Welsh, Irvine – Drecksau

_Der Gossenpoet und sein blutiger Vorschlaghammer._

Irvine Welsh, der Alptraum eines jeden Feingeistes, ein Poet mit dreckiger Schnauze, ein Hooligan, ein Chronist der schottischen Arbeiterklasse und ihrer schmutzigsten Winkel. Geboren 1961 (oder 1958, da ist man sich nicht sicher) in der schmuddligen Schönheit von Edinburgh, hat er schon bald damit begonnen, seine Welt zu sezieren, mit spitzer Zunge und giftiger Feder – was ihn nach „Trainspotting“ in den Olymp der Vielgelesenen hievte. Es muss seine rabiate Offenheit sein, der Schock, der den Leser überfällt, wenn er Figuren vorgesetzt bekommt, die alle irgendwo zwischen ‚bemittleidenswert‘ und ‚verabscheuungswürdig‘ dahinvegetieren; Welsh zu lesen, ist so, wie Augenzeuge eines Autounfalls zu werden: Man kann auf keinen Fall hinschauen, aber noch weniger kann man wegsehen; wenn die Buchdeckel aufeinanderknallen, wickelt man sich ganz eng in seine Decke und ist froh, wieder in der eigenen, heilen Welt angekommen zu sein, wo es keine Typen wie Francis Begbie gibt und keine Bullen wie im vorliegenden „Drecksau“.

In diesem Roman nämlich nimmt Welsh die schottische Polizistenzunft aufs Korn, ach was, er richtet sie standrechtlich hin. Laut Klappentext wollte die britische Polizei Schritte gegen diesen Roman einleiten, was vielleicht einen kleinen Vorgeschmack dessen vermittelt, was einen erwartet, wenn man sich auf diesen Trip einlässt.

_Der Bock wird zum Gärtner …_

… und frisst sich satt am Salat, den er eigentlich beschützen sollte. Bruce Robertson ist langjähriger Beamter bei der schottischen Polizei, und wenn man versuchen würde, ihn angemessen zu beschreiben, müsste man sich genau der Gossensprache bedienen, die er selbst so exzessiv gebraucht. Mit milderem Wortschatz könnte man ihn als Zyniker beschreiben, verbittert bis ins Mark, korrupt, opportunistisch, intrigant, machtbesessen, frauenverachtend, mit sexuellen Vorlieben, die man versuchshalber als ‚unangenehm‘ bezeichnen könnte. „Robbo“ Robertson stiehlt sich durch seinen Polizistenalltag, klaut Wertgegenstände von Tatorten, saugt sich konfisziertes Koks selbst in die Nase, verschafft sich sexuelle Erregung, indem er Verdächtige erniedrigt, er droht Minderjährigen mit Verhaftung, es sei denn, sie lutschen ihm seinen verschorften Pimmel.

Mit Gesundheit und Hygiene von D. S. Robertson ist es nämlich ähnlich weit her, wie mit seiner moralischen Integrität: Ihn quält ein Ekzem, dass seinen gesamten, nun ja, unteren Bereich in eine verseuchte, juckende Zone verwandelt, und außerdem hat er sich einen Bandwurm eingefangen, wovon unser Vorbildbulle am Anfang des Romans allerdings noch nichts weiß.

Robertsons Frau Carole hat sich eine Auszeit von ihrem Göttergatten gegönnt, weshalb sich der Strohwitwer alleine durch den Alltag schlagen muss. Fastfood, Bier und Fußball sind an der Tagesordnung, frische Hosen finden sich im ganzen Haus nicht, und der Dreck ist so überwältigend geworden, dass Robertson sich gar nicht erst die Mühe macht, an irgendwelche Reinigungsaktivitäten zu denken. Dementsprechend muss sich Brucy-Boy mit alten Stinkehosen begnügen, in denen sein Ekzem wachsen und gedeihen kann.

Ist ihm egal, ebenso wie der Mordfall, den er aufzuklären hätte. Anstatt sich auf seine Ermittlungsarbeit zu konzentrieren, spinnt Robbo Robertson lieber an seinem Netz aus Intrigen und Lügen, um sich selbst den Weg zu einer Beförderung zu ebnen. Dabei konzentriert er sich ganz auf Wochenend- und Nachtarbeit, weil das die fettesten Zuschläge abwirft; außerdem kann er auf diese Weise ganz ungeniert bei Nutten und verzweifelten Hausfrauen vorbeischneien, um ihnen „ordentlich einen zu verlöten“, wie er sich ausdrückt.

Es ist aber nicht alles so einfach und rosig hinter seiner verkoksten Überheblichkeit; der Bandwurm in seinen Därmen wächst prächtig und drängt sich mit schlauen Kommentaren in sein Leben, Carole bleibt länger fort als erwartet, Robbos Intrigen reißen nicht nur seine Kollegen in den Abgrund, und dann scheint es da noch etwas zu geben in Brucies Vergangenheit, etwas, das er allzu gern verdrängen würde, was aus dem Unbewussten sein ganzes Leben steuert, etwas, das nur sein Bandwurm offen auszusprechen wagt … und was seinem Dasein schließlich eine entscheidende Wendung verpasst …

_Brutale Prosa vom anderen Ende der Political Correctnes._

Welsh ist ein Meister der destruktiven Stimmung. Er beherrscht es perfekt, sich auch in die abscheulichsten Figuren hineinzuversetzen, schreibt so glaubwürdig aus ihrer Perspektive, dass es dem Leser manchmal so vorkommt, als würden ihm die Charaktere ins Gesicht atmen. Die Hintergrundstory ist wichtig, zweifellos, man möchte wissen, was es mit dem Bandwurm auf sich hat und warum Carole so lange verschwunden bleibt, außerdem brennt es einem unter den Nägeln zu erfahren, wie weit Bruce Robertson es mit seinen Intrigen treiben wird. Aber das ist nicht der eigentliche Motor, der uns zum Lesen treibt. Die Figuren sind es, ihre Respektlosigkeit, ihr Zynismus und ihre Radikalität – die abartige Kreativität, die sie antreibt und zu Taten veranlasst, über die man nur geschockt staunen kann.

„Drecksau“ ist ein Ausnahmeroman eines Ausnahmeautors. Hier werden Zäune eingerissen und Gewohnheiten niedergetrampelt; Welsh treibt ganze Herden heiliger Kühe zusammen und streckt sie ohne Wimpernzucken nieder. Dieses Buch ist wie eine Achterbahnfahrt, bei der man sich garantiert vollkotzt, es ist ein extremer Trip, der schockiert und nachhält, der beängstigt und verstört. Vor allem aber ist es spürbar anders: keine Spur von gängigen Klischees, von ausgelutschten Dialogen, oder vorhersehbaren Spannungsbögen, keine Spur von Helden oder von gefälligen Konfliktlösungen.

Was wie ein Warnung klingt, ist auch eine. Für zartbesaitete Gemüter dürfte „Drecksau“ ebenso schwer verdaulich sein wie eine Pornovorführung in einer Klosterschule, aber für jeden, der sich eine ordentliche Ladung Zynismus gönnen möchte, ist „Drecksau“ genau die richtige Medizin: bitter, aber heilsam. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder man hasst Welshs Romanwelten und schickt sie mit ihm zum Teufel, oder man hasst seine Romanwelten und lässt sich von ihnen in ihren dunklen Bann ziehen. Ich gehöre zur letzten Kategorie, und kann „Drecksau“ jedem mutigen Hobby-Nihilisten nur wärmstens ans Herz legen. Aber auch wenn sich Welshs Romane einer Gut/schlecht-Kategorisierung entziehen, sei hier noch erwähnt, dass „Drecksau“ eines seiner schwächeren Werke ist. „Trainspotting“, „The Acid House“ oder auch „Porno“ haben deutlich die Nase vorne, vor allem, weil es dort mehrere Figuren gibt, aus deren Perspektive geschrieben wurde, während sich „Drecksau“ auf einen kranken Bullen mit Bandwurm beschränkt.

|Originaltitel: Filth
Deutsch von Clara Drechsler und Harald Hellmann
455 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-423-20493-4|
http://www.dtv.de
http://www.irvinewelsh.com