Verne, Jules – Meister Zacharius (inszenierte Lesung mit Musik)

Der faustische Uhrmacher

Meister Zacharius ist der beste Uhrmacher von Genf, zumindest im 15. oder 16. Jahrhundert. Seine tollen Erfindungen lassen ihn glauben, er habe das Geheimnis der Verbindung zwischen Körper und Seele gelöst. Eines Tages jedoch bleiben überall in der Stadt alle Uhren stehen, die er gefertigt hat. Obwohl sie keinen mechanischen Fehler aufweisen, lassen sie sich nicht wieder zum Laufen bewegen. Zacharius ist verzweifelt. Da erscheint ein spöttisches Männchen und bietet ihm einen verlockenden Handel an …

Der Autor

Jules Verne, geboren 1828 in Nantes, wo er auch aufwuchs, studierte Jura in Paris, bevor er ein viel größeres Interesse am Theater bekam. In Gemeinschaftsarbeit mit Alexandre Dumas – dem Autor der „Drei Musketiere“ – schrieb er Opern, Libretti und Dramen. Erst 1863 begann er mit der Niederschrift seiner Abenteuer- und Zukunftsromane. Zu seinen bekanntesten Werken gehören „Reise zum Mittelpunkt der Erde“, „20.000 Meilen unter den Meeren“ und natürlich „Reise um die Erde in 80 Tagen“. Alle diese Romane wurden verfilmt. Die Verfilmung der „Reise um die Erde“ mit David Niven als Phileas Fogg (1956) wurde mit fünf Oscars ausgezeichnet. Verne starb 1905 in Amiens.

|Jules Verne bei Buchwurm.info| (Auswahl):

[„Jules Verne. Biografie“ 1090
[„Die Jagd auf den Meteor. Originalfassung“ 3354
[„Reise zum Mittelpunkt der Erde“ 325 (Buch)
[„Reise zum Mittelpunkt der Erde“ 2282 (Hörspiel)
[„20.000 Meilen unter den Meeren“ 518 (Hörspiel)
[„Von der Erde zum Mond“ 989 (Hörbuch)
[„Reise um die Erde in achtzig Tagen“ 944

Der Sprecher

Der Bühnenschauspieler Hans-Gerd Kilbinger trat unter anderem als Synchronsprecher in „Akira“ (1988) [2. Synchro (DVD 2005)] in Erscheinung, war aber auch im Hörspiel- und Reklamebereich sowie als Kommentator tätig.

Regie führte Daniela Wakonigg, zusammen mit Peter Harrsch betreute sie das Sounddesign und zeichnet auch für die Hörbuchbearbeitung der Erzählung verantwortlich. Die Musik spielte Peter Harrsch ein.

Handlung

Der Uhrmacher Zacharius lebt in einem der ältesten Häuser der Kaufmannsstadt Genf an der Rhone. Keiner weiß, wie alt Zacharius wirklich ist, aber jeder weiß, dass man seine Uhren sogar in Frankreich und Deutschland bewundert. Mit dem alten Mann leben seine Tochter Gérande, sein Geselle Aubert, der die 18-jährige Gérande heiraten möchte, und die alte Haushälterin Scholastica. Sie machen sich große Sorgen um ihn, denn er ist in letzter Zeit schweigsam und mürrisch.

Aubert erklärt den Frauen, was es mit Zacharius‘ Laune auf sich hat. Alle seine Uhren, die er jemals gefertigt hat, seien stehengeblieben und ließen sich auch nicht durch eine Reparatur wieder in Gang setzen. Scholastica, eine alte stramme Katholikin – die Zeit liegt demnach vor der calvinistischen Reformation – wusste schon immer, dass diese mechanischen Apparate „Teufelswerk“ sind. Diese neumodischen Dinger – wer braucht sie überhaupt? Reicht nicht die Kirchturmuhr, die die Stunde schlägt? Die drei Mitbewohner beten für Meister Zacharius‘ Seele.

Am nächsten Tag erklärt der Meister seinem Gesellen, dass er sich durchaus im Klaren darüber sei, dass man ihn für verrückt halte. Wie könne auch jemand behaupten, er habe das Geheimnis der Verbindung zwischen Leib und Seele ergründet? Aber er, der große Zacharius, habe endlich durch Erfindung der Hemmung das Getriebe einer Uhr so genau gemacht, dass man ihrer Zeitanzeige vertrauen kann. Es sei ganz einfach: Die Unruh versetzt die Uhr in Bewegung und entspricht der Seele, das Pendel reguliert die Seele. Beide interagieren durch die regulierende Hemmung made by Zacharius. „Das Leben ist eine sinnreiche Mechanik!“ Er habe Gott als Schöpfer kopiert, folglich stecken in den Uhren Teile seiner Seele. Diese Eitelkeit hilft ihm aber nichts, denn schon wieder bringt man ihm eine stehengebliebene Uhr, deren Kaufwert er zurückerstatten muss. Er verarmt zusehends.

Zacharius trifft Vorkehrungen für seine Nachfolge und will seine Tochter dem Gesellen geben, wie er seiner Haushälterin anvertraut. Doch beim Kirchgang kräht ein „kleiner Greis“, dass Gérande Aubert niemals heiraten werde. Das Männlein ist des Öfteren vor der Kirche St. Peter zu sehen und schleicht Gérande sogar nach. So bleibt es nicht aus, dass es eines Tages bei Zacharius anklopft. Es sei ebenfalls Uhrmacher und verstehe Zacharius vollkommen. Es prophezeit, dass Zacharius sterben werde, sobald die letzte seiner Uhren stehenbleibe. Er halte sich für unsterblich, denn ohne ihn stürbe die Zeit an sich – welch eine Hybris! Sie brachte bekanntlich schon Luzifer zu Fall. Doch um dieses traurige Ende aufzuhalten, biete er, der kleine Greis, einen Ausweg: Zacharius müsse ihm nur die Hand seiner Tochter geben.

Zacharius wirft das Männlein zwar zunächst hinaus, doch die Angst um sein eigenes Leben lässt ihn in seinem Entschluss wankend werden. Da erinnert ihn Gérande an seine allererste Uhr, die er für den Schlossherrn von Andermatt vor zwanzig Jahren fertigte. Bestimmt geht sie doch noch richtig. In der Tat findet er in seiner Kundenliste, dass sie die einzige seiner Uhren ist, die nicht zurückgegeben wurde. Sie gehört einem gewissen Herrn Pitonaccio. Zacharius setzt diese erste und letzte Uhr mit seiner eigenen Seele gleich – schließlich hat er damit Gott kopiert – und macht sich im Frühjahr auf den Weg, sie zu sehen.

Obwohl der Orkan bald in einen üblen Schneesturm übergeht, machen sich Gérande und Aubert auf den Weg, ihren todkranken Vater vor dem Schlimmsten zu bewahren. In der Schlosskapelle von Andermatt erleben alle eine Überraschung. Die Uhr geht – aber wie lange noch?

Mein Eindruck

Jetzt schlägt’s dreizehn! Dieser empörte Ausruf kommt mir in den Sinn, wenn ich solche pseudoreligiösen Geschichten lese. Das hätte ich von dem guten alten Verne nie erwartet. Hier verbindet sich spätromantisches Gedankengut mit Sagenvorlagen und einer ernsten Warnung vor den teuflischen Folgen menschlicher Hybris – siehe Luzifer, der gefallene Engel. Nicht nur Scholastica – ein Name, der auf die Kirchenlehrer verweist – sondern auch Verne selbst hebt den mahnenden Zeigefinger. Kein Wunder, dass die Geschichte zuerst in einem Blatt namens „Familienmusentempel“ (Musée des familles) abgedruckt werden konnte. Da war der Autor gerade mal 26 Jahre alt.

Manichäismus

Die Welt seiner Erzählung ist sauber geschieden: Einerseits leben die Frommen und Rechtgläubigen, das heißt die Katholiken, im Stand der Gnade, und ihre reinste Verkörperung ist die marienhafte Gérande, die als eine Art Madonna gezeichnet wird. Auf der anderen Seite stehen die finsteren Mächte, die weder in die Kirche gehen noch sich in Demut vor Gott dem Allmächtigen üben. Ja, diese Frevler, gehen sogar so weit, dass sie glauben, Gott kopieren zu können. Gemeint ist natürlich Zacharius, der faustische Charakter, dem ein Pakt mit dem Teufel angeboten wird – um den Preis der Madonna Gérande.

Also sprach der Teufel

Die Hybris spricht folgendermaßen zu ihm, und zwar mit Sinnsprüchen, welche die Uhr in Andermatt anzeigt, wenn sie nach Mitternacht die volle Stunde schlägt: 1) „Der Mensch kann Gott gleich werden.“ 2) „Der Mensch soll ein Sklave der Wissenschaft sein und ihr Eltern und Kinder zum Opfer bringen.“ Als der fromme Eremit diese teuflische Uhr stoppt, zeigt sie einen letzten Spruch, der ganz anders klingt: „Wer da versucht, Gott gleich zu sein, der ist verdammt!“ Dann zerspringt die Uhr. Was für Zacharius‘ Gemütszustand erwartungsgemäß höchst abträglich ist.

Rumpelstilzchen

Die Geschichte erinnert mich einerseits an das bekannte Grimmsche Märchen vom Rumpelstilzchen. Dort muss die arme Müllerstochter einen Teufelspakt eingehen, weil ihr Vater behauptet hat, seine Tochter könne Stroh zu Gold spinnen. Die Lösung des Paktes gelingt jedoch ohne göttliche oder priesterliche Intervention, einfach indem sie den Namen des Bösewichts herausbringt: „Ach, wie gut das niemand weiß …“ Der Name verleiht bekanntlich im mystischen Volksglauben Macht über die benannte Person. Deshalb hatten die Kelten immer zwei Namen, einen geheimen und einen für den Alltagsgebrauch.

Metropolis

Die andere Assoziation betrifft [„Metropolis“ 1415 von Fritz Lang. Auch dort gibt es eine riesige Uhr, die die Arbeiter kommandiert, und selbst der Mann, der sie einstellt, ist ihr sklavisch unterworfen. Hier hat offensichtlich Wissenschaft von der Zeit die absolute Herrschaft über Arbeit und Wissenschaft übernommen. Der Herr der Arbeiter, der Industriemagnat Fredersen, hat einen korrupten Wissenschaftler namens Rotwang in seinen Diensten, der ihm eine Kopie der Madonna der Arbeiter erschafft. Diese Robotermaria erscheint zunächst wie eine Maschine aus Metall, doch es gelingt es dem Zauberer-Wissenschaftler Rotwang, sie wie die echte Menschenfrau aussehen zu lassen und auf diese Weise – wie mit einem untergeschobenen Kuckuckskind – die Arbeiter zu steuern.

Technik als Entfremdung

In vielen seiner bedeutenderen späteren Werke, die auf seinen lange verschollenen – und ebenso technikfeindlichen – Erstling „Paris im 20. Jahrhundert“ aus dem Jahr 1863 folgten, warnt Verne nicht so direkt vor der teuflischen Wissenschaft. Denkt man an die Flüge zum und um den Mond oder an die Tauchfahrten mit Kapitän Nemo, so erscheinen die Errungenschaften der Wissenschaften eher als bewundernswerte Segnungen, die lediglich nur ein kleines Problem haben: Sie bringen den Menschen, die sich ihrer bedienen, selten Glück. Nemo beispielsweise ist ein Misanthrop geworden, der am liebsten allein die Wunder der Wasserwelt erkundet. Der Techniker als Genie und selbstbewusstes Individuum hat sich von seinen Mitmenschen entfremdet.

Schwarzweißmalerei

Aber nie wieder hat sich dann Verne zu einer derartigen Schwarzweißmalerei wie in „Meister Zacharius“ herbeigelassen, die die Technik zu Teufelswerk erklärt und den Techniker zu einem Zauberlehrling, der einen Pakt mit dem Widersacher geradezu herausfordert. Der sozioökonomische Druck, der durch den Rückkauf seiner Uhren entstanden ist, zwingt Zacharius mindestens genauso wie die existentielle Angst, seine Seele zu verlieren, seine Tochter, deren unschuldige und superfromme Seele sowie ihr Liebesglück mit Aubert zu verpfänden.

Diese krude Zuspitzung und Gegenüberstellung von religiöser Rechtgläubigkeit vs. technischem Teufelswerk und -pakt ist später unmöglich wieder realisierbar geworden. Ich kann sie mir nur so erklären, dass es sich hierbei um ein Frühwerk des Erfolg suchenden jungen Verne handelt, der es unbedingt einer Familienzeitschrift recht machen wollte und nach deren moralischen Vorgaben eine Story schnitzte, die späteren Ansprüche nicht mehr standhielt. Sie wurde nach den im Booklet nachzulesenden Angaben des Verlags erst im Jahr 1875, also 20 Jahre später, in Buchform veröffentlicht (in „Le Docteur Ox“). Zu dieser Zeit war Verne bereits ein vermögender und weltbekannter Autor, der ab 1871 in Amiens in der Kommunalpolitik mitmischte (und prompt Opfer eines Anschlags wurde).

Der Sprecher

Hans-Gerd Kilbinger ist ein ausgezeichneter Sprecher, der mich mit seiner Kunst in Erstaunen versetzt hat. Er stellt in dieser schönen Lesung sein bemerkenswertes Einfühlungsvermögen unter Beweis. Er charakterisiert jede Figur genau und unterscheidbar durch die Höhe der Stimmlage und auch durch die Sprechweise. Während der junge Aubert eine ganz normale Männerstimme besitzt, raunt und ächzt und stöhnt Zacharius, dass man seine seelischen wie auch körperlichen Qualen schnell nachfühlen kann. Gérande ist die fromme Unschuld in Reinkultur, doch Kilbinger lässt sie wenigstens halbwegs wie ein menschliches Wesen erscheinen. Die alte Scholastica ist die paradoxe Verkörperung von praktischem Alltagssinn und frommem Aberglauben („Teufelswerk!“).

Auftritt des kleinen teuflischen Männleins. Zunächst lacht es spöttisch, redet krächzend, dann lockt es betörend mit seinem Mitgefühl und dem Angebot eines Auswegs aus der Misere, in der Zacharius sich sieht. Im Showdown, der vor der Uhr in Andermatt stattfindet, lacht das Männlein natürlich wieder gar abscheulich. Aber sein schließlicher Abgang ist doch etwas enttäuschend, was die Akustik anbelangt. Da erfolgt nämlich kein Donnerschlag, wie zu erwarten, sondern – gar nichts. Was doch ein bisschen wenig ist.

Geräusche

Wie schon bei den zahlreichen anderen Lesungen aus dem Hause |Stimmbuch| erklingen auch hier professionell gestaltete Geräusche und eine Mischung aus passenden Musikmotiven. Der Wind ist schier allgegenwärtig, und ebenso häufig ist das Motiv der Uhr. Mal schlägt sie dröhnend vom Kirchturm, dann wieder ist ein knirschendes Räderwerk zu vernehmen, schließlich eine lieblich tönende Spieluhr, die schon fast Musik zu nennen ist. Tierlaute sind äußerst selten, und dass ausgerechnet Fledermäuse durch eine Ruine fiepen, lässt diesen Ort nicht unbedingt als einladend erscheinen.

Die Musik

Das Hauptmotiv für den Einsatz von Musik ist die eindeutige Charakterisierung einer Szene oder einer Person hinsichtlich Stimmung oder Entwicklung. So erklingt beispielsweise in der Kirche eine feierliche Orgel, wenn es gerade keine Glocke ist. Immer wieder taucht als Hintergrundmusik ein Ensemble aus Flöte, Cello, Bass und Harfe auf – ein Piano ist hier selten. Tiefe Bässe, die alleine daherkommen, künden natürlich drohendes Unheil an.

Das Gegenteil sind die verspielten Töne, die den Ruhephasen und der frommen Tochter zugeordnet sind. Da ertönen eine zarte Oboe, eine filigrane Harfe und schließlich noch eine Spieluhr, um das heiter-besinnliche, vielleicht sogar verträumte Ambiente zu charakterisieren. Ein weiteres musikalisches Motiv, das wiederkehrt, ist ein Soundeffekt, den ich einfach mal als „äolischen Sphärenklang“ bezeichnen will. Er klingt geisterhaft, mystisch und ist keinem klassischen Instrument zuzuordnen, das mir bekannt wäre. Stets ist damit eine mystische Stimmung gekennzeichnet.


Unterm Strich

Sicher, die Thematik von Faust, Teufelspakt und Wissenschaftskritik hat ihre Reize, aber die Kritik am frommen Glauben aufzuhängen, dürfte heute nur fromme Gläubige ansprechen. Stattdessen ist ja heute wieder Mystizismus in Mode. Und Zacharius hat mit Goethes bewundernswertem Dr. Johann Faust überhaupt nichts gemein.

In ihrem Plot erinnert die Story an manches von E. T. A. Hoffmann aus der so genannten „Schwarzen Romantik“, doch ist etwa Hoffmanns „Der Sandmann“, in dem ein früher Roboter auftritt, sehr viel intensiver und psychologisch überzeugender als Vernes Machwerk.

Das Hörbuch wurde von Daniela Wakonigg und Peter Harrsch gewohnt eindrucksvoll produziert und mit einem informativen Booklet ausgestattet.

Originaltitel: Maitre Zacharius ou l’horloger qui avait perdu son âme, 1854
Aus dem Französischen übersetzt von Martha Lion
74 Minuten auf 1 CD

http://www.stimmbuch.de

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