Szerb, Antal – Pendragon-Legende, Die

_Ironischer Krimi zwischen Realität und Fantastik_

Zwei höchst unwahrscheinliche Helden geraten im England des Jahres 1933 in einen Erbschaftskrieg, in dem es durchaus Tote gibt. Der eine ist unser Berichterstatter, ein Doktor der Philosophie, der andere ein Oxforder Student von gerade mal 18 Jahren. Erstaunlicherweise behaupten sich beide gegen die Machenschaften der Gegenseite, die es auf den Earl of Gwynedd abgesehen hat. Doch sie werden von einer energischen Deutschen unterstützt, die immer den richtigen Einfall hat, wenn Not am Mann ist.

|Der Autor|

Antal Szerb, geboren 1901 in Budapest, studierte Hungarologie, Germanistik und Anglistik. 1937 wurde er Professor für Literatur an der Uni Szeged. Bis heute ist er in Ungarn einer der meistgelesenen Schriftsteller. Szerb starb 1945 im KZ Balf in West-Ungarn. In seinen wenigen Lebensjahren hat er viele Romane, Essays und Übersetzungen veröffentlicht, u. a. eine „Ungarische Literaturgeschichte“.

|Der Sprecher|

Heikko Deutschmann war nach seinem Schauspielstudium Ensemblemitglied an der Berliner Schaubühne, am Hamburger Thalia Theater, im Schauspiel Köln und Schauspielhaus Zürich. Mittlerweile ist er in zahlreichen Film- und Fernsehrollen zu sehen gewesen, so etwa „Der Laden“, „Operation Rubikon“, „Der Aufstand“ oder Die Affäre Kaminski“.

_Handlung_

London im Jahre 1933. Janos Bathoy (ausgesprochen: janosch batki), 32, geboren in Budapest, ist Historiker, Doktor der Philosophie und erzählt, wie es kam, dass er den Earl of Gwynedd kennen lernte und von diesem eingeladen wurde, seine Bibliothek zu benutzen. Aber was soll an einer Bibliothek schon Besonderes sein, fragt man sich. Allerdings wird Janos von mehreren Seiten davor gewarnt, die Einladung anzunehmen und nach Wales zu fahren. Hätte er doch auf sie gehört!

Als Philosoph beschäftigt sich Janos gerade mit den englischen Mystikern des 17. Jahrhunderts, darunter einem gewissen Robert Flood, seines Zeichens Magier und Hexenmeister, auf den der Earl große Stücke hält. Natürlich stehen dessen Bücher in seiner Bibliothek. Und was das für eine sein mag? „Seit 85 Jahren hat niemand mehr die Pendragon-Bibliothek gesehen“, sagt ein Freund. Aber ein anderer Mann erwarnt, ganz anonym: „Doktor Macgregor ist bei einem Autounfall gestorben – Janos’ Vorgänger.“ Bathoy ist perplex und untersucht diese seltsame Familie erst einmal.

Der erste Earl baute Burg Pendragon, nachdem er 1490 geadelt worden war und ein Lehen in Nordwales bekommen hatte. Pendragon bedeutet auf Walisisch „Drachenkopf“. Sehr interessant ist der sechste Earl namens Asaph, ein Rosenkreuzer und Hexenmeister, der an die Unsterblichkeit des Fleisches glaubte. Und hier kommt wieder besagter Robert Flood ins Spiel. Dieser Schüler des berühmten Paracelsus machte Burg Pendragon zu seiner zweiten Heimat. Natürlich arbeitete er mit Asaph zusammen, als dieser den Stein der Weisen suchte.

Asaph wurde nach seinem Tod noch berühmter, als er in den Sagen und Märchen der Gegend als „mitternächtlicher Reiter“ und strafender Richter auftrat. Und der aktuelle Earl, der es seit 1902 ist, soll ein Wunderheiler sein und ein neues Tier erfunden haben, das nur im Dunkeln lebe. Aber das sei natürlich Unsinn, sagen Janos’ Freunde. Bathoys Neugier ist geweckt.

|Aus Irland|

Auftritt George Maloney. Dieser irische Ex-Soldat aus dem entlegenen County Connemara ist zwar ein moderner Münchhausen, aber ein lustiger Geselle, der den Frauen keineswegs abhold ist. In der Bar des Savoy-Hotels bittet er die süße Pat O’Brien zu ihm, Janos und Osborne Pendragon an den Tisch. Osborne, der Neffe des Earls und Student in Oxford, ist zwar erst 18, aber schon zum Sterben gelangweilt von der Welt. Er produziere gerne Gespensteraufnahmen, sagt er Janos. Von Frauen hält er leider gar nichts und verabschiedet sich zeitig. Höchste Zeit, sich zu besaufen, findet Maloney.

Nicht lange und Janos fällt trotz seines Schwipses auf, dass der Ire ihn aushorcht. Er dreht den Spieß um und fühlt seinerseits Maloney auf den Zahn, um herauszufinden, was er im Schilde führt. Es stellt sich heraus, dass der Earl of Pendragon ein potenzieller Milliardenerbe ist! Sollte sich herausstellen, dass der Milliardär Roscoe eines „gewaltsamen Todes“ gestorben ist, so fiele dem Earl dessen Erbe zu – und nicht dessen Witwe, der ehemaligen Verlobten des Earl. Woher diese Verbundenheit mit den Pendragons? Roscoe hatte dem Vater des jetzigen Earls die Finanzen geführt und sein Vermögen gemehrt.

Und was hat es mit diesem „gewaltsamen Tod“ auf sich? Tja, nun, Roscoe starb an einer Tropenkrankheit mit einem unaussprechlichen Namen. Und was soll Janos dabei? Ganz einfach, meint Maloney: Als Tropenarzt könne Doktor (!) Bathoy ja wohl ohne weiteres feststellen, ob bei Roscoes Krankheit ein wenig, äh, „nachgeholfen“ wurde. Falls ja, wäre der Tatbestand des „gewaltsamen Todes“ erfüllt. Janos erkennt, dass er das Zünglein an der Waage in einem superheiklen Erbschaftsstreit spielen soll. Na prost!

|In Wales|

Maloney ist von Osborne Pendragon eingeladen worden, ebenfalls das Schloss in Wales zu besuchen – na, so ein Zufall, was? Und wie schön, dass Miss Eileen St. Clair sich bereit erklärt hat, sie bis Chester in ihrem Auto mitzunehmen. Janos lehnt zwar nicht ab, aber nun kommen ihm erste Zweifel. Denn er hat dieses Frauenzimmer in unguter Erinnerung. Drei Jahre zuvor gewährte sie seinem Freund Christofoli, einem völlig in sie vernarrten Archäologen, einen One-Night-Stand, reiste aber gleich am nächsten Morgen ohne ihn ab. Von seinem gebrochenen Herzen und seinem verwirrten Verstand erholte sich sein Freund nie wieder.

Was Eileen St. Clair im Schilde führt, wird erst am Ende der Strecke nach Chester klar, als man sich der walisischen Grenze nähert und sie sich an Janos wendet. Er möge doch bitte dem Earl einen Ring von ihr überbringen. Aber er dürfe unter keinen Umständen den Namen des Besitzers, also ihren, erwähnen. Ritterlich erklärt sich Janos dazu bereit, obwohl er angesichts dieser erneuten Intrige der Dame seine Zweifel hat.

|Auf Schloss Llanvygan|

Er reist mit Maloney weiter, bis Osborne sie vom Bahnhof abholt und zum neuen Schloss bringt, das wesentlich heiterer anmutet als die düstere Stammburg oben auf dem Felsen. Wesentlich trägt zu diesem Eindruck Cynthia, die hübsche Nichte des Earls und Osbornes Schwester, bei. Schon in der ersten Nacht ereignet sich Seltsames. Als er Stimmen hört, begibt sich Janos auf den Korridor. Er muss feststellen, dass ihm jemand die Patronen aus dem Revolver entwendet hat. Auch das Päckchen, das ihm Maloney zur Aufbewahrung übergeben hatte, ist verschwunden. Und auf dem Korridor steht ein riesiger alter Kerl, der ihn wie ein Gespenst anschaut. Es handelt sich offenbar um den Butler mit dem Namen John Griffith. „Sie sollten nachts auf Ihrem Zimmer bleiben“, empfiehlt er düster und verschwindet.

Diese gespenstische Begegnung ist nur der Auftakt zu einem unheimlichen und turbulenten Aufenthalt auf dem Schloss der Pendragons.

_Mein Eindruck_

Dieser Roman, der doch so viel mit Historie zu tun hat, hebt sich wohltuend von der aktuellen Flut historisierender Thriller Marke Dan Brown ab, indem er zwar ebenfalls uralte Geheimorden-Geheimnisse mit einer Krimihandlung verknüpft, aber dies dann doch wieder fein säuberlich zu trennen weiß. Dies gelingt mit einer ironischen Distanz, zu der vor allem die reservierte und objektiv sich zurückhaltende Erzählhaltung Janos Bathoys beiträgt. Aber auch Osborne Pendragon lässt sich in seiner englischen Unterkühltheit nicht so leicht ins Bockshorn jagen.

Bathoy, Osborne und Maloney sind drei Geisterjäger, die dem Geheimnis des „mitternächtlichen Reiters“ auf den Grund gehen wollen. Dabei gehen sie aber nie so weit, alles fein säuberlich auseinander zu klamüsern und bis ins Letzte zu erklären. Nein, der Leser bzw. Hörer muss die Schlussfolgerung, die ihm und ihr nahe gelegt wird, gefälligt selbst ziehen. Der Autor bevormundet nicht, was er für einen mündigen Leser hält, sondern fördert ihn auf dem gewünschten Weg.

Der mündige und hoffentlich auch erwachsene Leser bzw. Hörer sollte deshalb auch keinerlei Probleme damit haben, wenn sich Janos Bathoy auf eine ziemlich schräge Weise mit seiner Erzfeindin Eileen St. Clair einlässt. Das Rededuell, das sich die beiden liefern, kann sich sehen lassen, und die emotionalen Schachzüge, die Eileen einsetzt, qualifizieren sie als eine ebenbürtige Spielerin um Macht und Reichtum, vor der sich Janos wohlweislich in Acht nimmt. Was ihn nicht daran hindert, seinem körperlichen Verlangen nachzugeben und mit ihr zu schlafen. Die Folgen lassen nicht auf sich warten, aber wenigstens ist er in einer Hinsicht standhaft geblieben: Er hat die verlangte Zeugenaussage, er habe Maloneys Mörder gesehen, nicht geschrieben.

Es gibt aber eine Schwäche des Plots, die man nur mit Nachsicht hinnehmen kann. Mehrere Kapitel lang wissen die Geisterjäger Osborne und Janos, dass sich auf Schloss Pendragon ein Spion und Verräter aufhalten muss, doch es gelingt ihnen nicht, sie oder ihn ausfindig zu machen – es gibt einfach zu viel zu tun, weil die Gegenseite nicht schläft und erneute Angriffe startet. Es fällt den beiden Heroen nicht ein, einmal nachzufragen, um wen es sich bei Cynthias „bester Freundin“ eigentlich handelt. Als es dann passiert, fallen sie aus allen Wolken – das Puzzle setzt sich zusammen und alles klärt sich. Doch so viel Naivität kommt mir recht unwahrscheinlich vor. Wen mann schon jeden im Schloss verdächtigen muss, warum wird dann Cynthia davon ausgenommen?

SPOILER!

Im Finale gibt es eine klischeehafte Szene, die aber äußerst ungewöhnlich präsentiert wird und zu dem positiven Eindruck des Buches beiträgt. Klischee: Ein schwarzmagisches Ritual samt menschlichem Opfer wird ausgeführt, und der Beobachter bzw. Erzähler nimmt daran teil. So weit, so schön. Ungewöhnlich ist jedoch, dass sich der Beobachter / Teilnehmer / Ich-Erzähler in einem Geisteszustand befindet, in dem es ihm so erscheint, als wäre er nicht er selbst, sondern jemand anderes. Er wird an einer Stelle von einem Gnomen als „Benjamin Avravanel“ angeredet. Dieser Name sagt unserem Gewährsmann nichts. Aber er kann nichts dagegen tun, als der Zeremonie, in der Satan angerufen wird, beizuwohnen, ob er will oder nicht. Doch dann wird eine Frau hereingeführt, die er von früher kennt …

Die Qualität dieser Szene ist die eines Traums. Doch es geschehen dabei Dinge mit realen, allzu realen Folgen, wie Janos später feststellen muss. Der einzige Mensch, dem er diesen Traum anzuvertrauen wagt, ist der Earl of Gwynedd himself. Und dieser zeigt gottlob volles Verständnis für die unglaubliche Story, die Janos ihm da auftischt. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass der Earl in die Geheimnisse der Rosenkreuzer eingeweiht ist und sicherlich sofort das Ritual erkannt hat. So dürften Asaph Pendragon und Robert Flood seinerzeit vorgegangen sein. Doch wer war der Schwarzmagier, der das Ritual in jenem Gewölbe auf dem Bergplateau ausführte? War es der „unsterbliche“ Asaph, der „mitternächtliche Reiter“ oder der aktuelle Earl selbst? Das bleibt der Fantasie des Lesers bzw. Hörers überlassen.

SPOILER ENDE

Die Krimihandlung ist geprägt von ebenfalls ungewöhnlichen Elementen. Mehrmals sitzt Janos in der Patsche, aus der ihn das ungleiche Pärchen Osborne und Lene Kretzsch wieder heraushaut. Lene kennt er aus Deutschland, und Janos spricht, wie Osborne, ausgezeichnet Deutsch. Diese Fähigkeit ist in jener Zeit vor dem Jahr 1933 vielleicht der Vorliebe des Autors geschuldet. Natürlich erweist sie sich als höchst nützlich. Aber dass auch englische Ärzte deutsch sprechen, finde ich dann schon recht ungewöhnlich.

Die Krimihandlung, die sich um den Erbschaftskrieg zwischen den Pendragons und den Roscoes dreht, ist action- und temporeich inszeniert. Nie kommt irgendwelche Langeweile auf. Dieser Roman ist keine Romanze aus der englischen Provinz, sondern höchst kosmopolitisch. Von einer heiligen Dreifaltigkeit der Einheit von Ort, Zeit und Personen kann hier nur begrenzt die Rede sein. Die Wege der Figuren führen kreuz und quer durch England. Auch die Vergangenheit erweist sich als höchst lebendig. Der geistige Raum des Romans ist somit ziemlich groß und passt überhaupt nicht in den Schaukasten einer Bühne oder eines Fernsehers.

|Der Sprecher|

Heikko Deutschmann ist ein kongenialer Sprecher dieses szenenreichen Textes. Was die Flexibilität seines stimmlichen Ausdrucks angeht, kann er es ohne weiteres mit Rufus Beck aufnehmen. So fällt es ihm leicht, die einzelnen Figuren zu charakterisieren und unverwechselbar zu machen. So etwa ist der irische Abenteurer George Maloney stets an seiner soldatisch knappen Ausdrucksweise zu erkennen.

Der blasierte Osborne Pendragon klingt hingegen so schwach, als würde er gleich das Zeitliche segnen, obwohl er erst 18 Lenze zählt. Der Sprecher scheut sich auch nicht, sich die Nase zuzuhalten und eine durchs Telefon verzerrte Stimme nachzumachen. Und als das „Gespenst“ erstmals auftritt, besteht seine Stimme mehr aus einem Schauder erregenden Hauchen als einem Artikulieren.

Nur mit Deutschmanns Aussprache walisischer Namen habe ich meine Probleme. Ortsnamen wie Llandudno und Llanvygan, der das Schloss der Pendragons, werden nach meinen Informationen anders ausgesprochen. Deutschmann spricht die Vorsilbe Llan- immer „schlan-“ aus, dabei sollte dies ein Hauchlaut sein: „chlan“. Das klingt vielleicht nicht so flüssig beim schnellen Vorlesen, aber es wäre durchaus machbar. Dass die zweite Silbe „-vygan“ dann wie im Englischen „waig(e)n“ausgesprochen wird, kommt mir ebenfalls unpassend für ein walisisches Wort vor. Es sollte richtiger „vig(e)n“ lauten.

Ansonsten sind ungarische, französische, italienische, deutsche (sowieso) und englische Namen und Titel alle korrekt ausgesprochen, so dass ich Deutschmann ohne weiteres Mehrsprachigkeit attestieren kann.

Über Musik und Geräusche verfügt diese Lesung nicht, so dass ich sie nicht weiter zu erwähnen brauche.

_Unterm Strich_

„Die Pendragon-Legende“ bietet eine erfrischende Abwechslung in der mittlerweile als Einheitskost verabreichten Mode der historischen Thriller. Krimi ist hier mit Romanze, Erbschaftskrieg mit Geistererscheinungen auf respektlose Weise verquickt. Der Leser bzw. Hörer kann sich auf eine mit überraschenden Wendungen gespickte Handlung gefasst machen.

Im Gegensatz dazu steht das Titelbild, das einen eher kontemplativ veranlagten Mann beim Rauchen und Sinnieren zeigt. Nichts könnte der Story ferner liegen. Janos Bathoy mag ja ein Philosoph und rechter Bücherwurm sein, doch man lässt ihn nicht zur Ruhe kommen. Dafür sorgen schon die Frauen und Scherzkekse wie Maloney und Osborne Pendragon. Die Rätsel, die sich ihm bieten, löst er nicht restlos auf. Dem Publikum bleibt also noch etwas zu tun übrig – ein weiterer Unterschied zu Thrillern wie „Sakrileg“ und „Illuminati“.

Heikko Deutschmann macht den Text zu einem lebhaften akustischen Erlebnis. Selten habe ich Besoffene so humorvoll und hinterhältig nuscheln gehört, selten haben sich Mann und Frau verbal einen so durchtriebenen Schlagabtausch geliefert. Da fallen die Eigenwilligkeiten in der walisischen Aussprache nicht mehr ins Gewicht.

Wem „Die Pendragon-Legende“ gefallen hat, sollte auch „Die Reise im Mondlicht“ lesen oder hören.

|Originaltitel: A Pendragon legenda, 1934
Aus dem Ungarischen übersetzt von Susanna Großmann-Vendrey
383 Minuten auf 5 CDs
Siehe auch unsere [Rezensionen 955 zur Buchfassung der „Pendragon-Legende“.|