Ward, Peter – Rubindrache, Der

Rokshan ist Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns in Marakanda. Er führt ein recht beschauliches Leben und hofft, nach Abschluss der Schule Sonderbotschafter zu werden. Doch dieser Traum wird jäh gestört, als der alte Geschichtenerzähler Shou Lao ihm eröffnet, er sei vom Schicksal dazu ausersehen, eine Reise zum Dhavan-Pass anzutreten, da das schlafende Böse erwache. Nicht, dass Rokshan mit dieser Erklärung etwas anfangen könnte, obwohl er in den alten Legenden wohl bewandert ist. Doch dann wird plötzlich sein Vater verhaftet, und so findet sich Rokshan schon bald tatsächlich in einer Karawane auf dem Weg zum Pamirgebirge wieder …

_Rokshan ist ein_ sehr gutherziger Kerl, der von all den seltsamen Ereignissen, die sich plötzlich so häufen, ziemlich verwirrt ist. Was ihn nicht daran hindert, genau das zu tun, was man von ihm erwartet. Mit anderen Worten, ein echter Klischeeheld. Naiv und gutgläubig lässt er sich von allen benutzen und wie ein Schaf zur Schlachtbank führen, wo er sich heldenmütig opfert. Ehrlich, die rebellischen Helden, die aus purem Trotz immer das Gegenteil von dem tun, was sie sollen, gingen mir in letzter Zeit ziemlich auf die Nerven. Aber seit ich Rokshan kenne, weiß ich, warum die Trotzköpfe erfunden wurden.

Sein Bruder An Lushan ist keinen Deut besser. Zwar ist er nicht so reinen Herzens wie Rokshan, aber dasselbe Schaf. Blind vor Naivität tappt er in die Falle und lässt sich verführen, wird zum Verräter an seiner Familie und an der gesamten Menschheit, nur um letzten Endes doch noch auf seine eigene Art und Weise heldenhaft über das Böse zu triumphieren, auch wenn es da längst zu spät ist, zumindest für den Rest der Welt.

Und dann wäre da noch Lianxang. Die Enkelin einer Schamanin aus den Nomadenstämmen im Nordwesten ist natürlich selbst auch eine zukünftige Schamanin und mit Abstand die sympatischste Figur in diesem Buch. Zwar ist sie teilweise ebenso naiv und edelmütig wie Rokshan, aber sie entwickelt zumindest ein gewisses Maß an Eigeninitiative und lässt sich nicht nur herum schubsen, ohne von irgendetwas Ahnung zu haben.

Nach dieser Darlegung muss ich wohl kaum explizit feststellen, dass die Charakterzeichnung in diesem Buch absolut enttäuschend war.

Dasselbe gilt auch für die Handlung. Eine gewisse Grundstruktur lässt sich durchaus erkennen: Während der eine Bruder auf die Reise geht, um die Welt zu retten, gerät der andere in die Fänge der Bedrohung und wird zum Werkzeug. Irgendwann treffen die beiden wieder aufeinander und es kommt zum Kampf.

Bedauerlicherweise ist die Geschichte so hölzern und unbeholfen erzählt, dass es eine wahre Tortur war, sie zu lesen! Nicht nur, dass Rokshan brav von Station zu Station reitet, um dort jeweils ein neues Bröckelchen Information aufzulesen, wie ein Huhn, dem man eine Spur Körner gestreut hat. Der ganze Ablauf diese Reise wirkt so unnatürlich steif, wie ich es nur selten erlebt habe. Rokshan erreicht eine Station, bekommt in einem kurzen Gespräch sein Häppchen serviert, denkt kurz nach und beschließt dann, genau das zu tun, was ihm aufgetragen wird, worauf er wieder aufbricht. Außerdem erwecken diverse Formulierungen den Eindruck von Flickschusterei, etwa, wenn Lianxang, nachdem sie eigentlich alle ihre Kräuter auf Befehl An Lushans verbrannt hat, plötzlich doch noch einen geheimen in ihren Kleidern eingenähten Vorrat auspackt, der vorher nirgends auch nur mit einem Wort erwähnt wurde.

Dazu kommt noch, dass die ganze Sache von dem alten Geschichtenerzähler aufgrund der Konstellation der Sterne und eines Rätsels ins Rollen gebracht wird. Beides wird mit absoluter Bestimmtheit auf eine gewisse Weise interpretiert, und niemand scheint auch nur eine Sekunde lang die geringsten Zweifel an der Richtigkeit dieser Interpretation zu haben. Was die Sterne angeht, wird ihre tatsächliche Konstellation nicht erwähnt. Das Rätsel dagegen ist wörtlich abgedruckt. Und was seine im Buch aufgeführte Bedeutung angeht, so muss ich sagen, dass sie mich nicht überzeugt hat. Für mich klangen diese Zeilen eher wie eine Sterbehymne der Kaiser, die – zumindest in dieser Geschichte – glaubten, nach ihrem Tode von Drachenpferden in den Himmel getragen zu werden. Aber nicht nach der Ankündigung einer ernsten Bedrohung, ganz gleich ob verschlüsselt oder nicht.

Zu guter Letzt hat mir auch der Hintergrund der Geschichte nicht gefallen. Sie beginnt im China des Jahres 818 in Marakanda, wie die Stadt bei den Griechen hieß. Und da fängt es schon an: Wieso sollte jemand in China eine Stadt bei ihrem griechischen Namen nennen? Tatsächlich hieß die Stadt im Jahr 818 Samarkand und lag nicht mehr in China, auch nicht in seinem teilautonomen Westteil, sondern im Reich der Abassiden, also in Persien.

Nun ist ein Mangel an Korrektheit in geschichtlichen Belangen selbst bei Historienromanen keine Seltenheit. Leider ist sie hier auch noch mit einem Mangel an Korrektheit in religiösen Belangen zusammengetroffen! Natürlich hat der Autor recht, wenn er im Nachwort äußert, die verschiedenen Religionen an der Seidenstraße hätten sich miteinander vermischt. Trotzdem mutet es seltsam an, wenn ein buddhistischer Mönch es als Strafe ansieht, wenn eine Seele aus dem Kreis der Wiedergeburt ausgeschlossen wird, denn eigentlich ist es ja das erklärte Ziel des Buddhisten, das Rad der ständigen Wiedergeburt irgendwann zu verlassen. Im Falle dieses Buches ist das allerdings tatsächlich nicht erstrebenswert, denn die der Wiedergeburt entrissenen Seelen landen in der Hölle, obwohl es die im Buddhismus gar nicht gibt. Die Absicht des Autors, alle an der Seidenstraße vertretenen Religionen in seine Geschichte einfließen zu lassen, führt zu einem unüberschaubaren Mischmasch, in dem der Schöpfungsmythos christliche Züge trägt, der oberste Gott jedoch Ahura Mazda heißt und die erschaffene Welt von taoistischen Göttern und chinesischen Mythenwesen belebt ist. Da ist der Leser fast erleichtert, dass Peter Ward auf die einzelnen Religionen gar nicht genauer eingeht, sondern größtenteils nur mit spezifischen Begriffen oder Persönlichkeiten um sich wirft.

Nun ist es ja nicht unbedingt verwerflich, die religiöse Vielfalt jener Region deutlich zu machen. Wenn der Autor sie denn auch deutlich gemacht hätte. Statt dessen verrührt er alles in einem großen Topf zu einer Megagesamtreligion, die jegliche Konturen verloren hat.

Zugegeben, an diesem Buch hatte ich eine Menge zu meckern. Und wenn ich schon mal dabei bin, muss ich an dieser Stelle auch noch erwähnen, dass die Karte vorne im Buch grottenschlecht ist! Wie in aller Welt kommt der Baikalsee in den Westen des Pamirgebirges??

_Sagen wir es so:_ Wer dieses Buch tatsächlich lesen will, der darf sich keinesfalls an so unwichtigen Details stören wie dem, dass die chinesischen Drachen hier Flügel haben oder dass Personennamen aus einem chinesischen Familiennamen, einem chinesischen Vornamen und dann noch einem indischen oder persischen Familiennamen bestehen; er darf sich nicht daran stören, dass die sprachliche Gestaltung nicht nur von grammatikalischen Fehlern strotzt, sondern auch nahezu völlig leblos die einzelnen Ereignisse nacheinander herunter spult; dass die Figuren jegliches Eigenleben vermissen lassen, da selbst ihre gelegentlichen Gedanken an frühere Freunde oder Verwandte, Träume oder Ziele so marionettenhaft daher kommen wie ihre Ausdrucksweise in den Dialogen; und dass die Handlung nur deshalb nicht völlig vorhersehbar ist, weil der wilde Religionsmix und die seltsame Deutung des Rätsels so wirr daher kommen, dass man sie kaum nachvollziehen kann.

Na gut, ich will nicht ungerecht sein: Auf den letzten achtzig Seiten kommt dann doch zumindest ein wenig Spannung auf. Die konnte mich aber kaum dafür entschädigen, dass ich mich dafür zuvor vierhundert Seiten lang durch eine sprachliche und inhaltliche Wüste quälen musste. Sie hat lediglich dafür gesorgt, dass ich das Buch überhaupt fertig gelesen habe.

_Peter Ward_ hat einen Teil seiner Kindheit in verschiedenen asiatischen Ländern verbracht und von dort eine bleibende Faszination für östliche Kulturen, insbesondere China, mitgebracht. Nach einem Studium in Philologie und Religionswissenschaften war er in der Medienbranche tätig, ehe er mit „Der Rubindrache“ seinen ersten Roman verfasste. Er lebt mit seiner Frau und drei Kindern in London.

|Gebundene Ausgabe: 496 Seiten
ISBN-13: 978-3570136546
Originaltitel:| Dragon Horse|
Übersetzt von Gerold Anrich|

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