James A. Sullivan – Der letzte Steinmagier

Chaos herrscht im Kaiserreich, nachdem in der Schlacht von Wuchao alle Steinmagier ums Leben gekommen sind. Alle, bis auf einen: Wurishi Yu, der von seinem Meister absichtlich zurückgelassen worden ist, um als letzter die Tradition und die Magie seiner Zunft zu bewahren. Und um eine Schuld zu begleichen. Denn einst wurde die Kaiserin von einem abtrünnigen Steinmagier in eine Statue verwandelt und nur ihre Erlösung kann die Finsternis, die seitdem über das Reich hereingebrochen ist, vertreiben.
Mit dem Erbe seines Meisters, einer kostbaren Schriftrolle, macht sich Yu an die schier unlösbare Aufgabe, wird aber schon bald von dem machthungrigen Fürsten Dayku Quan verfolgt, der sich in den Besitz des Geheimnisses der ewigen Jugend bringen will. Doch dann erhält Yu unerwartet Hilfe. (Verlagsinfo)

Handlung
Im Kaiserreich Niwaen-ju herrscht das Chaos. Machthungrige Fürsten streben nach dem verwaisten Thron der letzten Kaiserin, Irishi Chan. Diese und ihr ungeborener Sohn wurden von dem abtrünnigen Steinmagier She-bi in eine Statue verwandelt. Geschützt von einer Armee aus magischen steinernen Kriegern, ruht sie in ihrem Thronsaal in Irishien. Leider lassen die lebenden Statuen niemanden an die Kaiserin heran, vor allem keine Steinmagier, die Einzigen, die den Zauber vielleicht umkehren könnten, und so haben die Kriegsherren freie Hand.

Zwar besitzt keiner der Kriegsherren die kaiserlichen Insignien oder das Mandat des Himmels, aber die Armeen des unsterblichen Dayku Quan sind in der Schlacht von Wuchao siegreich: Nicht nur gelingt es ihm, die Armee seines ärgsten Widersachers Hujio Jin zu schlagen, in der Schlacht werden auch alle Steinmagier Niwaen-jus getötet. Bis auf einen: Meister Wurishi Lu Neju hat in weiser Voraussicht seinen Schüler Yu zurückgelassen, dem er eine Schriftrolle mit den Geheimnissen der Steinmagier anvertraut hat.

Hilflos muss Wurishi Yu aus sicherer Entfernungen in der Halle der Unsterblichen mit ansehen, wie eine Steinmagier-Statue nach der anderen zerspringt und von ihrem Tod kündet. Denn das ewige Leben der unsterblichen Krieger und Magier Niwaen-jus ist an ihre Steinstatuen gebunden, aus denen sie auch Teile ihrer Macht beziehen. So können verzauberte Edelsteine in der Statue eines Kriegers beispielsweise übermenschliche Stärke oder Geschwindigkeit verleihen. Wurishi Yu muss aus Hujio fliehen, Dayku Quan hat bereits seinen Zauberer Furleng Xi und den Krieger Gling We auf ihn angesetzt, die ihm den letzten Wurishi (gleich Steinmagier) und sein Erbe bringen sollen. Grundsätzlich reicht aber auch die Schriftfrolle, sollte Yu nicht willig sein …

Der Autor

James A. Sullivan wurde am 14.02.1974 in West Point (New York) geboren, wuchs aber in Kerpen im Rheinland auf. Er studierte in Köln Anglistik, Germanistik und Allgemeine Sprachwissenschaft (Magister Artium). Er beschäftigte sich vor allem mit Erzähltheorie, interaktiver Narration, lexikalischer Semantik und mediävistischen Themen wie Artusepik und Wolfram von Eschenbach.

Bekannt wurde Sullivan als Co-Autor von Bernhard Hennens Bestseller [„Die Elfen“, 2169 bei dem er vor allem für die Figuren Noroelle und Nuramon sowie Zwischenkapitel verantwortlich war, Hennen kümmerte sich um Mandred und Farodin. Beide hatten in etwa die gleiche Last zu tragen, wobei sich Sullivan zu dieser Zeit zudem auf seine Magisterprüfung vorbereiten musste. Allerdings profitierte vor allem Bernhard Hennen vom Erfolg der „Elfen“, während Sullivan erst lange von der Verlagswelt ignoriert wurde, bis sich |Mira Taschenbuch| für „Der letzte Steinmagier“ interessierte.

Ein Grund dafür mag das exotische asiatische Setting sein – in der Zeit der „Elfen“ und „Orks“ und der Nachwehen der „Herr der Ringe“-Verfilmung boomten „Völker“-Romane. Letzten Endes entscheidet der Absatz und somit der Leser, und der Klassiker Schokopudding wird eben immer noch am liebsten gegessen, trotz aller Rufe nach Innovation. Doch auch Himbeerpudding mit Vanillesoße schmeckt sehr lecker, denn gar zu exotisch und fremdartig, um bekömmlich zu sein, ist Sullivans Niwaen-ju sicher nicht: Er baut seine Geschichten auf der bekannten europäischen Rezeption fernöstlicher Genres auf – die Armee der Terrakotta-Krieger, Manga, Anime, das als „Eastern“ bekannte Filmgenre und andere asiatische Filme und deren Ästhetik sind nahezu jedermann ein Begriff.

Werke

Agelstern (Kurzgeschichte), in: Wolfgang Hohlbein (Hg.), Nächtliche Begegnung, 2003, Heyne Verlag (München), ISBN 3-453-86488-3
Die Elfen (mit Bernhard Hennen), 2004, Heyne Verlag (München), ISBN 3-453-53001-2
Der letzte Steinmagier, Januar 2008, Mira Taschenbuch (Hamburg), ISBN 978-3-89941-428-8
Nuramon: Ein Elfen-Roman, 2013, Heyne Verlag (München), ISBN 3-453-52994-4
Chrysaor, 2016, Piper (München), ISBN 978-3-492-70403-8
Die Granden von Pandaros, 2017, Piper (München), ISBN 978-3-492-70418-2
Die Stadt der Symbionten, 2019, Piper (München), ISBN 978-3-492-70419-9
Die letzte Heimkehr (Kurzgeschichte), in: Așkın Hayat Doğan & Patricia Eckermann (Hg.); Urban Fantasy going: going intersectional, 2021, Ach je Verlag (Berlin), ISBN 978-3-947720-63-7
Das Erbe der Elfenmagierin (Die Chroniken von Beskadur 1), 2021, Piper (München), ISBN 978-3-492-70671-1
Das Orakel in der Fremde (Die Chroniken von Beskadur 2), 2022, Piper (München), ISBN 978-3-492-70672-8
(Quelle: Wikipedia.de)

Erbe der Wurishi und Retter des Kaiserreichs

Yus Meister hat seinem Schüler eine schwere Bürde auferlegt. Nicht nur das Erbe der Steinmagier muss er bewahren, er ist auch der letzte und einzige von ihnen, der die Kaiserin befreien und die Ordnung wiederherstellen könnte. Somit lastet auch das Schicksal Niwaen-jus auf seinen Schultern, denn unter Dayku Quan würde es zu einer Schreckensherrschaft kommen.

Yu wandelt sich im Laufe seiner Queste. Am Anfang nimmt er sich als noch nicht unsterblicher Magierlehrling recht bescheiden aus neben seinen Begleitern, die er zu Beginn vor den vorrückenden Armeen Dayku Quans rettet: Jhutsun Li und Okalang Shi sind zwei unsterbliche Seelenbrüder, deren Leben vor langer Zeit miteinander verbunden wurden. Stirbt einer der beiden, stirbt auch der andere, deshalb sind sie stets bereit, ihr Leben für den jeweils anderen zu riskieren. Allerdings haben sie im Laufe der Jahrhunderte ein inniges Freundschaftsverhältnis zueinander aufgebaut, das auch ohne diese Bindung funktionieren würde. Sie können viele unglaubliche Geschichten erzählen, bei denen der behütet aufgewachsene Yu mit seinen zwanzig Jahren einfach passen muss. Auch der edle Dieb und Räuber Sankou Yan hat schon viel erlebt und noch mehr gestohlen. Einer seiner dreistesten Fischzüge brachte ihn für zehn Jahre hinter Gitter, und so ist er Yu für seine Befreiung unendlich dankbar, denn auch er ist nicht unsterblich. Später wird noch eine weitere Person dazustoßen, die vorerst als „Schatten“ Yu stets zu Hilfe eilt.

Bei den Verfolgern gibt sich der finstere Dayku Quan leider eher bedeckt, der Leser erlebt nur seine Zornesausbrüche aus der Sicht Gling Wes, wenn seine Untergebenen wieder einmal versagt haben und ihnen der Wurishi entwischt ist. Andere Fürsten und ihre Motive bleiben ebenfalls im Hintergrund. Gling We ist der einzige „Bösewicht“, aus dessen Sicht die Handlung geschildert wird. Yus Gefährten erhalten in der Mitte des Romans, während Yu in einer sicheren Herberge seine Kenntnisse der Steinmagie verbessert, die Gelegenheit, ihre eigenen kleinen Abenteuer zu erleben. Gling We ist der treueste Diener Dayku Quans, obwohl seine Seelenstatue sicher im unzugänglichen Palast von Irishien steht und dieser keine Macht über ihn hat. Seine Lehenstreue aus freien Stücken hat ihm den Respekt Dayku Quans eingebracht; falls es jemanden gibt, dem er vertraut, so ist es Gling We. Dieser trägt übrigens eine grüne Holz- oder Tuchrüstung, eine kleine Anspielung auf die mittelenglische Ritterromanze [„Sir Gawain und der Grüne Ritter“. 479 Diese Anspielung auf die Artusepik demonstriert trefflich Gling Wes Dilemma: Sein höchster Wert ist die Treue zu seinem Herrn, dieser ist jedoch ein schlechter Herr, und Gling We ist sich dessen bewusst.

Nachdem Yu der Verfolgung durch Dayku Quan entkommen ist, kommt es zu einer Art „Zwischeneinkehr“ in einer Handelsstadt. Hier können Li und Shi einem amüsanten Liebesabenteuer frönen, während Sankou Yan als eine Art Robin Hood seinen Diebesabenteuern nachgehen kann – natürlich beklaut er nur einen widerwärtigen Geldsack und keine armen Schlucker, das wäre gegen seinen Ehrenkodex. Diese Pause im Handlungsablauf, in der seine Nebencharaktere zum Zug kommen, erwähnt der Autor explizit in seinem Interview mit |Phantastik-Couch|: „Und wem die Gawan-Bücher in Wolframs ‚Parzival‘ bekannt sind, der erkennt vielleicht Parallelen zum Mittelteil meines Romans. Denn ich nehme dort die Hauptfigur für eine Weile aus dem Fokus und lasse die Nebenfiguren in den Vordergrund treten. Das alles zeigt, dass die Einflüsse von überall kommen können, und was asiatisch erscheint, kann manchmal europäischer sein, als man glaubt.“

Danach geht es mit dem etwas schwächelnden Finale weiter. Die Befreiung der Kaiserin ist leider nur wenig spannend umgesetzt. Hier fiel mir eine allgemeine Schwäche des Romans auf: Bei aller Exotik und Sullivans Talent für ansprechende Charaktere – insbesondere Sankou Yan merkt man die Liebe des Autors an -, an bösen Gegenspielern mit Format mangelt es leider. Selbst wenn man Gling We als differenziert dargestellten Antagonisten betrachtet, fehlt hier einfach der Feind, den man hassen oder fürchten kann. Von der intensiven Abneigung, die ich gegenüber dem Haus Lannister und insbesondere Jaime Lannister in George R. R. Martins [„Die Herren von Winterfell“ 3637 verspürte, ist hier nicht im Geringsten etwas zu spüren, der Fokus liegt auf unseren lieben Helden, die Gegenseite wirkt wenig bedrohlich und etwas unterentwickelt im Vergleich.

Interessante und sympathische Helden hingegen hat der Roman zuhauf. Mit Li/Shi und Sankou Yan hat der Autor vielversprechende Charaktere für mögliche Fortsetzungen aufgebaut. Mit asiatischen Fabelwesen hat sich der Autor zurückgehalten, kein einziges taucht bislang auf, wobei zumindest Drachen erwähnt werden, die vor Urzeiten den ersten Steinmagiern ihre Geheimnisse verrieten. Dafür gibt es eine geballte Ladung Magie. Von Heilzaubern bis zu Kampfzaubern, meistens basierend auf verstärkenden Steinen – darum auch ‚Steinmagie‘ – wird einiges aufgeboten. Ebenso gibt es zahllose Unsterbliche, Magie ist allgegenwärtig und wird detailliert in Anwendung und Wirkung geschildert. Sullivan versteht es jedoch, sich meistens zurückzuhalten. Leider nicht immer, einige Male macht es die Magie einfach zu leicht. Zum Glück zaubert fast nur Yu; die Fähigkeiten vieler Krieger oder Magier sind meist auf einige Spezialitäten beschränkt. Insofern hoffe ich fast, dass im Falle einer Fortsetzung eher Sankou Yan oder Gling We zum Zuge kommen; bei dem guten Yu droht einfach immer die Gefahr einer unbefriedigenden magischen Lösung in Deus-ex-Machina-Manier.

Fazit

„Der letzte Steinmagier“ überzeugt mit seinem leicht exotischen und dennoch zugänglichen Setting und sympathischen Charakteren. Den Hauch der Exotik des „etwas anderen“ Elfen Nuramon vermisse ich jedoch bei Wurishi Yu, der mir einfach zu schnell zum Meister heranwächst. Schade! Auch bei den Antagonisten schwächelt der Roman; der Charakter Gling We ist gut gelungen, hätte aber noch viel mehr Potenzial gehabt, ebenso Kriegsherr Dayku Quan. Doch insgesamt hat James A. Sullivan mit Sankou Yan und vielen anderen Charakteren, sowie dem stark an das Kaiserreich China erinnernden Niwaen-ju eine faszinierende Romanwelt geschaffen, in die ich gerne wieder eintauchen würde.

Taschenbuch: 604 Seiten
ISBN-13: 978-3899414288