Thiesler, Sabine – Totengräberin, Die

Seit fast zwanzig Jahren sind Magda und Johannes verheiratet und nach außen hin glücklich. Tatsächlich hat Johannes eine Geliebte, die er regelmäßig besucht. Wie jedes Jahr wollen Johannes und Magda den Sommer in ihrem Ferienhaus in der Toskana verbringen. Magda fährt voraus, während sich Johannes zur letzten Aussprache mit Carolina trifft und sich für seine Ehe entscheidet. Er hofft auf einen Neuanfang und darauf, dass seine Frau ihm die Affäre verzeiht.

Er ahnt nicht, dass Magda in der Toskana bereits seinen Tod plant. Am Morgen nach seiner Rückkehr vergiftet sie ihn und vergräbt die Leiche im Gemüsegarten. Freunden und Verwandten sagt sie, er sei für ein paar Tage zu einem Freund nach Rom gefahren. Später meldet sie ihn vermisst und spielt überzeugend die besorgte Ehefrau. Alles läuft nach Plan – bis Johannes‘ Bruder Lukas auftaucht. Schon vor ihrer Hochzeit war er in sie verliebt und begehrt sie immer noch. Gerade ist das Theaterstück, in dem er eine wichtige Rolle spielen sollte, geplatzt und er will sich in Italien eine Auszeit gönnen. Außerdem hofft er, Magda näherzukommen.

Anfangs glaubt Lukas die Vermisstentheorie und hilft Magda, seinen Bruder zu suchen. Doch dann verändert sich Magda plötzlich. Sie spricht Lukas mit „Johannes“ an und scheint ihn ernsthaft für ihren Mann zu halten. Der verwirrte Lukas spielt das Spiel mit und gibt sich auch bei der Polizei als heimgekehrter Ehemann aus. Noch bizarrer wird es, als Lukas Briefe von Magda an ihren verstorbenen Sohn Thorben findet. Offenbar lebt sie in einer Scheinwelt. Und dann taucht auch noch ein Erpresser auf, der Lukas Fotos von seinem toten Bruder schickt …

Nach „Der Kindersammler“ und „Hexenkind“ ist „Die Totengräberin“ der dritte Kriminalroman von Sabine Thiesler, der zum größten Teil in der Toskana spielt, aber qualitativ nicht ganz an die Vorgänger anschließen kann.

|Fesselnde Handlung|

Vom Gesichtspunkt der Spannung aus ist der Roman nahezu einwandfrei gelungen. Der Mord an Ehemann Johannes geschieht früh zu Beginn, und von da an ist alles Weitere erst einmal ungewiss. Magdas Plan klingt zunächst überzeugend: Sie erweckt den Anschein, als sei Johannes für ein paar Tage nach Rom gefahren, und mimt gekonnt die besorgte Ehefrau gegenüber seinen Eltern am Telefon, gegenüber Bekannten im Dorf und gegenüber der Polizei. Auch Lukas fällt darauf herein, und als er in Johannes‘ Handy Nachrichten an die ehemalige Geliebte Carolina entdeckt, steht für ihn fest: Johannes hat sich vermutlich absichtlich abgesetzt und will eine Auszeit oder Magda sogar ganz verlassen. Daher glaubt er zunächst nicht an ein Verbrechen, sondern freut sich insgeheim über diese Entwicklung, da er Chancen sieht, seiner immer noch verehrten Magda näher zu kommen.

Als Lukas anonym die Fotos seines toten Bruders erhält, wagt er es nicht, Magda einzuweihen. Mehr noch, er ahnt, dass ironischerweise er der Hauptverdächtige der Polizei sein würde, denn seine Liebe zu Magda ist ein ideales Motiv, während die Eheprobleme niemandem außer ihm bekannt sind. Natürlich verdächtigt Lukas zunächst den Fotoabsender, den er auch bald kennenlernt. Es ist der schmierige Literaturkritiker Stefano Topo, der sich durch Erpressung eine Finanzspritze erhofft. Nur der Leser weiß, dass die beiden einander des Mordes verdächtigen, ohne es auszusprechen. Dadurch entsteht ein zusätzlicher Spannungsbogen – Lukas muss das geforderte Erpressungsgeld aufbringen und Topos Gegenwart ertragen, der dreist Magdas Bekanntschaft schließt.

Topo wiederum ahnt nicht, dass er den falschen Täter im Visier hat und die Lage falsch einschätzt. Hinzu kommt im späteren Verlauf Johannes‘ Exgeliebte Carolina, die es nach einer Aussprache drängt und spontan eine Fahrt in die Toskana plant. Sie weiß, dass Johannes als vermisst gilt und will den Dingen auf den Grund gehen, ohne die wahren Hintergründe zu ahnen. Die ganze Zeit über wird der Spannungspegel konstant hoch gehalten. Im Raum stehen die Fragen, ob Magda weitere Morde begehen wird, ob das Grab unter dem Olivenbäumchen gefunden wird und wer als Erster die verzwickten Hintergründe durchschaut.

|Interessante Rückblicke|

Es braucht eine Weile, ehe der Leser hinter Magdas komplizierten Charakter steigt. Sehr erhellend sind die immer wieder eingestreuten Rückblenden in ihre Kindheit und in die vergangenen Jahre. Zum einen erfährt der Leser hier anschaulich, weshalb sie so sensibel auf das Thema Fremdgehen reagiert. Magda hat traumatische Kindheitserfahrungen mit ihrem Vater erlebt und ist durch das Leid und Verhalten ihrer Mutter geprägt. Einerseits sind diese Enthüllungen informativ, andererseits erschreckend und verleihen der Handlung einen Hauch von emotionaler Tiefe. Weiterhin erfährt man, was es mit Thorben auf sich hat, der bereits vor einem Jahr ums Leben gekommen ist. Man erfährt die Umstände und weiß nun endgültig, dass Magda schon lange psychisch gestört ist, da sie nach wie vor liebevolle Briefe an ihren Sohn schreibt, den sie im Internat glaubt.

Für ein bisschen Humor bei den Charakteren sorgt Kommissar Neri, der schon in „Hexenkind“ eine Rolle spielte und ein nettes Wiedersehen beschert, ohne dass man diesen Roman fürs Verständnis gelesen haben müsste. Neri ist ein bemühter, aber recht trotteliger Polizist, der nach den letzten Misserfolgen von Rom in die Provinz versetzt wurde und sich sehnlichst wieder einen spektakulären Fall wünscht, der ihn rehabilitieren könnte. Mit von der Partie ist seine temperamentvolle Frau Gabriella, die es erst recht zurück nach Rom drängt und die ihn bei den aktuellen Ermittlungen auf eigene Faust tatkräftig unterstützt, indem sie Magda aushorcht.

|Mangelnde Glaubwürdigkeit|

Leider gibt es auch mindestens eine erhebliche Schwäche im Roman, nämlich das teilweise unglaubwürdige Verhalten von Magda und Lukas. Anfangs sieht es aus, als sei Magda eine kaltblütige Mörderin. Sie besorgt sich das Gift geschickt aus der Apotheke, in der sie arbeitet, indem sie den Verdacht auf jemand anderen lenkt. Aber bald nach dem Mord schwenkt dieser Eindruck um. Magda hält Lukas nach kurzer Zeit bereits für Johannes und verdrängt ihre Tat vollkommen. Ihre psychische Störung ist zwar ein interessanter Zug, kommt aber für den Leser zu plötzlich und ist ein fast enttäuschender Umschwung, nachdem man sich bereits auf ihre berechnende Art eingewöhnt hat.

Sehr seltsam ist zudem das Verhalten von Lukas. Anfangs reagiert er verwirrt und geschockt auf Magdas Äußerungen und wagt es nicht, ihr die Wahrheit zu sagen. Das ist zunächst verständlich, dass er sich dann aber entscheidet, das Spiel dauerhaft mitzumachen, ist eher lächerlich. Er genießt es einfach, nun seinen fast zwanzigjährigen Traum zu verwirklichen und eine Beziehung mit Magda zu führen. Dass sie ihn „Johannes“ nennt, blendet er aus und auch die Suche nach seinem Bruder steht erst einmal im Hintergrund. Nicht nur, dass er Magda gegenüber die Rolle als Johannes einnimmt, er sorgt auch dafür, dass die Polizei ihre Ermittlungen nach dem Vermissten einstellt und lässt sich von jedem als Magdas Ehemann vorstellen. Selbst als er weiß, dass Johannes ermordet wurde, vertraut er sich niemandem an. Auch gegenüber seinen Eltern am Telefon lügt er, dass Johannes in Ordnung und nur gerade verhindert sei. An vielen Stellen im Roman handelt er unlogisch, obwohl völlig offensichtlich ist, dass er sich selbst immer tiefer in eine fatale Lage verstrickt. Während man es am Ende zumindest teilweise nachvollziehen kann, weil da ein Zurück kaum mehr möglich ist, wirken seine ersten Handlungen sehr unüberlegt und naiv.

_Als Fazit_ bleibt ein sehr spannender Toskana-Kriminalroman über eine Mörderin, der aber auch Schwächen besitzt. Das Buch lässt sich leicht lesen und fesselt den Leser durchgehend, aber die unlogischen Verhaltensweisen der beiden Hauptcharaktere trüben im weiteren Verlauf das Gesamtbild.

_Die Autorin_ Sabine Thiesler studierte Germanistik und Theaterwisenschaften und arbeitete als Bühnenschauspielerin, ehe sie Schriftstellerin wurde. Sie verfasste auch einige Theaterstücke und schrieb Drehbücher für Fernsehserien wie „Tatort“ und „Polizeiruf 110“. Von ihr erschienen zuletzt die Romane „Der Kindersammler“ und „Hexenkind“.

|511 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-453-43275-8|
http://www.heyne.de

_Sabine Thiesler auf |Buchwurm.info|:_

[„Der Kindersammler“ 3317
[„Hexenkind“ 4319

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