Wichert, Alex – Fatimas Tränen

_Story_

Als Anführer der Wolverines hat Jari in den letzten Jahren schon einige brisante Aufträge erfolgreich zu Ende gebracht. Nun jedoch soll seine Söldnereinheit in eines der größten Krisengebiete auf dem Globus eingeschleust werden, um ein muslimisches Artefakt zu bergen und zu retten. Unter seiner Leitung wird der einst gefangene Adlerschamane Voiata zusammen mit dem naiven, noch jugendlichen Nachwuchsrunner Reynard und der mysteriösen Flechette hinter die Grenzen Afghanistans eingeschleust, von wo aus die Jagd nach ‚Fatimas Tränen‘ beginnen soll.

Doch noch bevor der Auftrag in die ernste Phase kommt, gerät das Team in interne Schwierigkeiten. Voiata muss sich unfreiwillig seiner bedrückenden Vergangenheit stellen und dabei realisieren, dass sein Wandel zum Schamanen die düsteren Flecken auf seiner Seele nicht hat verdrängen können. Immer häufiger bringt der unberechenbare Adler seine Mitstreiter in Gefahr – und verurteilt die Mission aufgrund seiner persönlichen Egotrips gleich mehrfach beinahe zum Scheitern. Doch was verbirgt sich hinter Voata wirklich?

_Persönlicher Eindruck_

Zeichneten sich gerade die vergangenen Romane aus der großen Fantasy-Welt von „Shadowrun“ vor allem durch einem großen Hang zur rücksichtslosen Action aus, fokussiert Stammschreiber Alex Wichert seine Gedanken in „Fatimas Tränen“, einem aktuellen Beitrag zur Serie (Roman Nr. 79), vordergründig auf die Darstellung seiner Charaktere. Nicht die Story an sich ist über weite Strecken das zentrale Element des Romans, sondern ihre äußerst lebendigen Träger, allen voran der faszinierende Voiata, aus dem Wichert einen echten Vorzeige-Schamanen gebastelt hat. Unglaublich jedenfalls, wie authentisch und leidenschaftlich der Autor die Emotionen und verstörten Gedanken des eigentlichen Protagonisten aufarbeitet, ohne dabei an den Rand jedweden Klischees zu stolpern. Dies ist im Hinblick auf das ungewöhnlich Setting gleich umso erstaunlicher, da der Verfasser sich insgesamt doch recht weit vom klassischen „Shadowrun“ entfernt.

Die Welt der Schatten ist gekennzeichnet von ihren finsteren Helden, und dazu gehört natürlich auch besagter Schamane, von Gesetzlosigkeit, Intrigen und blutiger Action. All die typischen Themengebiete, die diesen breiten Zweig der internationalen Fantasy mittlerweile markant verwurzelt haben, werden in „Fatimas Tränen“ zugunsten einer unkonventionellen, allerdings stilistisch sehr angenehmen, erfrischenden Herangehensweise weit hinten angestellt. Wichert gönnt seinen Figuren ungeheuer viel Zeit zur persönlichen Reife und neigt gerade im ersten Drittel zu einer deutlichen Temporeduzierung, die zuerst einmal geschluckt werden muss. Inwiefern das Buch später von diesem Vorgehen profitieren wird, ist zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht abzusehen, so dass manch einer sich sicherlich wundern wird, warum das Setting erst in aller Ausführlichkeit, bisweilen auch ein bisschen kompliziert aufgebaut wird. Nach geraumer Zeit – sobald die Dynamik der Geschichte ins Rollen kommt und für den Außenstehenden ersichtlich ist – schließt sich diesbezüglich jedoch der Kreis. Die persönlichen Merkmale der Schicksalsträger gewinnen inhaltlich Gewicht und forcieren schließlich auch die Entwicklung des Romans, der mit dem undurchschaubaren Spiel Voiatas einerseits an Würze und Spannung gewinnt, aufgrund der intelligent konstituierten Action schließlich aber auch wieder den Anschluss zum bekannten, geliebten „Shadowrun“-Universum gewinnt.

Brisant bleibt die Story jedoch allemal, nicht zuletzt weil Wichert wagemutig über den eh schon breiten Tellerrand des Genre-Kosmos hinausschaut und auch Themen anschneidet, die auf den ersten Blick gar nicht so recht in eine solche Story hineinpassen wollen. Voiatas merkwürdige sexuelle Neigungen sind hier zum Beispiel ein wesentliches Element, das perspektivisch eher in einen Thriller einzuordnen wäre, sich aber überraschend gut in die Entwicklung der Geschichte einbinden lässt, unterdessen sogar die Dramaturgie noch einmal wesentlich erweitert. Von den toll inszenierten Flashbacks des Hauptdarstellers und der generell sehr prickelnden Erzähl-Atmosphäre mal ganz zu schweigen …

Insofern darf man dem populären Autor zweifelsohne bescheinigen, die Grenzen des Genres innovativ ausgedehnt und einen Beitrag zum Themenkomplex „Shadowrun“ geleistet zu haben, der durch eine ganze Reihe interessanter Neuerungen auch komplett neuen Schwung in die bisweilen durchaus limitierte Serie gebracht hat. „Fatimas Tränen“ gehört auf jeden Fall zu den besten Titeln, die parallel zum erfolgreichen Rollenspiel in den letzten beiden Jahren veröffentlicht wurden, und überzeugt vor allem mit einer Palette überaus faszinierender Charaktere.

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