Wakonigg, Daniela / Harrsch, Peter – Mythos & Wahrheit: Sherlock Holmes. Eine Spurensuche mit Musik und Geräuschen

_Shilling Shocker Sherlock_

Sherlock Holmes ist ohne Zweifel der größte Meisterdetektiv aller Zeiten. Seine Beobachtungsgabe ist berühmt, sein überlegener Verstand legendär. Mit ihrer Hilfe und der moralischen Unterstützung seines Freundes John H. Watson löst Holmes im düsteren, nebligen London des ausgehenden 19. Jahrhunderts Fälle, um deren Aufklärung sich Scotland Yard vergeblich bemüht.

Wie begann die Freundschaft zwischen Holmes und Watson? Wie steht es mit Holmes und den Frauen? Und vor allem: Hat der Meisterdetektiv tatsächlich gelebt oder ist er „nur“ eine literarische Erfindung?

Das vorliegende Hörbuch gehört zu der Sach-Hörbuch-Reihe „STIMMBUCH Mythos & Wahrheit“ und will dem Hörer „spannende historische Spurensuche, untermalt von Musik und Geräuschen“ bieten. Ob das so hinhaut, wie gedacht, wird sich herausstellen.

_Der Autor Arthur Conan Doyle_

Sir Arthur Conan Doyle lebte von 1859 bis 1930 und gelangte mit seinen Erzählungen um den Meisterdetektiv Sherlock Holmes zu Weltruhm. Dabei begann der Mediziner, der eine eigene Praxis hatte, erst 1882 mit dem Schreiben, um seinen Einkommen aufzubessern. Neben mystischen und parapsychologischen Themen griff er 1912 auch die Idee einer verschollenen Region (mit Dinosauriern und Urzeitmenschen) auf, die von der modernen Welt abgeschnitten ist: [„The Lost World“ 1780 erwies sich enorm einflussreich und wurde schon 13 Jahre später von einem Trickspezialisten verfilmt.

|Arthur Conan Doyle bei Buchwurm.info (Auswahl):|

[„Die geheimnisvolle Kiste“ 3756
[„Im Zeichen der Vier“ 2285
[„Die vergessene Welt“ 1780
[„Der Hund der Baskervilles“ 1896
[„Eine Studie in Scharlachrot“ 2066
[„Der griechische Dolmetscher“ 2427
[„Der Patient“ 3609

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Die Stimme des Erzählers gehört Bodo Primus, den Holmes spricht Matthias Haase, den Dr. Watson spricht Axel Gottschick und Arthur Conan Doyles Stimmbandvertretung ist Hans-Gerd Kilbinger.

|Die Macher|

Daniela Wakonigg wirkte als Autorin, Übersetzerin, Regisseur und Sounddesignerin an diesem Hörbuch mit. Die Musik und Teile des Sounddesigns steuerte Peter Harrsch bei.

_Inhalte_

1. Die Wahrheit über Mr. Sherlock Holmes
2. Holmes, Watson und wie alles begann
3. Die Wissenschaft der Deduktion
4. Der erste Fall (Eine Studie in Scharlachrot)
5. Holmes‘ dunkle Seite (Im Zeichen der Vier)
6. Erfolg in London
7. Holmes und die Frauen (Irene Adler, Eine Affäre in Böhmen)
8. Wundersames und Wunderliches
9. Sherlock Holmes muss sterben (die Reichenbachfälle)
10. Die Wiederauferstehung (Das leere Haus)
11. Veränderungen (Der Hund der Baskervilles)
12. Vielleicht das letzte Mal

_Handlung_

Man schreibt das Jahr 1893 und das ganze Königreich trauert: Sherlock Holmes ist tot! Das GANZE Königreich? Nicht ganz: Holmes‘ Schöpfer Arthur Conan Doyle atmet erleichtert auf. Endlich ist er seinen Helden los. Denn eigentlich betrachtet sich der Augenarzt Doyle als seriöser Schriftsteller und nicht als Verfasser von Storys für die Massenblätter. Das hat etwas Degoutantes an sich.

Doch Doyle freut sich zu früh. Seit fünf Jahren, genauer: Seit dem März 1886 schreibt er über seine berühmteste Schöpfung und dessen Biographen Dr. John Watson, einen Militärarzt. Doch die Geschichte „Eine Studie in Scharlachrot“ wird erst im Dezember 1887 gedruckt: als „Shilling Shocker“. Dann folgen 1890 „Das Zeichen der Vier“ und 1891 im berühmten „Strand“-Magazin (Auflage: 300.000 Exemplare!) schließlich der Durchbruch mit „Ein Skandal in Böhmen“. Danach folgen viele weitere Storys wie etwa „Das Musgrave-Ritual“ und „Die fünf Orangenkerne“, insgesamt 24 Geschichten. Doyle ist ausgepumpt. Holmes muss sterben.

Doch auf welche Weise befördert man ein Genie ins Jenseits? Jemanden, der schon im Voraus alle Schliche kennt und Kniffe vorausahnt? Die Antwort: Dafür ist ein ebenso großes Genie vonnöten, eines des Verbrechens. Ein Superschurke. Auftritt Professor Moriarty, Genie des Bösen, in der Erzählung „Das letzte Problem“. Der diabolische Mathematiker hat ein globales Syndikat gegründet, das seine Schergen überallhin schicken kann. Am 4. Mai 1891, fast genau zehn Jahre nach Watsons erster Begegnung mit Holmes, stürzen beide Gentlemen die Schweizer Reichenbachfälle hinab.

Britannien trauert. Das heißt: natürlich nicht nur die Insel an sich, sondern das British Empire – und die ehemaligen Kolonien jenseits des Atlantiks ebenso. Dort war „Das Zeichen der Vier“ erstmals in Philadelphia gedruckt worden. Die Leser sind entsetzt. Das „Strand“-Magazin bekommt auf einen Schlag 20.000 Abonnementkündigungen ins Haus geschickt. Selbst die königliche Familie zeigt sich bestürzt, und das will was heißen. Doyle zeigt sich erstaunt, bleibt aber standhaft. Er zieht in den Krieg gegen die südafrikanischen Holländer („Buren“ genannt) und kehrt erst acht Jahre später zurück.

Mit einer genialen Geschichte: „Der Hund der Baskervilles“, die 1901/02 erscheint. Die Auflage ist ratzfatz ausverkauft. Holmes muss leben! Im Jahr darauf (1903) erklärt Doyle die Wiederauferstehung seines Helden in „Das leere Haus“. Holmes erscheint unangekündigt in Watsons Praxis, und dieses eine Mal fällt sein Freund tatsächlich in Ohnmacht. Holmes erklärt: Totsein ist eine Chance. Eine Chance, etwas ganz anderes zu tun, denn man wird weder beobachtet noch von Moriartys Ganoven verfolgt. Holmes bereiste die Welt, sah Tibet und den Orient.

Mehr Geschichten erscheinen, doch 1904 ist England stark verändert. Die Königin ist tot, Edward regiert. Alles ist elektrifiziert, die Welt schnelllebiger geworden. Viktorianische Tugenden wie Beständigkeit sind nicht mehr gefragt. Während Doyle einen Hang zum Spiritismus und Elfenglauben entwickelt, setzt sich Holmes in Sussex zur Ruhe und züchtet Bienen. Watson, nunmehr Witwer (er heiratete Miss Mary Morston aus „Das Zeichen der Vier“), kommt einmal in der Woche zu Besuch.

Von 1908 bis 1917 und dann wieder bis 1927 schreibt Doyle noch weitere Geschichten, die bis alle bis auf eine vor Holmes‘ Ruhestand spielen. In der letzten, „Die letzte Vorstellung“, wird Holmes ein Spion für die Krone und besiegt einen perfiden deutschen Agenten. Der Weltkrieg hat alle und alles verändert. Doyle verlor einen Sohn und seinen Bruder. Am 2. August 1914 endet die Freundschaft zwischen Holmes und Watson nach 33 Jahren für immer …

Nach Doyles Tod 1930 schreiben die Imitatoren bis heute Erzählungen mit und im Geiste von Sherlock Holmes. Er trifft sogar Alice im Wunderland und taucht im 22. Jahrhundert auf.

_Mein Eindruck_

Ich habe diese biographische Werkschau mit fasziniertem Interesse verfolgt. Zum einen deshalb, weil ich keineswegs der totale Holmes-Kenner und absolute Fan bin, und zweitens, weil die Zusammenhänge zwischen Leben und Holmes‘ Entstehung und Entwicklung mit zahlreichen Fakten unterfüttert werden, die selbst gestandene Holmes-Kenner noch interessieren könnten.

So wird die Frage geklärt, wieso Holmes so schrecklich Geige spielt (Doyles Onkel Richard spielte Geige), warum er so eine seltsame Deerstalker-Mütze trägt (Sidney Pagets Bruder trug sie; Paget zeichnete Holmes‘ Gesicht für das Strand-Magazin) und woher überhaupt sein Hauptmerkmal, die Fähigkeit zur logischen Deduktion, stammt. Sie rührt von Prof. Dr. Joseph Bell her, einem Medizindozenten, den Doyle persönlich kannte und für diese seine Fähigkeit endlos bewunderte. Die weltberühmte Adresse Baker Street 221B existiert erst seit 1931, davor war sie rein fiktiv.

Witzig fand ich die Untersuchung von Holmes‘ Verhältnis zu den Frauen. Der Detektiv findet sie unberechenbar und stuft sie als nicht vertrauenswürdig ein. Dies ist nicht die einzige abstoßende Seite seines Charakters. Aber nur einmal bietet ihm eine Frau Paroli und besiegt Holmes sogar: Irene Adler in „Ein Skandal in Böhmen“. Holmes bewundert seine Gegenspielerin sogar, zumindest die Art und Weise, wie sie ihn ausgetrickst hat. Sie schlug ihn mit seinen eigenen Waffen. Allerdings bleibt dies der einzige Fall von Heldin in Holmes‘ Leben. Ob Doyle auch heldenhafte Frauen in seinen historischen Romanen (die heute alle vergessen sind) auftreten ließ, entzieht sich meiner Kenntnis und wird auch in dieser Biografie nicht erwähnt.

|Das Booklet|

Eine kurze Zusammenfassung von Doyles Biografie findet sich zudem im Booklet. Diese ist wesentlich weniger ermüdend als die – eh schon komprimierte – Langfassung, die vorgetragen wird. Die Darstellung wird natürlich in dieser Form nicht den geltenden literaturwissenschaftlichen Ansprüchen gerecht, denn alle Quellenangaben fehlen. Und diese wären das Minimum an Glaubwürdigkeit im Sinne der beanspruchten Spurensuche. Also handelt es sich um eine populärwissenschaftliche Darstellung, die möglichst auch unterhalten soll.

|Die Inszenierung|

Die Stimme des Erzählers gehört Bodo Primus, den Holmes spricht Matthias Haase, den Dr. Watson spricht Axel Gottschick und Arthur Conan Doyles Stimmbandvertretung ist Hans-Gerd Kilbinger. Insgesamt bieten drei Sprecher ihre stimmliche Darstellungskunst auf, um uns die Zitate aus den Werken und Briefen Doyles näherzubringen.

Der Erzähler verbindet die Zitate mit seiner populärwissenschaftlichen und leicht verständlichen Darstellung. „Holmes“ und „Watson“ spielen auch Szenen nach, so dass beispielsweise Holmes schwermütig darüber sinnieren kann, warum er sich Kokain spritzt. (Noch so ein Detail, das den wenigsten Lesern bekannt ist.)

Schön dezent fand ich die zurückhaltend eingesetzte Musik. Die klassische Instrumentierung beschränkt sich in der Hauptsache auf das bekannte Stück des seinerzeit beliebten Viktorianers Edward Elgar, das den Titel „Pomp and Circumstance“ trägt. Diese Instrumentalversion wurde später mit dem Text „Land of Hope and Glory“ versehen und zu einer zweiten oder dritten Nationalhymne der Briten. („Rule, Britannia!“ und „Jerusalem“ sind weitere solche Hymnen des vergangenen Empires.)

Ab und zu klimpert auch mal eine Harfe aus dem Hintergrund, oder eine Oboe klagt – warum ausgerechnet bei der Erwähnung von Mycroft Holmes, ist mir schleierhaft geblieben. Rein illustrativ ist hingegen ein Geigenmotiv eingesetzt. Es soll Holmes‘ idiosynkratische Weise des Geigenspiels verdeutlichen. Sie ist in der Tat gewöhnungsbedürftig und für jedes Orchester ungeeignet.

Geräusche gibt es nur sehr wenige. Einmal tickt eine Uhr im Hintergrund, in einer anderen Szenen stehen „Holmes“ und „Watson“ an der Küste: Möwen schreien über dem Rauschen der Meeresbrandung. Man kann also nicht sagen, dass sich bei diesem Hörbuch um ein Hörspiel handelt, sondern es ist, wie der Verlag richtig schreibt, eine „inszenierte Lesung“.

_Unterm Strich_

Diese populärwissenschaftliche Darstellung (es werden keinerlei Quellenangaben gemacht) bietet demjenigen, der Arthur Conan Doyle und seinen größten Helden kennenlernen will, einen leicht verständlichen, aber durch die Methode begrenzten Zugang.

Mich jedenfalls hat die biografische Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Mythos Holmes und Wahrheit so interessiert, dass ich der inszenierten Lesung mehr als einmal zugehört habe. Die Informationsdichte ist so hoch, dass sich das genaue Zuhören ebenso lohnt wie das mehrmalige anhören. Aber nicht so hoch, dass man vor lauter Details keine Zusammenhänge mehr erkennen würde. Also genau das richtige Niveau für Einsteiger und solche, die den Meisterdetektiv genauer kennenlernen wollen.

Für mich war völlig neu, dass Arthur Conan Doyle neben seinen Geschichten über Holmes und Professor Challenger („The Lost World“, ebenfalls mehrfach verfilmt) auch historische Romane verfasst hat. Leider sind sie in Vergessenheit geraten. Wer weiß: Vielleicht würde es sich angesichts der aktuellen Mode historischer Mystery-Romane durchaus lohnen, sie wieder aus der Versenkung zu holen. Doyle hat schließlich mittlerweile einen klangvollen Namen, und ein „Sir“ ist er obendrein. Die Zeiten der „Shilling Shocker“ hat er längst hinter sich gelassen.

Es wäre zu begrüßen, wenn der Verlag auf seiner Website entsprechende Links zur Verfügung stellen würde. Per Suchmaschine stößt man schnell auf die Erzählungen, die sämtlich online zur Verfügung stehen. Aber Links zu Sekundärliteratur in deutscher Sprache sind etwas schwieriger zu finden. Hier kann sich der Verlag als Helfer beweisen.

|70 Minuten auf 1 CD
Aus dem Englischen übersetzt von Daniela Wakonigg|
http://www.stimmbuch.de/