Walker, Hugh – Magira – Die Welt des Spielers

Magira. Als ich den Namen zum ersten Mal las und die Inhaltsangabe des ersten Bandes überflog, wusste ich noch nicht, was für einen Koloss ich da vor mir hatte! Nach dem, was ich inzwischen darüber gefunden habe, muss ich sagen, das Buch ist nur ein Schnipsel!

Allen, denen es jetzt geht wie mir gestern, sei hiermit erklärt, dass Magira ein Brettspiel ist. Zumindest war es das ursprünglich mal. Ursprünglich heißt: vor fast vierzig Jahren! Damals taten sich zwei Männer zusammen und versuchten, unter dem Namen „Armageddon“ ein Strategiespiel zu entwickeln. Der Name war sozusagen Programm. Dazu kam die Idee, den Spielverlauf zu protokollieren. Heute ist aus dem Spiel „Armageddon“ das „ewige Spiel“ geworden, aus den gesammelten Protokollen die Chronik einer Welt, die immer noch wächst. Der Stamm hat Seitentriebe entwickelt: Rollenspiel, Simulation, Lyrik und Prosa, Gesang, Tanz und Kostüme …
Inzwischen wird Magira als Kult bezeichnet.

_Zum Buch:_

Manchmal hat selbst der vernünftigste Mann einen Aussetzer! Wie sonst ließe sich erklären, dass ausgerechnet Thuon, der bisher aller Magie samt den dazugehörigen Göttern erfolgreich aus dem Weg gegangen ist, für einen Beutel voller Edelsteine Ilara, die Opferpriesterin der Äope, entführt hat? Jetzt hat er nicht nur die Tempelsoldaten und die Garde des ishitischen Königs auf den Fersen, sondern auch noch einen Kerl namens Frankari an der Backe, der von sich behauptet, Thuons Welt erdacht und damit ins Leben gerufen zu haben. Eine Aussage, für die die Priester Frankari nur zu gerne auf dem Opferaltar sähen! Trotz dieser und anderer Widrigkeiten gelingt es den Dreien, auf einigen Umwegen den Dschungel von Ish zu verlassen und nach Chara in Tanilorn zu segeln. Thuon ist schon erleichtert, die Sache erfolgreich erledigt zu haben. Doch ehe er sich von den beiden anderen abseilen kann, holt ihn der Auftrag in Gestalt ishitischer Verfolger wieder ein. Die Sache scheint doch langwieriger zu werden als erwartet. Viel, viel langwieriger …

Thuon ist ein recht einfach gestrickter Bursche. Mit Wein, Weib und ein paar gelegentlichen, handfesten Abenteuern ist er vollauf zufrieden. Was nicht heißen soll, dass er dumm wäre, keineswegs. Er hält es nur für Zeitverschwendung, stundenlang über philosophischen Fragen zu grübeln. Die Welt ist, wie sie ist, ganz gleich, wer sie erschaffen hat und wann, und Thuon ist entschlossen, das Beste daraus zu machen. Auch die Erkenntnisse, die seine Bekanntschaft mit Frankari ihm offenbart, ändern nichts an dieser Einstellung.

Ilara dagegen hat noch nie ihren Tempel verlassen, geschweige denn den Urwald. Im Grunde lässt sie sich recht gern entführen, denn erstens will sie frei sein, und zweitens widerstrebt es ihr zu töten. Wenn sie nur nicht solche Angst vor ihrer Göttin hätte! Die lässt erst nach, als der Dschungel hinter ihnen liegt, aber frei ist Ilara damit noch nicht. Sie ist Frankari verfallen. Thuons Verdacht, dass da mit Magie nachgeholfen wurde, ist nicht ganz unbegründet, und doch scheint mehr dahinter zu stecken als ein einfacher Bann …

Viel mehr ist bei diesen beiden – zumindest bisher – nicht zu holen. Der Blickwinkel, von dem aus die Geschehnisse betrachtet werden, liegt großteils bei Thuon, dessen praktische Veranlagung dazu neigt, Fragen mit einem Achselzucken abzutun. Von Ilaras Wünschen oder Gedanken erfährt man so gut wie gar nichts, außerdem vermisste ich die geheimnisvolle Aura und den Blick für das Verborgene, der ihr im Prolog nachgesagt wird. Vielleicht wird das ja noch … So wäre die Personenzeichnung vorerst reichlich fad geraten. Wäre da nicht Frankari!

Frankari ist kein Magiraner, sondern stammt aus der Realität. Etwas Manisches haftet ihm an, nicht nur seinen Gedanken, auch seinem Verhalten. Sein Versuch, den Ereignissen und Abläufen seinen Willen aufzuzwingen, wirkt fast verbissen, als müsste ihn sein Leben in Magira für das in der Realität entschädigen! Doch obwohl er für magiranische Verhältnisse ein Gott ist, sind seine Fähigkeiten noch höchst unvollkommen. Zudem hat er in der Realität einen Gegenspieler, einen Rivalen, der ihm das Recht auf Mitbestimmung der Handlung verweigert: den Autor!

Und damit sind wir bei dem, was das Buch eigentlich interessant macht: die verschiedenen Ebenen. Die grundlegendste Ebene, auf der sich auch das meiste abspielt, ist die Ebene der Welt Magira: der Dschungel von Ish, Tanilorn am Meer, die Steppen von Wolsan. Andere Teile Magiras kommen nur namentlich vor. Auf dieser Ebene sind Thuon und Ilara zu Hause, hier haben die Menschen Namen, hier sind Magiras Leben und Wirklichkeit.

Die mittlere Ebene ist die, die der Feldherr des Lebens als Waage der Welt bezeichnet: Ein einziges riesiges Schlachtfeld! Hier wird der Kampf ausgefochten zwischen der Finsternis und dem Leben, das aus ihr entstand. Das Leben selbst existiert dort nur als Erinnerung. Diese Erinnerung und die Hoffnung auf Wiedergeburt halten die Krieger des Lebens bei der Stange. Krieger, deren Seelen die Reiter der Finsternis von den Schlachtfeldern holten, um auf der Waage der Welt weiterzukämpfen … Das zumindest erzählt die Mythologie der Magiraner.

Die oberste Ebene wird gestellt von unserer Realität. Hier ist Magira ein nicht ausgereiftes Strategie-Spiel, ein riesiges Brett aus lauter sechseckigen Feldern, auf dem die verschiedensten Arten von Plastikfiguren noch unbenutzt herumliegen und -stehen: wilde Krieger, Bogenschützen, gepanzerte Ritter … für eine riesige Schlacht! Hier versucht ein gewisser Laudmann alias Frankari, den Autor von Thuons und Ilaras Geschichte dazu zu bringen, die Handlung seinen Wünschen anzupassen, für ein paar zündende Ideen. Dem Autor scheint das nicht zu gefallen, denn kaum ist dieser Laudmann nach Magira verschwunden, spielt der Autor ihm ein paar üble Streiche.

Die Verbindungstüren zwischen den Ebenen bilden Sechsecke aus Finsternis, was in diesem Fall gleichzusetzen ist mit Magie. Sie finden sich in den Göttertempeln Ishs, aber auch an anderen magischen Orten wie dem Turm des Magiers Daran d’Sorc. Ein Magier muss diese Tore beschwören, in den Tempeln sind sie offenbar einfach da. Sie zu benutzen, ist nicht ungefährlich, denn obwohl das Leben aus der Finsternis entsprungen ist, ist Letztere dem Leben nicht wohlgesonnen. Und jede offene Tür bietet nicht nur einen Weg aus Magira hinaus, sondern auch einen Weg für die Finsternis nach Magira hinein!

Beim ersten Mal hat Frankari noch einen blinden Passagier dabei, als er das Tor durchschreitet. Thuon kann allerdings mit dem Erlebten nichts anfangen, zu befremdlich ist das, was ihm in diesem „Jenseits“ begegnet. Die übrigen Gänge unternimmt Frankari allein. Was genau er dann tut, darüber schweigt er sich aus, die Art und Weise, wie er dem Autor immer wieder seinen Willen aufzwingt, bleibt ein Geheimnis.

Auch sonst werden viele Fragen nicht beantwortet. Nirgendwo steht, was genau ein Mythane ist, und was mit Gisha gemeint ist, muss der Leser sich selbst zusammenreimen. Kennern Magiras fällt das wahrscheinlich gar nicht auf, Neueinsteiger brauchen ein wenig, bis sie sich eingelesen haben.
Ganz allgemein ist Hugh Walker offenbar nicht der Mann des Details. Seine Charaktere sind knapp und treffend skizziert, bleiben aber mit Ausnahme Frankaris, der zumindest mit einem gewissen Geheimnis umgeben ist, ohne echte Tiefe und bisher auch ohne Persönlichkeitsentwicklung. Landschaftsbeschreibungen fehlen fast völlig und die einzelnen Abenteuer sind alle recht kurz gehalten und schnell aufgelöst. Als die Ishiti die Verfolgung Ilaras schließlich aufgeben, fällt damit der einzige rote Faden weg, der die verschiedenen Ereignisse zusammengehalten hat.

Spätestens hier wird deutlich, dass es im Grunde nicht um Thuon und Ilara geht. Es geht um Magira als Ganzes, mitsamt seinem „Jenseits“, es geht um Magira und seine Verbindung zur Realität, es geht um die Rivalität zwischen Laudmann und dem Autor der Geschichte. Dieser Bezug gibt dem Buch seine Vielschichtigkeit, er ist der eigentliche rote Faden. Magira ist mehr als ein Fantasy-Abenteuer, man könnte es als eine Studie über das Verhältnis zwischen Phantasie und Wirklichkeit bezeichnen.

Bisher hat Walker nur einen Bruchteil von Magira angekratzt. Das ist einerseits schade, ich schätze, ein Kenner Magiras dürfte mehr Spaß an dem Buch haben. Andererseits wäre es ziemlich sinnlos, die Neulinge unter den Lesern gleich im ersten Band mit der Fülle dessen zu erschlagen, wozu diese Fantasy-Welt inzwischen angewachsen ist. Immerhin, jetzt steht das Gerüst. Um daraus ein Gebäude zu errichten, fehlen noch eine Menge Zusammenhänge und Antworten. Nun, es fehlen ja auch noch einige Bände. Mag sein, dass in diesem ersten Band durchaus noch Platz für einiges gewesen wäre, was noch verborgen geblieben ist. Ich fand es aber zur Abwechslung mal ganz angenehm, anstelle eines kiloschweren Wälzers ein schlankeres und leichtes Exemplar in der Hand zu halten.

Bleibt nur zu hoffen, dass es diesmal alle Bände bis zur Veröffentlichung schaffen. Lübbes Ausgabe ist nicht der erste Versuch, den Zyklus herauszubringen, nur blieb die Sache immer irgendwo stecken. Die Welt bietet aber noch so viele Möglichkeiten, dass es wirklich schade wäre, wenn der Zyklus erneut unterwegs verhungern würde. Als Outsider hätte ich mir zwar gelegentlich ein paar Informationen mehr gewünscht, oder auch ein paar genauere Beschreibungen, die dem Ganzen ein wenig mehr Stimmung verliehen hätten, trotzdem fand ich das Buch interessant und gut gemacht. Und dem trägen Hirn schadet es wohl nicht, wenn die eigene Vorstellungskraft mal wieder etwas stärker gefordert wurde als üblich.

http://www.mythor.de/walker.html
http://www.follow.de/

Schreibe einen Kommentar