Welsh, Louise – Kugeltrick, Der

Die preisgekrönte britische Autorin Louise Welsh veröffentlicht mit „Der Kugeltrick“ ihren nunmehr dritten Roman und wird damit voraussichtlich ihre Erfolgsgeschichte fortsetzen. Ihre Bücher wurden bislang in 17 Sprachen übersetzt und bereits ihr Debütroman „Dunkelkammer“ erhielt mehrere Preise. Dieses Mal begleiten wir den Illusionisten und Magier William Wilson auf seiner Tour durch Europa …

_London_: In der englischen Metropole London nimmt die Geschichte um den Zauberer William Wilson ihren Lauf, hier tritt er wieder einmal in einem abgehalfterten Theater im Vorprogramm einer „erotischen Tanzgruppe“ auf. Bei seinem denkwürdigen Auftritt in London trifft es ihn besonders hart, denn er spielt den Anheizer für zwei Striptease-Tänzerinnen, die auf dem Abschiedsabend eines Polizeibeamten für Stimmung sorgen sollen. Williams Auftritt läuft mäßig, er fasst sich kurz und hofft, noch unbescholten von der Bühne zu kommen, doch hinter der Bühne wartet ein weiterer Auftrag auf ihn: Er soll dem pensionierten Beamten einen Umschlag aus dessen Anzugsjacke entwenden, wofür ihm ein ordentlicher Batzen Geld winkt, der auf einen Schlag Williams Finanzkrise beenden könnte. So wundert es nicht weiter, dass ihm auch dieser Auftrag gelingt. Unbemerkt klaut er den besagten Umschlag und bringt ihn zu seinem Auftraggeber, doch dann geht plötzlich alles schief, die beiden werden bei der Übergabe gestört und William flieht mit dem ominösen Umschlag.

_Berlin_: William kennt nur einen Wunsch: weg aus England! Und dieser Wunsch wird ihm tatsächlich erfüllt, als ihm sein Agent ein Engagement in der deutschen Hauptstadt besorgen kann. Dort soll William Wilson im „Spinnenetz“ auftreten, einem schäbigen Theater, wenn auch einem mit einem ganz eigenen Charme. Dort angekommen, verliebt sich William Hals über Kopf in die Freundin eines eingebildeten Muskelprotzes und muss erkennen, dass er auch hier zusammen mit erotischen Tänzern auf der Bühne stehen soll. Schon Williams erster Auftritt beginnt katastrophal, seine Zuschauer sind gelangweilt und warten ungeduldig auf den nächsten Showact, bis William eine Assistentin aus dem Publikum holt und dabei Sylvie kennen lernt. Noch weiß William allerdings nicht, wie sehr diese Begegnung sein Leben verändern wird …

_Glasgow_: Hier treffen wir auf William nach all den Geschehnissen, er lebt auf der Straße und besäuft sich jeden Abend besinnungslos. Er ist verzweifelt und heruntergekommen. Eines Abends schläft er neben einem Penner unter einer Brücke ein und bemerkt dabei gar nicht, dass dieser Penner kurz zuvor brutal ermordet wurde. Als William unsanft von Polizeibeamten geweckt wird, ahnt er, dass ihm neues Unheil droht …

In diesen drei europäischen Schauplätzen hat Louise Welsh ihre Kriminalgeschichte rund um den Zauberer William Wilson angesiedelt. Die Geschichte springt häufig zwischen den einzelnen Handlungsorten und damit auch in der Zeit hin und her. Schnell merkt der Leser, dass die Geschichte in London ihren Anfang genommen hat und in Glasgow enden wird. Berlin schließlich stellt eine Zwischenstation dar, in der allerdings ebenfalls ereignisreiche Dinge geschehen. Zunächst lassen sich die Ereignisse nicht eindeutig in die richtige Reihenfolge bringen, was jedoch auch die Spannung unweigerlich ansteigen lässt, da der Leser noch nicht ahnen kann, welche Episode genau zu Williams Verfall beigetragen hat. Die erste Vermutung erweist sich deswegen erst einmal als falsch, wie der Leser sehr spät bemerken wird.

In eindrucksvollen und ergreifenden Worten schildert uns Louise Welsh einen Ich-Erzähler, der sich mehr oder eher weniger erfolgreich als Illusionist und Mentalist verdingt, dabei aber schonungslos zu verstehen gibt, dass er auch nicht zur oberen Liga der Zauberer gehört und eigentlich eher in den kleinen Zaubertricks und Kartenkunststückchen gut ist. Im Laufe der Geschichte erleben wir jedoch eine erstaunliche Wandlung mit, denn während William anfangs zwar arm und recht erfolglos auftritt, hat er in Glasgow bereits mit seinem Leben abgeschlossen und teilt dort lieber sein Dosenbier mit irgendwelchen Obdachlosen. In schonungslosen Beschreibungen wird uns dieser Verfall näher gebracht:

S. 149: |“Trotz aller Warnungen war Alkohol offenbar ein ziemlich langsamer Killer. Kein Vergleich zu einem Messer im Bauch oder einer Kugel im Kopf. […] In der Taille war ich schon ziemlich auseinandergegangen. Zwischen meinen Fingern war eine Schuppigkeit, die nachts mehr juckte. Meine Haut hatte die breiige Blässe von Häftlingen nach einem halben Jahr Knast. Kosmetikartikel wie Deodorant und Rasierwasser hatte ich aufgegeben, wie auch meine Kontaktlinsen. Die Brille machte mich gleich noch drei Jahre älter, obwohl sie für meine derzeitigen Verhältnisse fast einen Hauch zu modisch war. Ich überlegte, ob ich mir nicht eine neue besorgen sollte, eine, die nicht so deutlich signalisierte, dass ich ein Mann war, der bessere Zeiten gekannt hatte. Mein Haar war auch länger geworden. Manchmal kam es zwei Wochen am Stück nicht mit Shampoo in Berührung, und Festiger und Gel und den ganzen Kram brauchte ich nicht.“|

Auch in zahlreichen anderen Situationen beweist Louise Welsh ihr überragendes Erzähltalent und ihre genaue Beobachtungsgabe. Viele Kleinigkeiten schmücken ihre Erzählung aus, die uns bei den Geschehnissen ganz nah dabei sein lassen, weil uns selbst das winzigste Detail nicht vorenthalten wird. Insbesondere in der Darstellung des Protagonisten aus dem Kugeltrick geht Welsh schonungslos und mit viel Liebe zum Detail zu Werke. Der Leser kann ihn förmlich auf der Bühne stehen und zaubern sehen. Allerdings weckt er eher Mitleid als Sympathien, weil er einfach zu tolpatschig und ohne Aussicht auf Erfolg zu Werke geht.

Doch die wunderbaren Beschreibungen sind nicht das Einzige, was diesen Kriminalroman kennzeichnet, denn umrahmt wird die Erzählung durch eine mysteriöse Kriminalgeschichte, die mit dem Diebstahl des geheimnisvollen Umschlags beginnt. Zunächst passiert dieser Teil der Geschichte ganz nebenbei, William denkt gelegentlich an den Umschlag zurück, den er zur Aufbewahrung an seine Mutter geschickt und sie damit wahrscheinlich in große Gefahr gebracht hat. Doch mit fortschreitender Zeit beginnt William Nachforschungen anzustellen, er öffnet den Umschlag und fängt an, Fragen zu stellen und darauf Antworten zu suchen. Wir begleiten ihn also auch auf seinen Ermittlungen und kommen mit ihm gemeinsam der Lösung des Geheimnisses auf die Spur.

Was aber hat der Kugeltrick mit all dem zu tun? Dies ist wiederum eine weitere Episode, die Teil des Buches ist. Der Kugeltrick ist ein sehr gefährlicher Zaubertrick, den William zusammen mit seiner Assistentin Sylvie auf der Bühne vorführt. Er ist dabei um einiges schwieriger und riskanter als der berühmte Trick, in dem Sylvie vor den Augen der Zuschauer durchgeschnitten und mit Messern aufgeschlitzt wird. Welche Rolle aber genau der Kugeltrick spielt, der sich während der Lektüre immer weiter aus den Gedanken der Leser stiehlt, um dann am Ende ganz plötzlich wieder aufzutauchen, das muss wohl jeder selbst herausfinden.

Am Ende lässt sich festhalten, dass Louise Welsh mit „Der Kugeltrick“ ein eindrucksvoller, aber doch auch ganz anderer Kriminalroman gelungen ist. Es geht nicht so sehr um eine vertrackte Mordermittlung, als vielmehr um William Wilsons Spurensuche und Vergangenheitsbewältigung. Die Kriminalgeschichte kann hierbei allerdings nicht ganz so sehr überzeugen wie die ausgefeilten Beobachtungen und Beschreibungen der Autorin, die uns alle Situationen so bildlich vor Augen führen, als säßen wir selbst im Publikum. „Der Kugeltrick“ ist ein Roman für Buchfreunde, die keine Effekthascherei brauchen und die sich gerne mit ihren Protagonisten auch in ein schummeriges und schmuddeliges Milieu begeben, um dem Ich-Erzähler bei seinem persönlichen Verfall zuzusehen. Als Charakterstudie, die sich herrlich lesen lässt, funktioniert der vorliegende Roman sehr gut, mit Autoren wie Henning Mankell kann und will es Louise Welch jedoch nicht aufnehmen. Wer also lieber eine blutige Mordserie miterleben will, sollte auf den nächsten Schwedenkrimi warten, alle anderen Buchfreunde sind mit Louise Welsh jedoch hervorragend bedient.

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