Edgar Wallace / Marc Gruppe – Die blaue Hand (Krimi-Klassiker 3)

Rätselhaft: Blaue Hände auf den Türen

London 1931: Gerade erst hat die junge Eunice Weldon ihre Stellung als Sekretärin von Jane Groat angetreten, als jemand nachts in ihr Zimmer schleicht. Zurück bleibt eine Karte mit einem blauen Handabdruck und einer geheimnisvollen Warnung: „Jemand, der Dich liebt, bittet Dich dringend, dieses Haus so schnell als möglich zu verlassen!“ Welche Gefahr droht Eunice im Haus der Groats?

Der Autor

Edgar (Richard Horatio) Wallace, 1875 bis 1932, war ein britischer Schriftsteller, Bühnenautor und Herausgeber, der für seine Thriller am bekanntesten ist. Wallace erwarb Kenntnisse im Burenkrieg, in dem ab 1905 in Südafrika Engländer gegen die ursprünglichen niederländischen Siedler, die Buren, kämpften. Diese Kenntnisse wandte er mehrfach in seinen Werken an, so etwa auch in der vorliegenden Erzählung „Die blaue Hand“, aber auch in mehreren Romanen, die in der Zukunft spielen.

Er arbeitete als Drehbuchautor in Hollywood, u. a. auch an „King Kong“ (1932), obwohl sein Beitrag wohl recht klein war, denn die Romanfassung schrieb nicht er, sondern Delos Wheeler Lovelace (1894-1967). Aber von ihm stammt das Drehbuch für den Horrorfilm „The Table“, der 1936 von Robert G. Curtis gedreht wurde.

Die Sprecher / Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher:

Jane Groat: Dagmar von Kurmin
Digby Groat, ihr Sohn: Torsten Michaelis (dt. Stimme von Wesley Snipes und Sean Bean)
Septimus Salter, Rechtsanwalt: Heinz Ostermann (Kammerschauspieler)
Jim Steele, sein Gehilfe: David Nathan (Johnny Depp und Leonardo DiCaprio)
Eunice Weldon, Jims Freundin: Heide Jablonka
Mrs. Fane: Gisela Fritsch (Dame Judi Dench, Susan Sarandon)
Madge Benson: Evelyn Maron (Kim Basinger, Ornella Muti)
Jackson, Digbys Butler: Charles Rettinghaus (Robert Downey jr., Jamie Foxx, Jean-Claude van Damme)
Mary Weathervale: Regina Lemnitz (Whoopi Goldberg, Kathy Bates, Diane Keaton)
Tom, Jims Freund, Privatdetektiv: Detlef Bierstedt (Bill Pullman, George Clooney, Robert Englund, Jonathan Frakes)
Postbote: Lothar Didjurgis
Portier: Joachim Tennstedt (John Malkovich, Mickey Rourke, James Belushi, Michael Keaton)

Marc Gruppe schrieb wie stets das Buch und gemeinsam mit Stephan Bosenius setzte er es um. Die Aufnahme fand im Studio |AudioCue| und bei |Kazuya| statt.

Handlung

London 1931. Der Rechtsanwaltsgehilfe Jim Steele lebt in einem Mietshaus direkt an den Gleisen des nahen Bahnhofs von London. Als seine Nachbarin Mrs. Fane „Zu Hilfe!“ ruft, hat er Gelegenheit, seinen guten Charakter zu zeigen. Ihr Gardine brennt und er tritt das Feuer aus. Mrs. Fane scheint bettlägerig zu sein, doch wo ist ihre Krankenpflegerin Miss Benson? Ach, die war beim Portier. Jim verabschiedet sich von der dankbaren Mrs. Fane. Er ahnt nicht, wie viel sie mit seinem nächsten Fall zu tun haben soll.

In der Kanzlei seines Arbeitgebers Septimus Salter beschäftigt er sich mit einer Akte, deren Fall aktuell wird. Nach 20 Jahren Frist wird das Vermögen von Mr. Denton in wenigen Tagen an dessen Schwester und Erbin Jane Groat freigegeben. Es handelt sich um eine Millionensumme. Mr. Salter erklärt Jim, dass dieses Vermögen wegen unglücklicher Umstände nicht an die Witwe Dentons oder an dessen Tochter ausgezahlt werden kann. Beide sind nämlich seit 20 Jahren verschwunden, das heißt: Dorothy Denton, die kleine Tochter, wird sogar für tot gehalten, obwohl niemand ihre Leiche fand.

Da tritt Digby Groat ein, der Sohn Jane Groats, ein richtiger Widerling, der ohne zu fragen raucht, wohin er kommt. Er freut sich natürlich darüber, dass er in wenigen Tagen Millionär sein wird und da eine Firma auf seinem künftigen Land ein Hotel errichten will, fragt er Salter, ob es im Testament oder den Verträgen Bestimmungen gibt, die dem entgegenstünden. Nach Jims Recherche ist dem nicht so, und Groat zieht mit seiner Zigarre wieder ab. Jim und Salter sind froh, dass dieses Ekelpaket wieder fort ist, doch sie werden Groat nicht zum letzten Mal gesehen haben.

Eunice

Jims Freundin ist Miss Eunice Weldon, die hübsche Gehilfin eines Fotografen. Neckend fordert sie ihn beim Ausgehen auf, ihr doch endlich einen Heiratsantrag zu machen. Jim zögert, denn er glaubt, er habe ihr zu wenig an Lebenskomfort anzubieten. Sie wäre dennoch bereit, ihn zu heiraten, meint sie. Als er ihr von der vermissten Dorothy Denton erzählt, die nun in ihrem Alter wäre, nämlich 20, lacht sie. Nein, sie selbst komme aus Kapstadt.

Sie eröffnet ihm überraschend, sie werde am nächsten Tag eine Stelle bei einer gewissen Jane Groat antreten, als Privatsekretärin. Jim ist unangenehm berührt, hält sich aber mit Kommentaren und Warnungen zurück. Schließlich hat er die Frau selbst nie kennen gelernt und kann nicht sagen, ob sie ebenso schlimm ist wie ihr missratener Sohn.

Etwas ist faul im Hause Groat

Als Eunice am nächsten Tag ihre Stelle antritt, ahnt sie nicht, dass sie nur eine weitere Sekretärin von vielen ist, die im Groat-Haushalt ihr Glück versuchten und bald wieder entlassen wurden. Digbys Mutter lehnt es rundweg ab, ihr Briefe zu diktieren. Was hat sie denn sonst hier zu tun, fragt Eunice ihren Arbeitgeber Digby Groat. Offenbar stimmt hier etwas nicht. Er sagt ihr, sie dürfe die Rechnungen der alten Dame abheften und die Buchhaltung erledigen. Immerhin etwas, meint Eunice.

Doch in der Nacht wird sie von etwas an ihrem Fenster geweckt. Jemand ist eingedrungen und hat etwas hinterlassen: eine Karte mit einer aufgedruckten blauen Hand darauf. Wie seltsam. Besorgnis erregt hingegen die Zeile: „Jemand, der Dich liebt, bittet Dich dringend, dieses Haus so schnell als möglich zu verlassen!“ Als die Sprache auf die blaue Hand kommt, reagiert die alte Groat furchtsam und verstört. Was hat das zu bedeuten? Kennt sie das Symbol? Jim, der vor Eunices Fenster aufgetaucht, weiß damit nichts anzufangen, doch er lässt seine Verbindungen spielen.

In der folgenden Nacht tauchen auf sämtlichen Türen des Groat-Hauses blaue Handabdrücke auf …

Mein Eindruck

Für den erfahrenen Krimikenner hält dieser Edgar-Wallace-Klassiker wohl kaum eine einzige Überraschung bereit. Alle diese Finten und Wendungen hat man schon x-mal bei Agatha Christie gelesen. Für den unvorbereiteten Zuhörer hingegen bieten sich dennoch ein paar Aha-Momente. Unter anderem ist einerseits das Rätsel um die blauen Hände zu lösen – die Enthüllung dieses Geheimnisses wird bis zum Schluss aufgehoben, versteht sich.

Zum anderen ist der Verbleib von Lady Mary Denton und ihrer Tochter Dorothy Denton aufzuklären, denn schließlich geht es um sehr viel Geld, das in unrechte Hände zu fallen droht: in die von Digby Groat und seiner kleptomanischen Mutter. Doch es gibt ja in Jim Steeles unmittelbarer Umgebung zwei herzensgute Frau, die durchaus als Lady und Tochter Denton infrage kämen. Und wie das Glück – oder der Autor – will, ist die potenziell betuchte Eunice Jim Steeles Herzensdame. Sollte sich alles einrenken, so steht dem Glück des Paares auch in materieller Hinsicht nichts mehr entgegen.

Doch gilt es noch den Widerstand des Schurken zu überwinden. Schockierende Enthüllungen über die kriminelle Vergangenheit der Groats reichen nicht. Kein Polizei ist weit und breit zu sehen. Daher muss Steele & Co. selbst zur Waffe greifen, um in Wildwestmanier dem Schurken die Stirn zu bieten und ihm das entführte Herzensmädel zu entreißen. Denn dass Eunice keine Karateausbildung vorweisen kann, versteht sich wohl von selbst.

Wie man sieht, erfüllt die Story sämtliche Klischees des melodramatischen Thrillers und man könnte sie im damaligen Filmstil für eine halbe Stunde Film auf die Leinwand bannen. Hierin liegt die fundamentale Schwäche des Thriller-Hörspiels aus dem Hause |Titania|: Man hat diese alten Bilder schon längst im Kopf und weiß, was als nächstes kommen muss. Folglich kommt relativ wenig Spannung auf. Dies ist bei Hörspielproduktionen von unbekannten Gruselstoffen weniger der Fall.

Immerhin fördert Jim Steeles Informationsdurst eine Reihe von überraschenden Enthüllungen zutage. Dass sein Gegenspieler ihm sein Mädel entreißen will, zwingt ihn zu energischem Handeln. Der Showdown über den Wolken verläuft zwar etwas anders als erwartet, aber was wäre ein Thriller ohne das Unterlaufen von Erwartungen?

Die Sprecher/Die Inszenierung

„Die blaue Hand“ ist nicht nur Kino für die Ohren, sondern auch noch Hollywoodkino. Denn hier sprechen nicht irgendwelche Sprecher, sondern die deutschen Stimmen bekannter Stars aus der Filmgeschichte – siehe oben. Dass diese Profis eine solide Performance abliefern, versteht sich fast von selbst, und ich war entsprechend zufrieden.

Nur David Nathan fand ich als Jim Steele fehlbesetzt. Statt einen „einfühlsamen Jüngling“ hätte man hier einen „erfahrenen Mann“ besetzen sollen, der dem Namen „Steele“ alle Ehre macht. Diesem würde dann auch die Handhabung eines Revolvers sowie das Steuern eines Flugzeugs eher zutrauen.

Solche geübten und prestigeträchtigen Sprecher und Sprecherinnen einzusetzen, gehört zum Marketing von Marc Gruppe bzw. |Titania Medien|. Zu den anfänglichen Thrillern kommen inzwischen jeweils traditionsreiche Schauergeschichten und Jugendklassiker wie [„Der kleine Lord“ 1978 hinzu, die den nötigen emotionalen Rahmen für die Entfaltung solcher Stimmtalente liefern.

Geräusche

Das zweite konstante Merkmal der Edgar Wallace-Inszenierungen besteht darin, alle Geräusche sehr realistisch und glaubwürdig zu gestalten, aber sich dabei stets an die Vorgaben des Thrillergenres zu halten. Wenn es also Nacht ist und Furcht und Grauen angesagt sind, so ruft das Käuzchen und am besten rollen noch zwei oder drei Donnerschläge über den Himmel, um den Hörer wissen zu lassen; Gleich wird etwas Schreckliches geschehen, so viel ist klar.

Telefone, Lichtschalter und Dampfloks machen deutlich, dass der Schauplatz schon nach den 1920er Jahren zu suchen ist. Dennoch prasselt in den Wohnzimmern immer noch das Kaminfeuer. Höhepunkt der Handlung ist der Flug in einem Propellerflugzeug. Entsprechende Motoren- und Windgeräusche erklingen in obligatorischer Weise.

Musik

Die Musik ist wie fast jede andere Filmmusik nach konventionellem Muster gestaltet, und niemand, der auf alte Dracula-Filme steht, wird sich daran stören. Die Musik lenkt die Emotionen auf subtile, aber wirkungsvolle Weise. So erklingt etwa jedes Mal, wenn Eunice Weldon auftritt, ein sehr romantisches Motiv, das von Flöten und Harfen gespielt wird. Ansonsten aber hält sich die Inszenierung an die frühen dreißiger Jahre: Da drönt zum Beispiel plötzlich ein flottes Vaudeville-Orchester aus den Boxen, das es den Unvorbereiten beinahe aus dem Sessel hat. Sie lässt das Hörspiel auch wieder ausklingen – der Sound von Happiness, wenn auch ziemlich abgedroschen.

Unterm Strich

Die dreißiger Jahre sind nicht mehr in. Einer der Gründe liegt wohl darin, dass zunächst eine weltweite Wirtschaftskrise herrschte, zugleich der Faschismus an die Macht kam (Hitler, Mussilini, Franco) und schließlich der Zweite Weltkrieg ausbrach. Kein Wunder, dass die Filme damals so düster waren: Der Film noir kam auf.

Aber die Edgar-Wallace-Story ist noch den turbulenten Zwanzigern verhaftet und spielt noch Anfang des Jahrzehnts: 1931. Allein die Tatsache, dass in diesem Jahr überhaupt noch ein Vermögen zu vererben war, mutet im Rückblick schon unwahrscheinlich an. Es stammt zwar aus dem schönen, friedlichen Jahr 1911, aber sämtliche Wertpapiere müssten inzwischen durch den Börsenkrach von 1929 erheblich an Wert verloren haben.

Auch die Hintergründe der Lebensgeschichte der Dorothy Denton sind rückwärts gewandt und dem Anfang des Jahrhunderts verpflichtet. Sie wuchs in Kapstadt auf, das der Autor offenbar aus eigener Anschauung (s. o. Autorennotiz) kannte. Die Spannung bei der Aufklärung dieses Rätsels ist für uns heute kaum noch nachzuvollziehen, aber damals bestimmte die Geburt den Status des Menschen. Der Plot ist hier dem 19. Jahrhundert verpflichtet und verdankt seine Anziehungskraft dem einfachen Melodram, wie es damals in jedem besseren Vaudeville-Theater gespielt wurde.

Alles in allem ergibt sich also ein wenig befriedigender und sehr klischeebelasteter Hintergrund der Story. Daher zählt der Vordergrund umso mehr, und wenigstens hier kann sich der Hörer über Drama, Romanze, Geheimnis und schließlich Action nicht beklagen. Leider könnte daher die Story ebenso gut im Jahr 1888 spielen wie im Jahr 1931. Einzige Ausnahme: der Einsatz eines Flugzeugs. Dies erweist sich als Plot-Device denn auch von größter Bedeutung, weil es den Schauplatz während des Showdowns liefert.

74 Minuten auf 1 CD
http://www.titania-medien.de

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