Vincent – Albatros 1: Shanghait

_Story_

Im Jahre 1890 wird eine kleine Hafenregion an der Westküste von einer Horde schreckenverbreitender Seevögel heimgesucht. Tod und Entsetzen überschatten die einst so friedliche Ortschaft, so dass dem lokalen Gouverneur jegliche Mittel recht sind, um das Federvieh aus seiner Heimat zu verbannen. Unterdessen verdient sich seine Nichte ihre ersten Sporen im zwielichtigen Kabarett von Madame Couradille. Als sie für den hinterhältigen Kommandanten Grayson tanzen soll und er seine widerwärtigen Fingen an sie legt, dreht Ombeline allerdings durch. Sie schlägt den gemeinen Beamten blutig und flieht mit ihrer Freundin Ayette in die hintersten Winkel der Stadt.

Doch ihre Hoffnung, am Grab ihrer Mutter vorläufig Zuflucht zu finden, wird alsbald zerschlagen. Das fliegende Piratenschiff Albatros ankert über dem Friedhof, eröffnet den beiden Flüchtigen jedoch die Chance, sich an Bord des Luftmobils einzuschleusen. Gesagt, getan. Tatsächlich gelingt Ombeline der Einstieg in die ‚Albatros‘, doch macht sie das Schiff dadurch zur Zielscheibe der zahlreichen Häscher. Der Gouverneur möchte nämlich nichts lieber, als seine Nichte möglichst bald wieder in Madame Couradilles Lokalität begrüßen zu können.

_Persönlicher Eindruck_

„Albatros“ ist der Titel eines neuen Comic-Dreiteilers aus dem Hause |Splitter|, geschrieben und gezeichnet vom Szene-Frischling Vincent, der hiermit sein deutschlandweites Debüt begeht. Allerdings dürfte es dem Neuling schwerfallen, sich mit dieser Reihe zügig zu etablieren, weil die Geschichte einerseits eher minder spektakulär ist und das Gros der Inhalte anderen, weitaus bekannteren Vorlagen entnommen wurde. Komischerweise ist der offensichtlichste Querverweis zu Alfred Hitchcocks Meisterwerk „Die Vögel“ dabei nicht das zentrale Thema des ersten Hardcover-Albums, sondern bislang nur ein kleines Puzzleteil innerhalb dieser weniger komplexen Handlung. Der Leser wird zwar mit der massiven Vogelplage konfrontiert und erfährt auch auf manchen Seiten die blutigen Konsequenzen ihres unkontrollierten Treibens, erkennt aber schnell, dass es sich hierbei lediglich um schmückendes Beiwerk eines interessanten, aber noch nicht durchweg überzeugenden Plots handelt.

Unterdessen inszeniert Vincent die Story äußerst linear und beschreibt ohne weitere Ausschweife die Geschichte eines 14-jährigen Mädchens, welches vergebens versucht, dem Sumpf der Prostitution zu entfliehen, obschon ihre Herkunft sie grundsätzlich in ihrem Bemühen unterstützen sollte, schließlich ist sie die Nichte des Gouverneurs – und alleine diese Tatsache mutet schon ziemlich seltsam an. Mit letzter Kraft rettet sie sich durch die Hinterhöfe und die finsteren Gassen der Stadt bis auf den Friedhof, der jedoch auch nur vorübergehend sicher ist. Schon bald machen sie und ihre unschlüssige Begleiterin Ayette bereits Bekanntschaft mit einer Horde Luftpiraten, die das junge Mädchen unter ihre Fittiche nehmen, daraufhin aber unter schweren Beschuss geraten. Ist die Liebe des Gouverneurs zu seiner Nichte also doch stärker, als die äußeren Umstände vermuten lassen?

So manche inhaltliche Wendung scheint im Auftaktband „Shanghait“ ein wenig ambivalent geraten, besonders was die Entwicklung der Charaktere anbetrifft. Zwar nutzt der Autor die Gelegenheit, die tragenden Figuren im Debüt ausführlich vorzustellen, macht dies jedoch auf Kosten der Handlung, die sich trotz der steten Rasanz inhaltlich nur bedingt fortbewegt. Bei der recht unterschiedlichen Präsentation so manch dominanten Kopfes ist dies mitunter aber auch eine schwierige Angelegenheit! Darunter leidet auch die Erzählatmosphäre ein wenig, will sich sogar bis zum Schluss nie so richtig einstellen. Man weiß weder kognitiv noch emotional, woran man bei dieser einleitenden Geschichte ist und findet folgerichtig auch keinen echten Zugang zu den vermeintlichen Sympathieträgern.

Lediglich die verblüffend stimmigen Zeichnungen lösen letzten Endes Begeisterung aus und machen den Auftakt von „Albatros“ zumindest auf dieser Ebene zu einer lohnenswerten Angelegenheit. Nimmt man indes die eigentliche Story als Maßstab, ist „Shanghait“ eher Mittelmaß.

http://www.splitter-verlag.de

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