Theorin, Johan – Öland

Trilogien gibt es mittlerweile zur Genüge. Jeder Autor, der etwas auf sich hält, schreibt Bücher im Dreierzyklus. Der Schwede Johan Theorin dagegen orientiert sich nicht an der magischen Drei, sondern an den vier Jahreszeiten. Er plant eine Reihe, die für jede Jahreszeit eine Geschichte zu erzählen hat. „Öland“ macht den Anfang im Herbst, und das sehr erfolgreich. In Schweden war das Buch schon kurz nach Erscheinen auf den Bestsellerlisten zu finden und wird momentan in diverse Sprachen übersetzt.

Das Buch spielt auf der gleichnamigen schwedischen Insel, die mittlerweile ein beliebtes Touristenziel geworden ist. Doch zu der Zeit, in der Theorins Geschichte spielt, steckt diese Entwicklung noch in den Kinderschuhen, und zu der Zeit, als das Geschehen seinen wirklichen Anfangspunkt hat, war davon noch gar nichts zu spüren. 1972 verschwindet der fünfjährige Jens spurlos während eines dichten Nebels in der Alvar, einer öden Kalksteppe der Insel. Seine Mutter Julia ist auch über zwanzig Jahre später noch nicht davon überzeugt, dass Jens tot ist. Arbeitsunfähig aufgrund der psychischen Belastung, lebt sie in Göteborg und würde Öland am liebsten nie wieder betreten. Doch als ihr Vater Gerlof anruft und mitteilt, dass er eine neue Spur entdeckt hätte, rafft die mutlose Frau sich auf und besucht ihre alte Heimat.

Der Mann, den man damals verdächtigt hat, Jens entführt zu haben, ist eigentlich schon lange tot. Nils Kant hieß er, doch die Umstände seines Todes sind fraglich. Er war eine Art Außenseiter und Sündenbock auf der Insel, und es gibt einige, die behaupten, dass er immer noch lebt und jemand anderer in seinem Grab liegt. Ausgehend von dieser Theorie, arbeiten sich Julia, der im Altersheim lebende Gerlof und dessen alte Kumpels vor. Es scheint, als seien sie tatsächlich auf eine heiße Fährte gestoßen, denn auf einmal geschieht ein weiterer Mord …

Die Stimmung, die Theorin in seinem Krimi erreicht, ähnelt der von Schwedens Vorzeigekrimiautor Henning Mankell: bedrückend, pessimistisch und dadurch spannend. Anders als sein Kollege berichtet Theorin allerdings nicht aus der Perspektive eines Polizisten, sondern lässt ganz normale Menschen sprechen. Er bindet den Kriminalfall in den Alltag und in das Privatleben seiner Charaktere ein, so dass von der Trockenheit, welche die Polizeiarbeit manchmal mit sich bringt, wenig zu spüren ist. Trotzdem ist „Öland“ ein eher ruhiges Buch. Die Spannung baut sich allmählich und nicht durch actionreiche Ereignisse auf. Mit fast 450 Seiten ist es daher für Leute, die wenig übrig haben für eine sich allmählich steigernde Spannung, eher eine Zumutung. Wer jedoch gerne typische skandinavische Krimis liest, dem wird „Öland“ gefallen, denn neben der in sich schlüssigen Handlungen überzeugt der Roman auch bei der Personenzeichnung.

Julia und Gerloff, die im Vordergrund stehen, sind wunderbar ausgearbeitet und ihre Persönlichkeiten erreichen den Leser treffsicher. Julia ist seit dem Verschwinden ihres Sohns in eine Depression gefallen, und dem Autor gelingt es, ihre Gefühle, ihre Ängste, ihre Hoffnungen sehr plastisch, aber nie übertrieben darzustellen. Der Leser versteht sie und fühlt mit ihr, obwohl er genau wie sie weiß, dass es nach über zwanzig Jahren längst an der Zeit ist loszulassen. Gerlof dagegen ist ein tatkräftiger Mann. Der ehemalige Seemann verbringt seine Zeit nicht mit Nachdenken, sondern packt die Dinge an. Während Julia durch ihren eigenen Kopf gebremst wird, ist es bei dem alten Mann eine rheumatische Erkrankung, die ihn immer wieder behindert. Auffällig ist dabei, dass Gerlof nicht als griesgrämiger Alter und auch nicht als klischeehafter, das Altersheim aufmischender Opa dargestellt wird, sondern als bedächtiger, lebenserfahrener Mann. Theorin gelingt es, das Alter seines Protagonisten nicht nur als Tatsache darzustellen, sondern richtiggehend in die Geschichte einzuweben. Dadurch wirkt Gerlof sehr authentisch und interessant, da er nicht unbedingt der klassische Charakter eines Kriminalromans ist.

Der Schreibstil ähnelt den beiden Hauptfiguren: ruhig, gemächlich, aber stets mit einem Hang zum Pessimismus. Theorin beschreibt seine Szenarien in einer emotionslosen, plakativen Sprache, welche die Ödnis der Insel und innerhalb der Personen sehr gut transportiert. Es entsteht eine Atmosphäre, in die man sich als Leser hineinfühlen und dadurch mit den Personen mitfiebern kann.

„Öland“ ist in gewisser Weise Geschmacksache. Nicht jeder wird etwas mit der eher actionarmen Handlung und den entweder deprimierten oder alten Charakteren anfangen können. Wer sich jedoch mehr für Persönlichkeiten als für aufregende Kriminalfälle interessiert, der ist bei diesem Buch von Johan Theorin goldrichtig. Der Schwede hat einen atmosphärischen, ruhigen Krimi geschrieben, der sich dank der Protagonisten wohltuend von ähnlichen Büchern des Genres abhebt.

|Originaltitel: Skumtimmen
Aus dem Schwedischen von Kerstin Schöps
448 Seiten, gebunden|
http://www.piper-verlag.de
http://www.johantheorin.com

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