur Erzählung, da es sehr wichtig ist, die Situation aus verschiedenen Sichten wahrzunehmen. Erst dadurch verschwimmen die beiden Welten zum Ende hin komplett ineinander und man ist sich nicht sicher, was nun Fantasie und was Wirklichkeit ist. Die ganze Zeit über wird dabei, wie zumeist üblich, in der Vergangenheit erzählt, nur die Tagebucheinträge von Charlie sind im Präsens gehalten.

_Fazit:_ „Die Spur ins Schattenland“ von Jonathan Stroud ist ein gelungenes und angenehm zu lesendes Buch. Es ist tiefgründig und ein wenig nachdenklich. Allerdings hat das Buch mich nicht wirklich zu fesseln vermocht und bietet, was die Story angeht, nicht wirklich viel Bemerkenswertes.

_Jonathan Stroud_ wurde 1970 in Bedford, England geboren. Jetzt wohnt er mit seiner Frau Gina, die Grafikerin und Illustratorin für Kinderbücher ist, und der gemeinsamen Tochter Isabelle in St. Albans. Seid er sieben Jahre alt war, schrieb er eigene Geschichten. Es war schon immer sein Wunsch, Jugend- und Fantasybücher zu verfassen. Nach einem Studium machte er Karriere in einem Verlag und war dort Herausgeber von Sach- und Spielbüchern für Kinder. Danach hat er sich das Schreiben von eigenen Romanen zu seinem Beruf gemacht. Seinen großen Durchbruch schaffte er mit der „Bartimäus“-Trilogie, die von einem sarkastischen, oft schlecht gelaunten Dämon handelt. Danach folgten die Romane „Die Eisfestung“ und „Drachenglut“, die allerdings nicht ganz an den Erfolg von „Bartimäus“ anknüpfen konnten.

|Originaltitel: The Leap
Originalverlag: Random House UK
Aus dem Amerikanischen von Bernadette Ott
Taschenbuch, 320 Seiten
Empfohlen ab 11 Jahren|
http://www.omnisbus-verlag.de

_Jonathan Stroud auf |Buchwurm.info|:_
[„Bartimäus – Das Amulett von Samarkand“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=353
[„Bartimäus – Das Auge des Golem“ 1861 (Lesung)
[„Drachenglut“ 3381
[„Die Eisfestung“ 3513

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