Was ist eigentlich so besonders an Fred Vargas? |Le Monde| sagt, es ist die „Magie Vargas“, aber vielleicht sollten wir mit einer viel banaleren Sache anfangen, denn Fred ist weiblich, auch wenn der Name es nicht vermuten lässt, und zudem eine der wohl interessantesten Krimiautorinnen aus Frankreich.
Grund dafür sind ihre Bücher, die nicht in staubigen Polizeibüros spielen, sondern im normalen Leben mit normalen Protagonisten, die die Autorin von der Straße weggefangen zu haben scheint.
In „Die schöne Diva von Saint-Jacques“ sind ihr drei Historiker ins Netz gegangen, die zusammen mit dem pensionierten Polizisten Vandoosler, dem Onkel des Mittelalterspezialisten Marc, in einem heruntergekommenen Haus in Saint-Jacques wohnen. Dort verbringen sie ihre Zeit mit Renovierarbeiten und den Streitereien, die nun mal entstehen, wenn Mittelalter, Vorgeschichte und Erster Weltkrieg aufeinander treffen und jeder seine Epoche für die einzig wahre hält.
Eines Tages geschehen im Garten ihrer Nachbarin, der schönen Sophia, einst eine gefeierte Opernsängerin, komische Dinge. Plötzlich steht dort ein Baum und niemand will ihn gepflanzt haben. Sophia ist beunruhigt und bittet die drei Evangelisten, wie Vandoosler die drei Historiker wegen ihrer Namen (Marc, Lucienne, Matthias) nennt, darunter zu graben. Sie finden nichts, doch wenig später ist Sophia verschwunden. Es sieht ganz danach aus, dass sie ermordet wurde. Die Wohngemeinschaft beginnt, ihre eigenen Nachforschungen anzustellen, und stößt dabei auf Ereignisse in Sophias Vergangenheit, die bis heute nicht an Bedeutung verloren haben …
Zu Vargas‘ größten Stärken gehört die Entwicklung skurriler Charaktere. In diesem Fall ist das die historische WG. Die Wissenschaftler sind so von ihren Fachgebieten durchdrungen, dass sie einen ständigen Krieg führen und sich beleidigen, was geradezu köstlich ist. Der Weltkriegsexperte Lucienne spricht zum Beispiel zumeist in Weltkriegsmetaphern, von Schützengräben und feindlichen Fronten, was wunderbar amüsant ist.
Der nachdenkliche Vandoosler, der ein wenig die Rolle des im Hintergrund agierenden Charlies übernimmt, tut das Seinige, indem er die drei als Evangelisten Markus, Lukas und Matthäus bezeichnet, was diesen nicht unbedingt schmeckt. Das zwischenmenschliche Geflecht in dem Roman ist folglich dicht und von kleinen, entzückenden Streitereien umsponnen.
|“Hör auf zu schreien, heiliger Markus, das ist schlecht für die Heiligsprechung, und unterbrich mich nicht ständig.“| (Seite 133)
Dank des bissigen Humors, der das ganze Buch durchwebt, sind die Dialoge entsprechend knackig und schlagfertig. Der Schreibstil ist ebenfalls immer für eine humorvolle Überraschung gut und unterhält den Leser brillant. Vargas verzichtet dabei auf Abschweifungen, sondern bringt alles auf den Punkt – im Hintergrund immer präsent: der trockene Humor, der nicht nur dem Buch, sondern auch den Charakteren sehr viel Tiefe verleiht, ohne kindisch zu werden.
Die Handlung ist geprägt von einem krimiuntypischen Vorgehen. Es ist nicht das übliche Schema mit Leiche, Ermittlungen, Ermittlungen stecken geblieben, neue Leiche, falsche Person verdächtigt, im richtigen Moment unschuldige Person vor richtigem Täter gerettet. Vielmehr gibt es gar keine richtige Kriminalhandlung. Die Evangelisten beobachten, Marc sitzt, von seinem Onkel beauftragt, am Fenster und notiert, wer vorbeiläuft, und manchmal setzen sie sich in die Küche, Lucienne schneidet Brot (zur Entspannung) und sie tragen ihre Gedanken zusammen. Gegen Ende kommt dann immer mehr Bewegung ins Spiel, was in der temporeichen Auflösung des Falls liegt, die gut ins Gesamtkonzept des schrulligen Buches passt, aber alleine betrachtet schon ein wenig unlogisch ist.
Doch dieser Makel kann diesem Buch, dem das Attribut „köstlich“ perfekt steht, nicht schaden. Wie auch? Die Charaktere sind fantastisch, der Humor ist fast noch fantastischer und der Schreibstil hält alles zusammen. Spannend? Ja, auch, aber vor allem sehr amüsant zu lesen. Vor allem das …
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