Weber, Thomas A. – Science Fiction

Die sachliche wie literarisch-unterhaltsame Beschäftigung mit Welten der Zukunft und ihren Bewohnern – das ist das Feld der Science Fiction, die als Literaturgenre noch jung, aber deren Geschichte bereits recht komplex geworden ist. Auf 128 kurzen Seiten wird der Versuch gewagt, das Genre auf seine grundsätzlichen Elemente zu reduzieren und auf diese Weise möglichst kompakt zu erläutern.

„Science Fiction“ gliedert sich wie alle Bände der Reihe „Fischer Kompakt“ in vier Abschnitte. Der „Grundriss“ (S. 3-93) liefert eine Gesamtdarstellung, die „Vertiefungen“ (S. 94-120) informieren über ausgewählte und exemplarische Aspekte des Themas. Ein „Glossar“ (S. 121-128) listet kommentierte Fachbegriffe der Science Fiction auf. Die „Literaturhinweise“ tragen der gewollt knappen (bzw. kompakten) Darstellung Rechnung und bieten Hinweise auf weiterführende Sekundärliteratur. Als besonderer Service werden diese auf der Website http://www.fischer-kompakt.de/sixcms/detail.php?template=autor__hinweise&id=481809 durch aktuelle Links auf weitere SF-Websites ergänzt.

Der „Grundriss“ setzt mit der Frage „Was ist Science Fiction?“ ein; diese Definition ist weder simpel noch eindeutig, denn das Genre erlebte eine schwere Geburt. Es gab im späten 18. und 19. Jahrhundert zahlreiche „Wegbereiter der Science Fiction“, doch das Genre in seiner modernen Prägung ist ein Kind der 1920er Jahre und begann in den USA als „»Pulp«-Science Fiction – Die Gernsback-Ära“. Die allmähliche Entwicklung der SF als zunächst durch und durch triviales, wissenschafts- und technikgläubiges aber zunehmend die Regeln der Unterhaltung meisterndes Genre gipfelte in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre im kurzen aber stürmischen „Goldenen“ Zeitalter.

Nach dem II. Weltkrieg wurde die SF erwachsen. In die Begeisterung über die Erwartung einer glänzenden Zukunft mischten sich zunehmend begründete, aus der Erfahrung erwachsende Zweifel: Es ging offenbar nicht stetig voran mit dem Fortschritt. Vom „»Goldenen Zeitalter« zur Respektabilität und Stagnation“ heißt deshalb das nächste Kapitel, denn auch in der SF verebbten die neuen Impulse schließlich. In den 1960er Jahren kam es zur „Revolte der New Wave“. Die Vertreter einer „neuen“ Science Fiction forderten zur Auslotung der „inneren Welten“ der menschlichen Psyche auf. Diese Abkehr von der „harten“ naturwissenschaftlichen und technikorientierten SF ging einerseits einher mit der Berücksichtigung der bisher wenig beachteten „weichen“ Sozial- und Geisteswissenschaften, während andererseits formal radikal experimentiert wurde. Die „New Wave“ gab Anstöße, lief sich jedoch lahm. Wieder befand sich „Die Science Fiction auf der Suche nach neuen Wegen“. Um 1980 begannen „Cyberpunker und kalte Krieger“ ihren Siegeszug. Die SF setzte auf den scharfen Kontrast zwischen Hightech & Cyberspace und einer sozial entfremdeten bzw. verkümmerten zukünftigen Gesellschaft.

Auch der Cyberpunk erwies sich als kurzlebige Mode. Bewährte und niemals verschwundene Subgenres feierten ihre Renaissance: „Neue Weltraumoper, New Weird und neue harte Science Fiction“ prägen das aktuelle Gesicht der Science Fiction. Das Alte wird im aktualisierten Gewand recycelt, die Grenzen zu anderen Genres öffnen sich. Elemente des Horrors, des Krimis oder der Fantasy fließen stärker denn je in die SF ein. Alles scheint möglich zu sein, während ein Aufbruch in echtes Neuland auf sich warten lässt.

Die „Vertiefungen“ greifen die Aspekte „Hohlweltgeschichten“, „Die britische »scientific romance«“, „Raketenpioniere und die Science Fiction“, „Die klassische Weltraumoper“, „Okkultismus, Scheinwissenschaft und Science Fiction“, „»Harte« Science Fiction“ sowie „Alternative Geschichte“ auf, die im Grundriss nur angesprochen wurden.

Gegen diese recht kunterbunt wirkende Auswahl richtet sich denn auch die einzige gravierende Negativkritik an diesem ansonsten informativen und nützlichen Buch, welche allerdings eingeschränkt werden muss: Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte jeder Autor sich andere Themen gewählt, um mit deren Hilfe die grundsätzliche Darstellung zu vertiefen. Hier ist das vorgegebene Format der limitierende Faktor: „Fischer Kompakt“-Bände weisen einen Standard-Umfang von 128 Seiten auf. Die Limitierung als solche ist eine bewusste und auch nachvollziehbare Entscheidung: Es ist einfacher, sich über ein Thema in epischer Breite zu äußern, als sich kurz zu fassen. In der Kürze liegt die Würze, heißt ein Sprichwort, das sich so übersetzen lässt: Die Kürze zwingt sowohl zur Präzision in der Gliederung des Stoffes als auch in der Formulierung. Dieser Herausforderung zeigt sich durchaus nicht jeder kluge Kopf gewachsen. Thomas Weber hat sich ihr gestellt und sie im Großen & Ganzen bewältigt.

Auf knapp 90 Seiten die wechselvolle Geschichte eines ganzen Genres „einzudampfen“, ist eine Leistung, die Respekt verdient. Natürlich mahnt der SF-Fachmann Aspekte an, die zu kurz gekommen sind oder ganz fehlen. Nur: Trifft dies auch zu? Weber hat den Mut zur Lücke und zur Paraphrasierung; er schuppt die Science Fiction bis auf ihr Grätengerüst ab. Dabei stellt sich heraus, dass diese Gräten zum Teil nur lose oder gar nicht miteinander verbunden sind: Die Geschichte der Science Fiction verläuft (vor allem im Hinblick auf ihre Entwicklung in vielen Ländern dieser Erde, die für den westeuropäisch/angelsächsisch zentrierten Sekundärliteraten immer noch weiße Flecken der Unkenntnis bilden) nicht stringent und sie ist reich an Nebenlinien und Sackgassen. Deshalb setzt jeder SF-Historiker besagtes Gerüst im Detail womöglich ein wenig anders zusammen.

Tritt man einen Schritt zurück und betrachtet Webers Ausführungen als Ganzes, so liefern sie denen, die sich nicht nur als Leser für die Science Fiction, sondern auch für das Genre interessieren, genau die wertvolle Einleitung, die sie schließlich sein sollen: geradlinig in der Darstellung, allgemeinverständlich im Ausdruck, nie verbissen akademisch. (Vielleicht wäre „Science Fiction als Literatur“ als Titel dem Inhalt besser gerecht geworden – die zeitweise außerordentlich engen und wichtigen Wechselwirkungen, die zwischen Kino/Fernsehen und der geschriebenen SF bestehen, werden von Weber nur gestreift, aber dadurch in ihrer Bedeutung immerhin als erkannt markiert.)

Vor allem stellt Weber die Science Fiction nicht als isoliertes Phänomen dar. Auch wenn die Verfechter einer „Hochliteratur“ es immer noch ungern hören, ist die SF ein Element der Literaturgeschichte, die wiederum ein Spiegelbild der gelebten Realität ist. Auch die scheinbar jegliche Bodenhaftung entbehrende Science Fiction wird von Menschen geschrieben, herausgegeben und kommentiert, die politisch, gesellschaftlich, kulturell irgendwo in ihrer Zeit verwurzelt sind. Auf dieser Ebene wird sie zu einer historischen Quelle – zur „Vergangenheit der Zukunft“, wenn man es so ausdrücken will.

Die „Vertiefungen“ sollte man als Angebot verstehen. Sie liefern für ihr jeweiliges Thema interessante Zusatzinformationen. Vor allem machen sie aber deutlich, dass „Science Fiction“ nur einen ersten Überblick bieten kann und soll. In diesem Rahmen bleibt sogar Raum für eine Reihe von Abbildungen. Freilich hätte die deutsche Science Fiction dem deutschen Verfasser Weber wenigstens ein eigenes Kapitel in den „Vertiefungen“ wert sein sollen. Sie kommt definitiv zu kurz! Das ist indes ein Manko, welches nichts am Gesamturteil ändert: „Science Fiction“ gehört in das Regal jedes Lesers, der (oder die) einen Blick hinter die Kulissen „ihres“ Genres werfen möchten.

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