Sylvain, Dominique – Letzte Show

Das Duo Infernale, das bereits in [„Die Schöne der Nacht“ 3246 das Pariser Kriminellenleben unsicher gemacht hat, ermittelt erneut. Dominique Sylvains Debütkrimi konnte auf ganzer Linie überzeugen, was vor allem dem genialen Ermittlerduo – bestehend aus der pensionierten Kriminalkommissarin Lola Jost, die ihre Nase einfach überall reinstecken muss, und der Masseurin und Stripperin Ingrid Diesel – geschuldet war, die sich einfach herrlich ergänzten und wunderbare Eigenarten offenbarten. Umso gespannter und erwartungsfroher war ich nun, als ich Sylvains zweiten Krimi aufgeschlug.

_Ein letzter Tanz_

Alice Bonin ist eine geniale Tänzerin, wenn auch nur eine durchschnittliche Schauspielerin. Ihr Geld verdient sie sich als Britney-Spears-Double, und ihr jüngster Auftrag führt sie in den Hochhausturm des Astor Maillot Luxushotels. Noch ahnt sie nicht, dass sie bald für Schlagzeilen sorgen wird, und zwar durch ihren Sturz aus dem 34. Stock, der live auf Video gebannt wird. Nichts deutet auf einen Mord, doch warum sollte sich die junge Frau das Leben nehmen? Das fragt sich auch Lola Jost recht bald, die zudem mit Alices Vater befreundet ist und ihm daher diesen Freundschaftsdienst tut und ihre eigenen Ermittlungen anstellt. Das geht natürlich nicht ohne ihre Freundin Ingrid, die nach wie vor als Stripperin des Nachts für Aufsehen sorgt.

Die Ermittlungen führen die beiden in hohe Kreise der Pariser Gesellschaft. Die beiden scheuen sich wieder einmal nicht, sich auch mit mächtigen Personen anzulegen, und so ist Ingrid Diesel auch bald ihren nächtlichen Job los, da sie den falschen Herren auf den Schlips getreten ist. Ein Tatverdächtiger ist Alices Exfreund Diego, dem sie immer noch hinterhertrauerte und der als Krankenpfleger seine Brötchen verdient. Der rassige Südländer fällt auch Ingrid gleich ins Auge, sodass sie gut nachvollziehen kann, dass Alice ihn nicht vergessen konnte. Doch die Dinge sind kompliziert, erst recht, als Ingrid eines Tages in ihrem Kühlschrank eine Hand findet, die von einem dicken Nagel durchbohrt wurde. Alle Spuren führen in genau jenes Krankenhaus, in dem Diego arbeitet. Aber was soll die Hand im Kühlschrank bezwecken und wer hat sie dorthin gelegt? Fragen über Fragen, die sich zu denen gesellen, die Lola und Ingrid sich bereits über Alice stellen.

Neben Alices Exfreund befragen die beiden wagemutigen Frauen natürlich auch Alices ehemaligen Kolleginnen und Chefs, doch nirgends findet sich eine heiße Spur. Bald darauf erwachen Ingrid und Lola gefesselt und wehrlos in einem kargen Raum. Eine mysteriöse Stimme spricht zu ihnen und befragt sie nach Alices Auftraggebern. Zwei Männer haben sie entführt und quälen sie nun mit Elektroschocks, um die beiden Frauen zum Reden zu bringen. Doch so leicht geht das bei ihnen natürlich nicht! Mit einer schauspielerischen Meisterleistung gelingt es Ingrid, sich zu befreien und gemeinsam mit Lola die beiden Männer in Schach zu halten. Einer der Entführer ist schnell identifiziert, und seine Identität führt die beiden Ermittlerinnen endlich auf die richtige Spur. Lola und Ingrid sind schockiert, als sie erkennen, mit welchen Kreisen sich Alice angelegt hat, sodass sie mit ihrem Leben zahlen musste …

_Abgestürzt?_

Endlich versorgt uns Dominique Sylvain mit spannendem Kriminachschub. Wie hatte ich mich auf das Wiedersehen mit dem unvergleichlichen Ermittlerduo Lola Jost und Ingrid Diesel gefreut! Kaum könnten zwei Frauen unterschiedlicher sein als diese beiden. Während Lola eher ein paar Pfunde zu viel durch die Lande schleppt, ist Ingrid durchtrainiert bis zum kleinen Zeh, denn sonst könnte sie schlecht als Stripperin arbeiten. Offiziell fungiert sie weiterhin als Masseuse, doch ihre eigentliche Leidenschaft lebt sie als Gabriella Tiger des Nachts aus. Um Lola Jost nach ihrer Pensionierung wieder zum Ermitteln zu bringen, braucht es nur wenig Überredungskunst. Ihr Sohn und die Enkel leben im fernen Japan, und sie vertraut ohnehin nicht wirklich auf die ermittlerischen Fähigkeiten ihres Nachfolgers, und tatsächlich findet die Polizei im Hotelzimmer Alice Bonins keinerlei Hinweise auf einen Mord. Ganz im Gegenteil, die Badewanne ist voller Wasser, auf dem unzählige Blüten schwimmen, alles sieht nach einem romantischen Szenario aus. Aber Lola Jost nimmt das lieber selbst in die Hand und wird am Ende selbstverständlich triumphieren und die wahren Täter an den Pranger stellen.

Getragen wird „Letzte Show“ wieder einmal von Lola und Ingrid. Die beiden ergänzen sich einfach hervorragend. Mit unglaublicher Penetranz befragen sie die verdächtigen Leute und lassen sich auch wirklich nicht eher abwimmeln, bis sie die gewünschten Informationen erhalten haben. Nichts kann sie abschrecken, nichts von ihren Ermittlungen abbringen, auch nicht die Entführung und die Tatsache, dass anschließend nicht nur sämtliche Klamotten und Papiere verschwunden sind, sondern dass darüber hinaus auch noch alle ihre Konten gesperrt wurden. Als sie die Wohnung eines betuchten Verdächtigen durchsuchen und einen gut sortierten Weinschrank entdecken, beschließen die beiden – ganz à la Robin Hood -, den kostbaren Wein mitgehen zu lassen und an bedürftige Menschen zu verteilen. Und natürlich wird diese Idee auch in die Tat umgesetzt. Einzig Ingrids permanente englische Flüche nerven auf die Dauer etwas, ebenso wie die Tatsache, dass Ingrids „Deutsch“ (im Original natürlich Französisch) nicht perfekt ist und Lola sie daher ein ums andere Mal korrigiert. Da kann man nur hoffen, dass sie ihre Sprachkenntnisse für die weiteren Fälle auffrischt und solche Ärgernisse dann nicht mehr auftreten.

_Undurchsichtig_

Natürlich ist es von Anfang an klar, dass Alice Bonin keinen Selbstmord begangen hat, sonst gäbe es ja schließlich auch keinen Fall zu lösen, doch wie verwickelt am Ende wirklich alles gewesen ist, ahnt der Leser selbstverständlich noch nicht. Lange dauert es, bis Lola und Ingrid für uns alles entwirren und uns Schritt für Schritt der Lösung des Falls näherbringen. Was sie dabei zutage fördern, hätte der Leser nicht selbst erraten können, zu unklar sind die Zusammenhänge, zu vage Sylvains Andeutungen. Was sie am Ende daraus gesponnen hat, konnte mich nicht vollends überzeugen, und auch Lolas und Ingrids Aktivitäten, um ihr Leben und ihre Konten zurückzugewinnen, habe ich zugegebenermaßen nicht vollkommen durchschaut. „Letzte Show“ ist sicherlich kriminaltechnisch gesehen nicht der gelungenste und am besten konstruierte Fall, auch wenn am Ende schon alle Puzzlestücke zusammenpassen. Dennoch überzeugt das vorliegende Buch wieder einmal durch seine Charaktere, durch deren Eigenarten und auch durch manch nette Metapher, die Sylvain an den passenden Stellen einstreut.

So ist „Letzte Show“ unter dem Strich ein unterhaltsames Lesevergnügen, das durchaus Lust auf mehr macht, obwohl man zugegebenermaßen einige Abstriche machen muss, was den reinen Kriminalfall betrifft. Manches wirkte auf mich zu konstruiert, zu aufgesetzt, um wirklich schlüssig aufgelöst werden zu können. Dennoch möchte ich Lola Jost und Ingrid Diesel als furioses Ermittlerduo ganz sicher nicht missen!

|Originaltitel: La fille du Samourai
Aus dem Französischen von Brigitte Lindecke
336 Seiten, kartoniert|
http://www.ullsteinbuchverlage.de/listtb/

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