Walker, Hugh – Magira – Die Macht der Finsternis

Band 1: [„Die Welt des Spielers“ 2141

Das Verschwinden von Daran d’Sorcs Turm hat die Gefährten um Thuon voneinander getrennt.
Thuon, der in eine Figur des ewigen Spiels eingeschlossene Frankari und der Zwerg Thauremach konnten den Turm rechtzeitig verlassen. Bruss und Ilara dagegen wurden mit fortgerissen in eine Welt, die sich ständig verändert. Erst nach und nach wird erkennbar, dass sie auf die Ebene der Waage geraten sind, wo die ewige Schlacht tobt. Doch die Schlacht ist nicht unbedingt ein Problem. Jedenfalls nicht im Vergleich zur Gegenwart Äopes …

Thorich ist inzwischen klar geworden, dass er sich seiner Haut nicht mehr sicher ist, so lange er in Vanada und in Dirians Nähe ist. Am liebsten würde er sich aus dem Staub machen und Thuon suchen. Stattdessen wird er von einer Horde Ishiti entführt und zu Innis gebracht. Innis besteht darauf, dass Thorich ihn nach Ish begleitet. Dort angekommen, erfahren sie, dass ein fremder Mythane namens TrondasKhyn in die Stadt gekommen ist und erneut auf Menschenopfer drängt! Die Geschöpfe, die er aus der Finsternis beschwört, bringen das Grauen über E’lil …

Immerhin gelingt es Thorich, mit heiler Haut davonzukommen. Er weiß aber auch, dass die Geschehnisse in Ish wolsische Truppen auf den Plan rufen werden, und auf Kriegsdienst hat er keine Lust. Also verkrümelt er sich nach Sambun in Kanzanai. Um an ein ordentliches Schwert zu kommen – die kananaischen Krummschwerter liegen ihm nicht – , lässt er sich auf ein gefährliches Abenteuer ein: Er entführt die Tochter eines Kaufmanns aus dem Frauenturm des Palastes! Die Schwester des Fürsten macht sich auch gleich mit aus dem Staub, sie will den Mann nicht heiraten, den der Fürst ihr bestimmt hat. Jetzt hat der Fürst ziemlichen Ärger am Hals, denn der enttäuschte Bräutigam bezichtigt ihn des Verrats. Und zu allem Übel hat ein gewisser TrondasKhyn fest vor, in Sambun erneut zu versuchen, was ihm in Ish missglückt ist …

Der zweite Band des Magira-Zyklus besteht aus zwei Teilen. Während der erste Teil hauptsächlich die Geschehnisse des ersten Bandes zum Abschluss zu bringen scheinen, eröffnet der zweite Teil einen neuen Abschnitt. Die Verbindung zwischen beiden bilden die Gestalt des Mythanen TrondasKhyn sowie die Tatsache, dass wolsische Truppen auf dem Weg nach Norden sind. Diese Ausbreitung der Geschehnisse, ihre Auswirkung auf andere Länder, bildet den roten Faden, an dem sich die Handlung von einem Kontinent zum nächsten ausbreitet wie die Kreise auf der Oberfläche eines Teiches, in den ein Stein geworfen wurde: die Entführung Ilaras. So stellt sich bald heraus, dass nichts von dem, was im ersten Band passierte, abgeschlossen ist! Alles ist eine lange Reihe von Verkettungen.

Neu am zweiten Teil ist: Er spielt in einer anderen Gegend der Welt Magira. Ein anderes Volk taucht auf, mit eigenem Aussehen, eigenen Namen, eigener Kultur und Geschichte. Nicht, dass Hugh Walker darauf übermäßig einginge. Im Grunde wird aus all den Einzelheiten nur eine deutlich herausgehoben, während alle anderen Kleinigkeiten am Rande bleiben: die Angst der Kantussa vor der Wiederkehr der Toten.

Auch die neu auftretenden Charaktere – der Fürst und sein Gegenspieler, die Prinzessin und der Spielmann – sind nur knapp umrissen. Von ihren Gedanken und Gefühlen erfährt der Leser nichts, Hugh Walker definiert seine Protagonisten nach dem, was sie tun und wie sie es tun. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Fürsten von Sambun, der trotz der Knappheit sehr deutlich gezeichnet ist. Der Spielmann und vor allem die Prinzessin werden noch ein Stück fortschreitender Handlung brauchen, um denselben Grad an Lebendigkeit zu erreichen. Aber die Geschehnisse in Kanzania sind ja beleibe noch nicht abgeschlossen.

Der erste Teil setzt ziemlich nahtlos an der Stelle an, an der der letzte Band endete. Er beschreibt Thorichs Weg nach Ish sowie die Geschehnisse dort, und unmittelbar daran angeschlossen die Erlebnisse von Bruss auf der Ebene der Waage. Der Endpunkt von Bruss‘ Odyssee vermittelt den Eindruck, dass beide Stänge irgendwie miteinandern verbunden sind. Wie im ersten Band Ilara, verschiebt auch Bruss das Gewicht auf der Waage zugunsten des Lebens, Ilara hingegen scheint diesmal zugunsten der Finsternis zu wirken. Die Tatsache, dass sie Äopes Ring trägt, der untrennbar mit ihr verbunden ist, verleiht der Göttin Macht über sie.

Wie genau die Ereignisse um Thorich einerseits und Bruss und Ilara andererseits tatsächlich miteinander zusammenhängen, ist nicht ohne Weiteres erkennbar. Die Ebene der Waage ist, vor allem was die Seite der Finsternis betrifft, ein Reich des absoluten Chaos. Aber auch die Seite des Lebens ist nicht immer leicht zu verstehen, denn die Äbhängigkeiten der beiden von einander sind vielfältig. Dies ist die philosophische Ebene des Buches, die den abstrakten Begriff „Kampf zwischen Gut und Böse“ sozusagen in ein konkretes Gleichnis überträgt. Wider Erwarten wird das Verständnis der Zusammenhänge dadurch nicht einfacher. Generell lässt sich sagen, dass das, was sich auf der Waage abspielt, von allem am schwierigsten zu lesen ist.

Selbst die Ebene der Realität liest sich leichter, obwohl Laudmann mit seinen stetigen Andeutungen auch nicht immer einfach zu verstehen ist. Seiner Aussage nach ist es ihm gelungen, sich von der Figur Frankaris, zu der ihn der Autor innerhalb Magiras gemacht hat, zu trennen. Wie er das gemacht hat, würde mich brennend interessieren, genauso die Frage, wie es einer Romanfigur möglich sein sollte, etwas gegen den Willen des Autors zu bewirken.

Kein Zweifel, die Beziehung zwischen Laudmann, dem Autor und der von ihnen erschaffenen Welt ist eine ganz besondere! Bei Laudmann, dessen Manie ihn oft genug am Rande des Wahnsinns entlang führt, ist das nicht weiter verwunderlich, der Autor selbst kann sich dieser fiebrigen, unerbittlichen Zwanghaftigkeit aber offensichtlich auch nicht ganz entziehen. Offenbar steht er ebenfalls bereits mit einem Bein in seiner eigenen Schöpfung. Es scheint, diese Welt der Fantasy hat ein gewisses Eigenleben entwickelt, und so sehr beide Männer auch glauben mögen, sie könnten die Ereignisse dort kontrollieren, so ist es doch offensichtlich, dass auch die Welt selbst die beiden kontrolliert und beeinflusst, ihre Macht, die so absolut scheint, relativiert! Die Grenzen zwischen Traum und Realität verschwimmen zusehends!

Manche Schriftsteller packen ihre Geschichten, vor allem Historienromane, in eine zweite Handlung ein, eine Art Rahmen meist wissenschaftlicher Natur, der der eigentlichen Geschichte einen Hauch von Authentizität vermitteln soll, als hätten die beschriebenen Ereignisse tatsächlich stattgefunden, und zwar genau so wie dargestellt. Walker geht einen ähnlichen Weg, nur in die entgegengesetzte Richtung: In seiner Rahmenhandlung, den Gesprächen zwischen Laudmann und dem Autor, macht er das Unmögliche wirklich, holt die Fantasie in die Realität und erreicht damit dasselbe wie die anderen, nur viel effektiver! Er holt Magira ins Wohnzimmer des Lesers!

Magira gehört zu denjenigen Büchern, die Geduld erfordern. Seine Faszination braucht Zeit, um sich zu entfalten. Für sich betrachtet, mögen die Charaktere sowie ihre bestandenen Abenteuer ein wenig flach wirken. Allerdings sind die verschiedenen Kulturen Magiras nicht allein auf Walkers Fantasie zurückzuführen, sondern auch auf die seiner Mitspieler, insofern bestehen also auch urheberrechtliche Probleme. Abgesehen davon aber erhält Magira seine Tiefe durch die zusätzlichen Ebenen, vor allem die der Waage. Hier kann man auch nicht einfach drüberlesen. Die Prinzipien, die der Waage zugrunde liegen, sowie Laudmanns Gedankengänge erfordern tatsächlich Konzentration, um sie nachzuvollziehen. Beim nächsten lockeren Abenteuer, sei es Thorichs oder Thuons, kann der Leser sich dann wieder erholen. Magira ist ein wenig wie die Wogen des Meeres, ein ständiges Auf und Ab. Es mag nicht ununterbrochen richtig spannend sein. Aber es wird auch niemals wirklich langweilig.

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